Der lange Schatten von Urs Fischer beim 1. FC Union Berlin. Irgendwie spielt der Schweizer, von Saisonbeginn 2018 bis November 2023 in Köpenick als Trainer im Amt und von den Anhängern spätestens mit dem Aufstieg in die Bundesliga zum Fußballgott ausgerufen, immer wieder eine Rolle. Als derjenige, der immer alles im Griff hatte – bis auf die beiden letzten Monate. Auch als derjenige, der aus einem spielerisch limitierten Aufsteiger einen angesehenen und respektierten Erstligisten formte und schließlich sogar den Sprung in Europas Königsklasse schaffte. Und nicht zuletzt als derjenige, der mit seiner weichen Stimme stets alle überzeugt hat – sogar Dirk Zingler mit seinem Rücktritt, obwohl der Präsident davon partout nichts wissen wollte.

Genau hier fängt die Geschichte von Nenad Bjelica an. Nicht seine ursprüngliche, die hat ihn als Spieler und auch als Trainer in vieler Herren Länder geführt. Dafür die eiserne. Mit der geht es seitdem mal rauf, mal runter.

Mal ist der Kroate der Erlöser, der mit dem 3:1 zu Hause gegen Borussia Mönchengladbach bei seiner Bundesliga-Trainerpremiere den in Niederlagenstarre gefallenen Köpenickern den Willen an die eigene Stärke und den Glauben an Siege zurückgibt. Nur eine Miniwinterpause später ist er Deutschlands Trainer-Buhmann, der sich in der eigenen Coachingzone mit einem gegnerischen Spieler zofft, einem deutschen Nationalspieler zumal. Noch nicht richtig angekommen, schon in alle Einzelteile zerpflückt. Dann wieder führt er sein Team in eine verführerisch sichere Tabellen- und vor allem Punkteregion, nur um wieder dorthin abzusacken, woher sie gemeinsam gekommen sind. So oder so ähnlich sieht ein Teufelskreis aus.

Nun, vor dem Abstiegskracher gegen den VfL Bochum, bekommt die Geschichte um Bjelica erneut einen Dreh. Einen nach unten. Mal wieder. Als ob im Südosten der Stadt nicht schon genug Achterbahn sei und als ob eine neuerliche Trainerdebatte der Abwehr die Grätsche erleichtert oder dem Angriff die Lücke zum gegnerischen Tor öffnet. Anscheinend lautet die T-Frage in Köpenick nicht, ob Bjelica geht. Sondern wann er geht.

30.04.2024

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Nach dem Spiel gegen die punktgleichen und in der Tordifferenz um nur einen Treffer schlechteren Bochumer oder nach dem Abstiegsdoppelwumms eine Woche darauf in Köln oder nach dem Saisonabschluss gegen den SC Freiburg, wenn dessen Trainer Christian Streich nach zwölfeinhalb Jahren von sich aus ade sagt.

Es ist eine Diskussion zur Unzeit. Weil sie in die Öffentlichkeit gelangt ist. Völlig überflüssig ist sie nicht. Das ist sie nie, wenn ein Team drei Spieltage vor dem Saisonende nicht weiß, ob es die Klasse halten oder erstmals aus der Bundesliga absteigen wird und die Frage akut ist, ob der Trainer das Ding wuppt. Da hilft selbst ein Punkteschnitt pro Spiel von 1,19 nicht, den Bjelica in seinen 16 Partien an der Seitenlinie erwirtschaftet hat, die, über die Saison gerechnet, 41 Zähler und damit den sicheren Klassenerhalt ergeben würden.

Nur ist das mit dem Durchschnitt eine gefährliche Sache, wenn die Tendenz nicht stimmt. Die Viehhirten, die andernorts ihre Rinderherden auf der Suche nach neuen Weidegründen auch durch Gewässer führen müssen, kennen den hämischen wie wahren Spruch: Im Durchschnitt war der Fluss 50 Zentimeter tief, doch die Kuh ist trotzdem ersoffen. Auf den 1. FC Union Berlin gemünzt bedeutet das nichts anderes als Alarmstufe Rot.

Aus den zurückliegenden neun Spielen gab es aus einem Sieg (2:1 gegen Bremen), drei Unentschieden (2:2 gegen Heidenheim sowie jeweils 0:0 in Frankfurt und zuletzt in Mönchengladbach), aber fünf Niederlagen mickrige sechs Zähler. Dieser Schnitt wiederum entspricht mit 0,67 dem eines hoffnungslosen Absteigers, der, ginge es das gesamte Spieljahr so, am Saisonende auf gerade mal 23 Punkte käme. Seit Einführung der Drei-Punkte-Regel für einen Sieg hat das nie zum Klassenerhalt gereicht.

Ob Gerücht oder nicht. Ob ein Körnchen Wahrheit oder keines. Ob ein ausgesprochener Gedanke oder nur ein unbedachtes Wort. Ob Kalkül oder Naivität. Auf jeden Fall erschüttert es in gewisser Weise den Ruf des Vereins, der, selbst wenn es um Vertragsverlängerungen wie jüngst die von Andras Schäfer geht, nicht einmal mit Laufzeiten dient und als Vereinsmotto gern auch „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ für sich beansprucht. Wer hat da geplaudert? Oder hat jemand nur laut gedacht?

