Es hat in der laufenden Spielzeit nicht viele Vereine gegeben, die den 1. FC Union Berlin beneidet haben. In der Champions League haben die Köpenicker gespielt. Na schön. Real Madrid hat dort zu den Gegnern gehört. Vom Allerfeinsten. Doch gewonnen haben die Rot-Weißen in der europäischen Königsklasse nicht ein Spiel. Dass sie mit Kevin Behrens und Robin Gosens kurz mal zwei deutsche Nationalspieler stellten, ist auch geschenkt. Der eine trägt seine Heimspiele seit seinem Winterwechsel zum VfL Wolfsburg nicht mehr in der Hauptstadt aus, und der andere fand zum Start ins EM-Jahr für das Länderspieldoppel gegen Vizeweltmeister Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) keine Berücksichtigung.

Auch sonst lag im Stadion An der Alten Försterei, ganz im Gegensatz zu den Vorjahren, manches im Argen. Zumindest sportlich. Wer sich nach zehn sieglosen Meisterschaftsspielen in Folge, von denen die ersten neun auch noch verloren wurden und in denen lediglich vier Tore gelangen, als Besitzer der Roten Laterne wiederfindet, hat tatsächlich keine Neider mehr. Jedenfalls nicht in der eigenen Spielklasse. Dann gibt es höchstens Häme für einen, der die Hierarchie durcheinanderbringen wollte, nun aber selbst auf die Bretter geknallt ist.

Inzwischen, so der Eindruck, kehrt die Achtung zurück. Gerade auch bei den Gegnern. An sich selbst geglaubt haben die Eisernen immer. Daran ließen sie keinen Zweifel. Selbst in Zeiten des freien Falls nicht, auch wenn die Zuversicht manchmal gespielt schien und das Lächeln gequält wirkte. Die eine oder andere Unsicherheit, die nicht selten einen noch größeren Crash nach sich zieht, schlich sich trotzdem ein. Negative Eigendynamik nennt man so etwas. Es gibt Mannschaften, die daran zerbrochen, in der Folge abgestiegen und – noch viel schlimmer – erst nach langer Zeit oder nie zurückgekommen sind.

Beim 1. FC Union Berlin sieht es nach Abstieg nicht mehr aus. Inzwischen gibt es erneut Vereine, die die Rot-Weißen wieder beneiden. 28 Punkte hätten manche gern. Der VfL aus Wolfsburg zum Beispiel, der, kurz vor der Winterpause war das, neun Punkte vor den Männern um Kapitän Christopher Trimmel rangierte, nun aber drei Zähler schlechter ist. Auch ein anderer VfL, der aus Bochum, war mal schon sechs Punkte voraus. Nach dem 0:3 der Eisernen im Ruhrstadion war das. Elf Spieltage ist das erst her.

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Allein die einzelnen Momentaufnahmen dokumentieren den Wandel. Mit 14 Punkten nach den 17 Spielen der Hinrunde waren die Eisernen Tabellenfünfzehnter. Nach neun weiteren Partien sind es wieder 14 Punkte und in der Tabelle der Rückrunde damit Rang sieben. Nur zwei Punkte hinter Dauermeister FC Bayern München und vor Eintracht Frankfurt, dem Gastgeber für den 1. FC Union Berlin am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky). Das ist schon eher Union-like, zumal es im Tabellenkeller, dem die Köpenicker entstiegen sind, weiterhin ein ziemliches Schneckenrennen gibt und der Vorsprung vor dem Relegationsrang durchaus komfortable neun Punkte beträgt.

Was das über die Lage der Eisernen sagt? Nichts Endgültiges natürlich, auch wenn es die Pi-mal-Daumen-Rechnung gibt, nach der es gerade noch realistisch ist, pro Spieltag, egal ob nach unten oder nach oben, einen Zähler gutzumachen. Das würde nach jahrelangen Erfahrungen genügen, die Klasse zu halten. Allerdings tut Trainer Nenad Bjelica gut daran zu erinnern und notfalls zu wiederholen: „28 Punkte werden wahrscheinlich nicht reichen.“

Recht hat er. Zum 29. Mal wird eine Bundesligasaison mit der Drei-Punkte-Regel für einen Sieg gespielt. Für den direkten Klassenerhalt wurden immer mehr als 28 Zähler benötigt. Einmal, 2014, rettete sich der Hamburger SV mit 27 Punkten in die Relegation und behauptete sich dort gegen Greuther Fürth (0:0, 1:1) durch das Auswärtstor. Auf besagte 28 Punkte kam 2019 übrigens der VfB Stuttgart. Auch für die Schwaben reichte es nur zur Relegation. Wie die ausging, sagt ein Anhänger des 1. FC Union Berlin am Stammtisch auch nach dem x-ten Kaltgetränk fehlerfrei auf.

Auf die Vergangenheit sollten sich die Eisernen also nicht verlassen, wenngleich es selten passiert, dass ein Team einen solchen Vorsprung vergeigt. Passiert ist es aber doch, und zwar in der Saison 2012/13. Acht Spieltage vor Ultimo war neben Schlusslicht Greuther Fürth die TSG Hoffenheim mit 20 Punkten auf Abstiegskurs. Der FC Augsburg war vier Punkte voraus, Fortuna Düsseldorf gar neun. Weil die Rheinländer in der Endphase einen Mega-Einbruch erlitten, nur noch ein Zählerchen holten, die TSG aber elf, musste Fortuna runter. Hoffenheim mit dem damals 20-jährigen Kevin Volland behielt in der Relegation gegen Kaiserslautern den Platz im Oberhaus.

