Am Ende dieser Saison wird der 1. FC Union Berlin in der Fußball-Bundesliga 170 Spiele bestritten haben. Damit werden die Köpenicker schon mal einen Rekord für diejenigen Vereine aufstellen, die ihre Vergangenheit in der DDR-Oberliga sehen.

Einen Startrekord nämlich für die längste Verweildauer in Deutschlands höchster Spielklasse nach dem ersten Aufstieg. Auf dem Weg dahin sind sie ja bereits, und sie haben den Rekord damit schon in der Tasche. Die Frage ist nur, wohin sie ihn noch treiben, ob über diese Saison hinaus oder ob eventuell erst einmal Schluss sein könnte. Als Tabellenfünfzehnter nach einem Herbst mit neun Punktspielniederlagen am Stück sollte man vorsichtig sein.

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Auch wenn aus dem Kreis der damaligen Oberligisten Hansa Rostock mit zwölf Spielzeiten auf die mit Abstand meisten Partien verweisen kann, hielt es der letzte Meister aus dem Osten Deutschlands zunächst nur einen Durchgang (1991/92) aus. Dynamo Dresden ging in der vierten Spielzeit die Puste aus. Im Gegensatz zu den Männern von der Ostseeküste, die 1995 mit Trainer Frank Pagelsdorf zurückkamen, schafften es die Schwarz-Gelben aus Sachsen bisher nicht wieder. Dem VfB Leipzig, inzwischen wieder zum 1. FC Lokomotive zurückmutiert, war 1993/94 auch nur eine Spielzeit vergönnt, für Energie Cottbus waren es insgesamt zwar sechs, die Lausitzer aber teilten ihr halbes Dutzend in zwei Dreier-Etappen (2000/03, 2006/09) auf.

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29.12.2023

29.12.2023

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Stolz können die Eisernen deshalb durchaus sein auf ihre Bilanz in einer Spielklasse, die zunächst gar nicht gemacht schien für sie. Zunächst sind sie der bislang letzte Zweitligist, der 2019 über die Relegation den Aufstieg schaffte. Alle anderen strauchelten. Zudem haben die Köpenicker eine Performance an den Tag gelegt, die nicht einmal sie selbst von sich erwartet hatten und die nichts als blankes Staunen hervorgerufen hat. Während die damaligen Mitaufsteiger hier und da ins Trudeln kamen, zog es die Männer um Trainer Urs Fischer und Kapitän Christopher Trimmel durch Europa. So wie die Eisernen immer besser wurden, bekamen auch die Gegner immer prominentere Namen: Von Kuopio PS in der Europa Conference League über Union St.-Gilloise in der Europa League bis zu den Königlichen von Real Madrid in der Champions League.

Das ist Vergangenheit. Schöne zwar, aber die Zeiten, in denen es nur eine Richtung gab, nach vorn und nach oben, sind vorbei. Nicht bei null geht der 1. FC Union Berlin ins neue Jahr, sondern nach 15 Partien seiner fünften Spielzeit deutlich im Minus. Nach lediglich vier Siegen in diesen Spielen herrscht ein Gefühl rund um das Stadion An der Alten Försterei, das sie lange nicht hatten. Sie litten mit jeder Niederlage mehr und quälten sich doch wieder in die nächste; sie wurden nervöser, kassierten Platzverweise und noch mehr Gegentore; sie wussten nicht mehr ein noch aus und standen nach Jahren in der Trainer-Komfortzone über Nacht ohne da.

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Was aber ist jetzt, was kommt mit Nenad Bjelica, dem Nachfolger von Urs Fischer? Dem finanziellen Rekordhoch aus dem Spieljahr 2022/23 mit einer Steigerung gegenüber der damaligen Vorsaison um 52,01 Millionen auf 174,14 Millionen Euro wird dank der Einnahmen aus den Spielen in Europas Königsklasse ein erneutes folgen. Erträge von rund 190 Millionen Euro sind prognostiziert. Allein damit schon hauen die Rot-Weißen ziemlich kräftig auf die Pauke.

Nur: Bleiben sie bei all dem noch sie selbst? Das wollen sie, und zwar mit aller Macht. Die Fertigstellung des Trainingszentrums Oberspree, des Nachwuchsleistungszentrums, das bislang größte Infrastrukturprojekt des Vereins, ist kurz vor der Fertigstellung. Das Forsthaus wird saniert; das Trainingsgelände ist mit einem beheizbaren Kunstrasen auf ein höheres Niveau gebracht; im Frühjahr ist der Baubeginn eines neuen Sportfunktionsgebäudes geplant; Klubhaus und Parkhaus sollen gemeinsam mit der Haupttribüne des Stadions einen Innenhof bilden, der vielfältig kulturell nutzbar sein wird; in der Saison 2025/26 soll dann die bisweilen kontrovers diskutierte Erweiterung des Stadions An der Alten Försterei erfolgen.