Womöglich ist der 1. FC Union Berlin aber auch nur ein Opfer seiner selbst. Seines Erfolges. Seiner Rolle als Aufmischer des Establishments. Seines Understatements. Seiner Vergangenheit als in der DDR-Oberliga mehr geduldeter denn geliebter Mitmacher. Was nicht ganz stimmt, denn viele Ehemalige von anderswo verbinden die Köpenicker mit Bodenständigkeit, Fußball-Romantik, Ehrlichkeit, Geradlinigkeit und Sich-in-die-Augen-schauen-Können.

Logisch, dass es Spaß macht, nach der Sensation von 2019 („Scheiße, wir steigen auf!“) davon zu sprechen, ein Jahr Urlaub in der Beletage des deutschen Fußballs zu machen, um gleich darauf Dortmund eine überzuziehen und Hertha BSC, Mönchengladbach und Köln. Was dem folgte, kennt jeder. Urlaub als Dauerzustand. Oder: Ein Gentleman genießt und schweigt.

Nur jetzt nicht, wo es ans Eingemachte geht. Wo die einmalige Reise zu Ende gehen könnte oder wo sie zumindest arg ins Stocken geraten ist. Auf einmal ist der Verein, der immer anders sein will, dann doch wie jeder andere. Wenn man gnädig ist: durchlässig, vielleicht ja nur das eine Mal.

Warum? Macht Erfolg süchtig, so wie Macht süchtig macht? Ist es tatsächlich so, dass jemand, der einmal an diesem ganz großen Business Gefallen gefunden hat, davon nicht mehr lassen kann? Ist die Spielklasse doch wichtiger, als in besseren Zeiten anders behauptet?

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Um nicht falsch verstanden zu werden: Es gibt in einem solchen Fall nichts Wichtigeres als den Verein. In der Politik nennt man so etwas Staatsräson, selbst wenn die manchmal besser doch hinterfragt werden sollte. Als Verein aber will man immer nach oben. Immer. Selbst wenn es Grenzen gibt. Sportliche wie finanzielle. Außerdem: Die Nummer eins in der Stadt zu sein, möglichst unangefochten, macht durchaus sexy. Trotzdem oder gerade deshalb sollte man seine gute Kinderstube nicht vergessen. Die Zusammenkunft eines Präsidiums ist eine hochseriöse Runde. Wer es anders haben möchte, sollte zu Marktschreiern gehen.

Dass die Sache mit Nenad Bjelica diese Kurve genommen hat, erinnert mich an eine persönliche Begegnung als Zwölftklässler. Als ich, es war einen Tag vor dem schriftlichen Russisch-Abitur, nach dem Fußballtraining bei Motor Süd Zwickau zufällig meine damalige Russischlehrerin traf und wir auf das unvermeidliche Thema der Prüfung kamen, meinte sie: „Jüngelchen“, so sprach sie zu allen Kerlen, egal aus welcher Klasse, „das Thema darf ich natürlich nicht verraten. Damit würde ich mich strafbar machen. Aber es könnte nicht schaden, sich auf einen Brief vorzubereiten.“

Verraten hat sie natürlich nichts. Geplaudert aber doch. So wie jemand im Fall Bjelica. Es kann stimmen, muss es aber nicht. Ich habe damals übrigens eine Zwei geschrieben, ein Gut. Eine Erleichterung ähnlich einem Dreier im Bundesliga-Endspurt. Bekommt der 1. FC Union Berlin nach dem Spiel gegen Bochum und den beiden kommenden Partien auch ein Gut, hätte der Plauderer, wie meine Russischlehrerin, wenigstens alles herausgekitzelt.

QOSHE - 1. FC Union Berlin: Union ist vom Urs abgekommen, aber auch Opfer seiner selbst - Andreas Baingo
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1. FC Union Berlin: Union ist vom Urs abgekommen, aber auch Opfer seiner selbst

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03.05.2024

Der lange Schatten von Urs Fischer beim 1. FC Union Berlin. Irgendwie spielt der Schweizer, von Saisonbeginn 2018 bis November 2023 in Köpenick als Trainer im Amt und von den Anhängern spätestens mit dem Aufstieg in die Bundesliga zum Fußballgott ausgerufen, immer wieder eine Rolle. Als derjenige, der immer alles im Griff hatte – bis auf die beiden letzten Monate. Auch als derjenige, der aus einem spielerisch limitierten Aufsteiger einen angesehenen und respektierten Erstligisten formte und schließlich sogar den Sprung in Europas Königsklasse schaffte. Und nicht zuletzt als derjenige, der mit seiner weichen Stimme stets alle überzeugt hat – sogar Dirk Zingler mit seinem Rücktritt, obwohl der Präsident davon partout nichts wissen wollte.

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Mal ist der Kroate der Erlöser, der mit dem 3:1 zu Hause gegen Borussia Mönchengladbach bei seiner Bundesliga-Trainerpremiere den in Niederlagenstarre gefallenen Köpenickern den Willen an die eigene Stärke und den Glauben an Siege zurückgibt. Nur eine Miniwinterpause später ist er Deutschlands Trainer-Buhmann, der sich in der eigenen Coachingzone mit einem gegnerischen Spieler zofft, einem deutschen Nationalspieler zumal. Noch nicht richtig angekommen, schon in alle Einzelteile zerpflückt. Dann wieder führt er sein Team in eine verführerisch sichere Tabellen- und vor allem Punkteregion, nur um wieder dorthin abzusacken, woher sie gemeinsam gekommen sind. So oder so ähnlich sieht ein Teufelskreis aus.

Nun, vor dem Abstiegskracher gegen den VfL Bochum, bekommt die Geschichte um Bjelica erneut einen Dreh. Einen nach unten. Mal wieder. Als ob im Südosten der Stadt nicht schon genug........

© Berliner Zeitung


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