Gern machen Fußballer auf Unschuldslamm. Im Gegensatz zu Aktiven in anderen Sportarten sogar ziemlich häufig. In nahezu allen Spielen ist die Ich-hab-doch-nichts-gemacht-Geste mit hochgezogenen Schultern und nach vorn offenen Handflächen zu sehen.

Hoch im Kurs steht auch der mit beiden Händen von oben nach unten gezogene Kreis, womit signalisiert werden soll: Ich hab den Ball gespielt. Zur Unterstützung wird mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Kugel gewiesen, die gut auch ohne eigenes Zutun zehn Meter weitergerollt wäre, und die Wahrhaftigkeit dieser Tat mit fast hervorquellenden Augen bekräftigt. In solchen Fällen tun die Schiedsrichter gut daran, den Sünder mit einer Verwarnung oder bei wiederholten oder schweren Vergehen mit einem Platzverweis zu sanktionieren.

Zugleich gibt es den genau umgekehrten Fall, dass eine Gelbe oder Gelb-Rote Karte mit schauspielerischem Talent provoziert wird. So wie es jüngst Kevin Volland passiert ist. Nun ist der Angreifer des 1. FC Union Berlin kein Waisenknabe – wer ist das schon, der es in die Bundesliga oder wie er einst gar ins Nationalteam geschafft hat. Eine robuste Konstitution ist dabei von Vorteil, das Einsetzen des Körpers nicht von Nachteil und die Balance zwischen Austeilen und Einstecken ein solides Fundament für gesunde Zweikämpfe.

Volland ist gegen die TSG Hoffenheim vom Platz geflogen. So weit die Tatsachenentscheidung. Nur: Was ist die angesichts eines Videoassistenten und eines Assistenten des Videoassistenten noch wert? Vielmehr wäre es angebracht, die Rolle von Andrej Kramaric genauer zu betrachten. Was auf dem Bolzplatz vielleicht als Streich durchgeht, ist unter dem Aspekt des Fairplay eine Frechheit. Ein Zwinkern des Hoffenheimers unter dem Motto „Na, wie hab ich das hingekriegt?“ macht die Sache nur noch schlimmer. Wo, bitte, hatten in diesem Fall die Männer im Kölner Keller ihre Augen? Wenn der Schiri Gelb zeigt, sie dort aber der Ansicht sind, dass es Rot ist, geben sie ein Zeichen. Warum nicht auch diesmal? Warum nicht auch umgekehrt? So untergräbt der Videoassistent mal wieder seinen Sinn, und der (angebliche) Sünder wird zum Opfer.

1. FC Union Berlin: Brenden Aaronson und der ganz weite Anlauf

19.02.2024

1. FC Union Berlin: Kevin Volland wurde Opfer eines Racheakts

18.02.2024

•gestern

19.02.2024

18.02.2024

•gestern

gestern

In England, dem Mutterland des Fußballs, wo es in vielen Zweikämpfen wahrscheinlich viel erbitterter zugeht als in der Bundesliga, hätte der Schiedsrichter müde abgewunken und der durch den Luftzug Dahingesunkene wäre von den eigenen Anhängern ausgebuht worden. Hierzulande aber wird ein derart unsportliches Verhalten als „clever“, wahlweise auch „professionell“ oder „mit allen Wassern gewaschen“ feingeredet. Dabei ist es eine ganz und gar linke Nummer und eine Schande. Solche Dinge gehören gleichfalls bestraft.

Hätte Kramaric, notfalls mit einem Zwinkern, nicht erst im Fernsehinterview zugegeben, dass er nicht durch ein Foul hingefallen, sondern einfach nur gestolpert war, hätte es einen schier unschlagbaren Kandidaten für den Fairplay-Preis gegeben. Diese Übung sollten Fußballer gern öfter trainieren.

Andererseits gehören Platzverweise zum Fußball inzwischen dazu wie Tore. In manchen Spielen gibt es von Roten Karten sogar mehr als von Treffern. Siehe, auch wenn ungerecht, das 1:0 des 1. FC Union Berlin in Sinsheim. Dabei ist die Rot-Flut nicht allein auf mehr Brutalität zurückzuführen. In manchen Fällen ist der Sünder schlichtweg Opfer des rasanten Tempos. Sekundenbruchteile zu spät im Duell, schon hat der Gegenspieler den Ball weggespitzelt und der eigene Fuß landet ungewollt dort, wo er gar nicht landen sollte. Schlimmstenfalls am oder über dem Knöchel. Ein typischer Fall von Pech gehabt oder von schlechtem Timing.

Das alles ist für Kevin Volland kein Trost. Den Freiraum, dass jemand nach einem noch so unberechtigten Platzverweis ohne Sperre davonkommt, bietet das Regelwerk nicht. Den Freiraum, dass sie dafür den Zwinkerer kriegen und ihn für Täuschung und fehlende Vorbildwirkung am Schlafittchen packen, schon eher. Vielleicht würde das insgesamt für etwas mehr Fairplay sorgen.

QOSHE - 1. FC Union Berlin: Der Videoassistent untergräbt mal wieder seinen Sinn - Andreas Baingo
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

1. FC Union Berlin: Der Videoassistent untergräbt mal wieder seinen Sinn

13 9
21.02.2024

Gern machen Fußballer auf Unschuldslamm. Im Gegensatz zu Aktiven in anderen Sportarten sogar ziemlich häufig. In nahezu allen Spielen ist die Ich-hab-doch-nichts-gemacht-Geste mit hochgezogenen Schultern und nach vorn offenen Handflächen zu sehen.

Hoch im Kurs steht auch der mit beiden Händen von oben nach unten gezogene Kreis, womit signalisiert werden soll: Ich hab den Ball gespielt. Zur Unterstützung wird mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Kugel gewiesen, die gut auch ohne eigenes Zutun zehn Meter weitergerollt wäre, und die Wahrhaftigkeit dieser Tat mit fast hervorquellenden Augen bekräftigt. In solchen Fällen tun die Schiedsrichter gut daran, den Sünder mit einer Verwarnung oder bei wiederholten oder schweren Vergehen mit einem Platzverweis zu sanktionieren.

Zugleich gibt es den genau umgekehrten Fall, dass eine Gelbe oder Gelb-Rote Karte mit schauspielerischem Talent provoziert wird. So wie es jüngst Kevin Volland passiert ist. Nun ist der Angreifer des 1. FC Union Berlin kein Waisenknabe – wer ist das schon, der es........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play