Mancher sieht die Gefahr, dass der Verein sich überhebt. Nicht so Dirk Zingler, seit 2004 Präsident. Bereits im Oktober, bei der Mitgliederversammlung, hat er seine weitreichenden Pläne mit diesen Worten erklärt und verteidigt: „Wir haben von einem Generationenprojekt gesprochen und sind nun dabei, dieses Projekt Schritt für Schritt Wirklichkeit werden zu lassen. Vor uns liegen mehrere Jahre umfangreicher Bautätigkeit rund um unser Stadion und auch im Stadion selbst. Ich freue mich darauf, denn am Ende werden wir über ein Vereinsgelände verfügen, das uns ermöglicht, Fußball so zu erleben, wie wir es mögen, und Menschen auch dann einen Anlaufpunkt bietet, wenn nicht Fußball gespielt wird.“

Um all das zu stemmen, sollte es einen Grundkonsens geben: Die Bundesliga sollte in Köpenick über die Saison hinaus zu Hause bleiben. Das ist, bei allem Respekt vor den beiden existenziellen Dreiern gegen Mönchengladbach (3:1) und Köln (2:0), noch längst nicht in Sack und Tüten. Die ausstehenden 19 Meisterschaftsspiele bringen einen eventuell entscheidenden Pluspunkt: Die Eisernen können, da sie im Gegensatz zu den Vorjahren auch aus dem Pokal ausgeschieden sind, ihren Fokus auf die Spiele um Meisterschaftspunkte legen.

Andererseits stehen sie personell vor dem vielleicht größten Umbruch seit dem Aufstieg. Ende Februar wird Christopher Trimmel, in seiner zehnten Saison ein Eiserner und in seiner sechsten Spielzeit Kapitän, 37 Jahre alt. Ältester österreichischer Debütant in der Champions League ist er mit dem 1. FC Union schon geworden, womöglich gelingt ihm am Abend seiner Karriere der Sprung ins Ösi-Team zur Europameisterschaft, die im Sommer in seiner zweiten Heimat ausgetragen wird. Nur könnte es ein ganz und gar bizarres Szenario werden, wenn Trimmels Tage in Köpenick vielleicht gezählt sind, doch Österreichs Trainer Ralf Rangnick dennoch auf seine Erfahrung nicht verzichten möchte.

Gespielt jedenfalls hat der Kapitän immer seltener. Seit Bjelica im Amt ist, kommt Trimmel auf ganze 36 Minuten Einsatzzeit. Acht waren es gegen Real Madrid, 28 zuletzt gegen Köln. Das sind noch immer deutlich mehr als für den gleichaltrigen Leonardo Bonucci, dennoch für Trimmels Anspruch viel zu wenig. Bonucci schaffte es auf lediglich 22 Minuten. Eines steht dennoch: Als die beiden Oldies im letzten Spiel des zu Ende gehenden Jahres gemeinsam auf dem Platz waren, zementierten sie nicht nur den Sieg, sondern verteidigten hinten die Null. Bleibt abzuwarten, wie sich Jose Mourinho in den nächsten Tagen in der Causa Bonucci positioniert. Der portugiesische Trainer spekuliert auf die Dienste des Strategen für die AS Roma.

Eine gravierende Personalrochade kann in der Transferperiode, die vom 1. Januar bis zum 1. Februar Spielerwechsel ermöglicht, Segen und Fluch zugleich sein. Oft haben die Eisernen ihre Neuzugänge in extrem kurzer Zeit integriert und eine schlagkräftige Formation entwickelt. Zuletzt jedoch ging gerade das in die Hose. Ist Manager Oliver Ruhnert, nachdem er häufig ein goldenes Händchen besaß, nun ein gebranntes Kind? Hat er den Mut, ein weiteres Mal alles auf links zu drehen? Besteht überhaupt die Notwendigkeit?