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Um allen Eventualitäten aus dem Weg zu gehen und nicht das damalige sportliche Dilemma von Fortuna Düsseldorf zu wiederholen, wären für den 1. FC Union Berlin zwei, drei weitere Siege enorm hilfreich. Natürlich gibt es zu Hause noch Hammer-Duelle gegen die Bayern und gegen Bayer Leverkusen. Aber warum nicht auch mal gegen ein Schwergewicht punkten?

In der Vergangenheit gelang das immer mal: gegen Leverkusen mit einem 1:0 sogar mal ein Dreier und gegen den FC Bayern München drei 1:1-Unentschieden. Auch Dortmund bekam in Köpenick die eine oder andere übergebraten, und Stuttgart war mal so etwas wie ein Schokoladengegner. Nur sind diesmal kurioserweise alle Zähler gegen Teams ab Tabellenplatz sieben gelungen. Gegen das führende Sextett sind in bisher neun Spielen neben null Punkten nur beim 2:4 in Dortmund eigene Tore gefallen. Ansonsten ist die Bilanz gegen die aktuelle Elite regelrecht haarsträubend: 0:4 in Leverkusen, 0:1 in München, 0:3 und 0:2 gegen Stuttgart, 0:2 zu Hause gegen den BVB, 0:3 an der Wuhle gegen Frankfurt.

Auch wenn Punkte gegen die unmittelbare Konkurrenz gefühlt doppelt zählen und den 1. FC Union Berlin maßgeblich in diese letztlich akzeptable Position gebracht haben, wäre es kurz vor Saisonende an der Zeit, mal gegen einen von da oben Zählbares einzusacken. Viele Gelegenheiten gibt es in dieser Saison dazu nicht mehr. Deshalb wäre Frankfurt dafür ein durchaus passendes Pflaster. Der Zeitpunkt wäre ebenso ideal, um auch den letzten Druck aus dem Kessel zu nehmen.

Gegen die Hessen hat es schon manch Spektakel gegeben. So ein fulminantes Eigentor von Robert Andrich, als der spätere Nationalspieler den eigenen Schlussmann aus rund 20 Metern mit einem Harakiri-Rückpass überwand. Alt-Unioner wissen aber auch, wie am Riederwald ein Dreier geht. Im Februar 2020 war es mit einem 2:1. Sebastian Andersson traf für seine Farben, dazu kam ein Eigentor des Frankfurters Evan Ndicka.

Aus eigenem Erleben kennt dieses Gefühl aber nicht einmal Christopher Trimmel. Das Urgestein, als Einziger aus dem ersten Spieljahr in der Bundesliga übriggeblieben, brummte seinerzeit eine Gelb-Sperre ab. Es war eines von nur zwei Spielen, das der Österreicher in der Premierensaison des 1. FC Union Berlin im deutschen Oberhaus verpasste. Sollte es also noch einmal gelingen, wäre es einerseits gut für das Punktekonto und würde die Eisernen einem sechsten Spieljahr in der Eliteliga einen entscheidenden Schritt weiterbringen. Es wäre andererseits ein Meilenstein für den 37-jährigen Kapitän. Nicht zuletzt würde auch die Zahl der Neider automatisch weiter steigen. Von gestiegenem oder wiedergewonnenem Respekt ganz zu schweigen.

QOSHE - 1. FC Union Berlin: Der Druck gegen die Spitzenteams muss aus dem Kessel - Andreas Baingo
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1. FC Union Berlin: Der Druck gegen die Spitzenteams muss aus dem Kessel

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29.03.2024

Es hat in der laufenden Spielzeit nicht viele Vereine gegeben, die den 1. FC Union Berlin beneidet haben. In der Champions League haben die Köpenicker gespielt. Na schön. Real Madrid hat dort zu den Gegnern gehört. Vom Allerfeinsten. Doch gewonnen haben die Rot-Weißen in der europäischen Königsklasse nicht ein Spiel. Dass sie mit Kevin Behrens und Robin Gosens kurz mal zwei deutsche Nationalspieler stellten, ist auch geschenkt. Der eine trägt seine Heimspiele seit seinem Winterwechsel zum VfL Wolfsburg nicht mehr in der Hauptstadt aus, und der andere fand zum Start ins EM-Jahr für das Länderspieldoppel gegen Vizeweltmeister Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) keine Berücksichtigung.

Auch sonst lag im Stadion An der Alten Försterei, ganz im Gegensatz zu den Vorjahren, manches im Argen. Zumindest sportlich. Wer sich nach zehn sieglosen Meisterschaftsspielen in Folge, von denen die ersten neun auch noch verloren wurden und in denen lediglich vier Tore gelangen, als Besitzer der Roten Laterne wiederfindet, hat tatsächlich keine Neider mehr. Jedenfalls nicht in der eigenen Spielklasse. Dann gibt es höchstens Häme für einen, der die Hierarchie durcheinanderbringen wollte, nun aber selbst auf die Bretter geknallt ist.

Inzwischen, so der Eindruck, kehrt die Achtung zurück. Gerade auch bei den Gegnern. An sich selbst geglaubt haben die Eisernen immer. Daran ließen sie keinen Zweifel. Selbst in Zeiten des freien Falls nicht, auch wenn die Zuversicht manchmal gespielt schien und das Lächeln gequält wirkte. Die eine oder andere Unsicherheit, die nicht selten einen noch größeren Crash nach sich zieht, schlich sich trotzdem ein. Negative Eigendynamik nennt man so etwas. Es gibt Mannschaften, die daran zerbrochen, in der Folge abgestiegen und – noch viel schlimmer – erst nach langer Zeit oder nie zurückgekommen sind.

Beim 1. FC Union Berlin sieht es nach Abstieg nicht........

© Berliner Zeitung


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