Ich wollte DFB-Pokal gucken, blieb dann aber auf Arte kleben, an „USA gegen Hitler“. Die Doku gibt es in der Mediathek und auf YouTube. Ihre 90 Minuten sind spannender als St. Pauli gegen Fortuna Düsseldorf. Trotz Elfmeterschießen.

Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen, die Nazis machten sich über Europa her. Die Briten ahnten, dass sie ohne transatlantischen Beistand sich die Wehrmacht kaum würden vom Leibe halten können. Doch „America first“ gab es lange vor Trump. Die meisten Amerikaner waren wenig geneigt, nach 1917 schon wieder ihre Knochen in Übersee hinzuhalten. Also schickte London jemanden nach New York, um dort diskret die Stimmung zu drehen: den schwerreichen kanadischen Geschäftsmann William Stephenson.

Der Film erzählt, wie Stephenson im Auftrag des Geheimdienstes Seiner Majestät eine Tarnfirma zur Manipulation der öffentlichen Meinung beim Wunsch-Alliierten aufbaute. Seine Agentur belieferte große Zeitungen und den beliebtesten Radiomoderator mit „Nachrichten“ – zur mentalen, wie es heute heißt, Kriegsertüchtigung. Historiker beschreiben das als „ausgefeiltes System der Desinformation“. Der Spion und seine Mitarbeiter hätten „eine Realität vorgegeben, die komplett erfunden war“. Ihre „Fake News fanden Eingang in mehr und mehr seriöse Medien“. Es war ja für eine gute Sache.

Zum edlen Zweck gelang es, mit dem Atlantiküberflieger und Nationalhelden Charles Lindbergh den Wortführer der Isolationisten als Nazi-Agenten anzuschwärzen. Sogenannten Putinknechten dürfte das Verfahren bekannt vorkommen. Stephenson ließ Dokumente fälschen, um einen von Berlin gesteuerten Putsch in Bolivien zu belegen oder die angeblich bereits fixierte Neuaufteilung Südamerikas. Mit jenem „Nazi-Plan“ wedelte der US-Präsident in einer landesweit ausgestrahlten Rede. Im November 1941 befürworteten zwei Drittel der Amerikaner den Kampf gegen Hitler – nicht allein dank Stephensons Wirken, sondern auch, weil Deutschland inzwischen die Sowjetunion angegriffen hatte. Dann nahm Pearl Harbour Roosevelt die Entscheidung über den Kriegseintritt ab.

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Die Medien, die Netzwerke sind heute andere. Mehr. Schneller. Überall. Mancher Satz der im Film auftretenden Wissenschaftler wirkt da nachgerade bewusstseinserweiternd, etwa: „Wenn eine Lüge nah genug an der Realität ist, kann sie Angst auslösen, die dann eine Eigendynamik entwickelt.“

Nun, mich jedenfalls bringt das auf eine schrille Idee: Man stelle sich mal eine Regierung vor, die eben noch selbst „in großem Stil abschieben“ wollte und jetzt kühl berechnend den Eindruck erweckt, eine relevante Zahl von Unmenschen stünde kurz davor, alle Bürger mit ausländischen Wurzeln zu deportieren. Absurd, was? Aber eine solche politische Klasse, die ihren Machterhalt als „Schutz der Demokratie“ beschriebe, hätte bei hinreichend erzeugter Angst und Eigendynamik gewiss Stephensons professionellen Respekt.

In der Doku konstatiert ein Sozialpsychologe: „Wie schafft man es, Menschen auf die eigene Seite zu ziehen? Externe Bedrohungen, ob real oder frei erfunden, schweißen Gruppen von Menschen zusammen. Diese Dialektik, wir gegen die anderen, ist der Grundmechanismus von Propaganda.“ – In diesem Sinne bin ich neugierig auf künftige Bemühungen, etwa um das Vaterland kriegstüchtiger zu machen. Für die gute Sache gibt es viel zu tun. Fangt schon mal an.

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Fake News und Medienmanipulation: Wie kann Deutschland kriegstüchtig werden?

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06.02.2024

Ich wollte DFB-Pokal gucken, blieb dann aber auf Arte kleben, an „USA gegen Hitler“. Die Doku gibt es in der Mediathek und auf YouTube. Ihre 90 Minuten sind spannender als St. Pauli gegen Fortuna Düsseldorf. Trotz Elfmeterschießen.

Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen, die Nazis machten sich über Europa her. Die Briten ahnten, dass sie ohne transatlantischen Beistand sich die Wehrmacht kaum würden vom Leibe halten können. Doch „America first“ gab es lange vor Trump. Die meisten Amerikaner waren wenig geneigt, nach 1917 schon wieder ihre Knochen in Übersee hinzuhalten. Also schickte London jemanden nach New York, um dort diskret die Stimmung zu drehen: den schwerreichen kanadischen Geschäftsmann William Stephenson.

Der Film erzählt, wie Stephenson im Auftrag des Geheimdienstes Seiner Majestät eine Tarnfirma zur Manipulation der öffentlichen Meinung beim Wunsch-Alliierten........

© Berliner Zeitung


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