Vor Ruhnert und Trainer Bjelica stehen etliche weitere Fragen. Geht oder bleibt Sheraldo Becker? Bekommt Brenden Aaronson die Kurve? Hat David Datro Fofana sie, auch dank seines Tores gegen Köln, eventuell schon bekommen? Findet Lucas Tousart seinen Rhythmus? Behebt Kevin Behrens seine Ladehemmung? Bestätigt Benedict Hollerbach seinen Aufwärtstrend? Lässt Andras Schäfer seine langwierige Verletzung endgültig hinter sich? Schweißt Robin Knoche (ob mit oder ohne Bonucci) die Abwehr wieder enger zusammen? Bringt Danilho Doekhi seine Wucht vor allem in der Luft zurück auf den Platz? Merkt Kevin Volland sich, wie er den Ball am besten ins Tor des Gegners bekommt? Stabilisiert sich Rani Khedira zur Form vergangener Jahre? Hechtet Frederik Rönnow noch mehr Bälle aus seinem Kasten als zuletzt schon? Beackert Jerome Roussillon seine Außenbahn derart zielsicher wie in den jüngsten Partien? Strukturiert Robin Gosens sein Spiel wieder besser und damit das des Teams?

Selbst wenn alles klappt, wird es für den 1. FC Union Berlin weit nach vorn, so wie in den drei Jahren zuvor, nicht reichen. Muss es auch nicht. Die wichtigen Gegner in den kommenden fünf Monaten sind nicht die Bayern und Bayer, nicht Dortmund und Leipzig, es sind vor allem Mainz und Darmstadt, Köln und Bochum, Bremen und Augsburg, Wolfsburg und vielleicht auch Mönchengladbach, Hoffenheim und Frankfurt. Es sind die Teams, mit denen sich die Köpenicker eher auf Augenhöhe wähnen.

Bonuspunkte gegen andere sind trotzdem willkommen. Damit das 170. Spiel der Eisernen in der Bundesliga, es wird am 18. Mai das Heimspiel gegen Freiburg, nicht das vorerst letzte wird, sondern der Rekord am Leben bleibt und in neue Dimensionen klettert.

QOSHE - Alt, aber eisern - 1. FC Union Berlin: Die große Jahresvorschau - Andreas Baingo
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Alt, aber eisern - 1. FC Union Berlin: Die große Jahresvorschau

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31.12.2023

Am Ende dieser Saison wird der 1. FC Union Berlin in der Fußball-Bundesliga 170 Spiele bestritten haben. Damit werden die Köpenicker schon mal einen Rekord für diejenigen Vereine aufstellen, die ihre Vergangenheit in der DDR-Oberliga sehen.

Einen Startrekord nämlich für die längste Verweildauer in Deutschlands höchster Spielklasse nach dem ersten Aufstieg. Auf dem Weg dahin sind sie ja bereits, und sie haben den Rekord damit schon in der Tasche. Die Frage ist nur, wohin sie ihn noch treiben, ob über diese Saison hinaus oder ob eventuell erst einmal Schluss sein könnte. Als Tabellenfünfzehnter nach einem Herbst mit neun Punktspielniederlagen am Stück sollte man vorsichtig sein.

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Auch wenn aus dem Kreis der damaligen Oberligisten Hansa Rostock mit zwölf Spielzeiten auf die mit Abstand meisten Partien verweisen kann, hielt es der letzte Meister aus dem Osten Deutschlands zunächst nur einen Durchgang (1991/92) aus. Dynamo Dresden ging in der vierten Spielzeit die Puste aus. Im Gegensatz zu den Männern von der Ostseeküste, die 1995 mit Trainer Frank Pagelsdorf zurückkamen, schafften es die Schwarz-Gelben aus Sachsen bisher nicht wieder. Dem VfB Leipzig, inzwischen wieder zum 1. FC Lokomotive zurückmutiert, war 1993/94 auch nur eine Spielzeit vergönnt, für Energie Cottbus waren es insgesamt zwar sechs, die Lausitzer aber teilten ihr halbes Dutzend in zwei Dreier-Etappen (2000/03, 2006/09) auf.

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29.12.2023

29.12.2023

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Stolz können die Eisernen deshalb durchaus sein auf ihre Bilanz in einer Spielklasse, die zunächst gar nicht gemacht schien für sie. Zunächst sind sie der bislang letzte Zweitligist, der 2019 über die Relegation den Aufstieg schaffte. Alle anderen strauchelten. Zudem haben die Köpenicker eine Performance an den Tag gelegt, die nicht einmal sie selbst von sich erwartet hatten und die nichts als blankes Staunen hervorgerufen hat. Während die damaligen Mitaufsteiger hier und da ins Trudeln kamen, zog es die Männer um Trainer Urs Fischer und Kapitän Christopher Trimmel durch Europa. So wie die Eisernen immer besser........

© Berliner Zeitung


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