Gut ist noch lange nichts beim 1. FC Union. Mit vier Heimsiegen in Folge und dazu zwei Punkten aus der Fremde scheint zwar erst einmal die Talsohle durchschritten. Doch noch immer ist das innere Gefüge der Eisernen fragil; zumal sie mehr als ein Tor zumeist nicht erzielen, wenn überhaupt. Zwei Treffer in einem Spiel sind ihnen in den fünf Partien nach der Winterpause jedenfalls nicht gelungen. Ein Glück, dass wenigstens die Defensive an Stabilität gewonnen und dass die saubere Weste sowohl gegen Darmstadt als auch gegen Wolfsburg zu sechs Zählern gereicht hat. Hoffentlich bleibt sie auch in der Partie am Sonnabend, 15.30 Uhr, bei der TSG Hoffenheim sauber.

Viel, behaupten zumindest diejenigen, denen man Verständnis darüber nachsagt, hänge von der Taktik ab. Dreier- oder Viererkette; eine Abwehr, die bei eigenen Offensivaktionen aus drei Verteidigern besteht und im Rückwärtsgang zu einer Fünferkette anwächst; fallweise vor welcher Abwehr auch immer davor ein oder auch zwei Sechser – der Systeme gibt es viele. Nur ist es immer interessant, wie sie interpretiert werden und was die Spieler, flexibel oder weniger spontan, daraus machen.

Es kommt schon mal vor, dass ein Trainer, nach seinem Matchplan befragt, antwortet wie einst Robert Klauß als Coach des 1. FC Nürnberg: „Mit einem 4-2-2-2 auf Pressinglinie eins sind wir angelaufen. Nach Ballgewinn über den ballfernen Zehner wollten wir umschalten. Im Ballbesitz sind wir in eine Dreierkette abgekippt mit dem asymmetrischen Linksverteidiger und dem breitziehenden linken Zehner, sodass wir im 3-4-3 respektive 3-1-5-1, je nachdem, wo sich Spieler X aufgehalten hat, abgekippt sind.“

Hallo, noch jemand da? Vier Jahre ist das her, Klauß war damals 35 und ganz und gar nicht zu Späßen aufgelegt. Schließlich hatten die Nürnberger ihr Heimspiel gegen den FC St. Pauli 1:2 verloren und waren auf Tabellenrang 14 abgerutscht. Außerdem ist Klauß, in Eberswalde geboren und als Kind beim FC Strausberg am Rande Berlins zum Vereinsfußball gekommen, kein Träumer. Er versteht sein Fach, und derzeit verlässt sich Österreichs Rekordmeister Rapid Wien auf seine Expertise. Seinen Lehrgang zum Fußballlehrer schloss Klauß im März 2018 als Jahrgangsbester ab. Note: 1,0. Anschließend wurde er bei RB Leipzig, wo er längst im Nachwuchsbereich arbeitete, Assistent von Ralf Rangnick und ein Jahr darauf der von Julian Nagelsmann. Ganz daneben – der eine ist mittlerweile Trainer des österreichischen, der andere des deutschen Nationalteams, und beide sind bei der EM in diesem Jahr dabei – kann Klauß mit seinen Ansichten wohl nicht liegen.

13.02.2024

15.02.2024

•gestern

15.02.2024

gestern

Deshalb schob er in nicht mehr ganz so verquastem Trainer-Deutsch hinterher: „Die Frage ist: Wie haben wir es umgesetzt? Wir haben es einfach schlecht umgesetzt. Es liegt nicht an taktischen Dingen, sondern es liegt an den Basics: zweite Bälle gewinnen; viele heiße Duelle gewinnen; Sprints setzen; fleißig nacharbeiten; ersten Kontakt sauber machen; Zehn-Meter-Pass zum Mitspieler bringen; sich aktiv freilaufen. Das sind genau die Dinge. Wenn diese Dinge funktionieren …“ Bestimmt kann jeder Mathematiklehrer so oder so ähnlich erklären, warum die Klassenarbeit über trigonometrische Funktionen oder die Klausur über Stochastik, obwohl zuvor fleißigst gepaukt, mal wieder in die Hosen gegangen ist.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie sehr häufig in der Mitte. „Geht’s raus und spielt’s Fußball“, wie Franz Beckenbauer es seinem Team 1990 zur Weltmeisterschaft gesagt haben soll, funktioniert wohl auch nur bei den Besten der Besten. Derart verkopfen wie Klauß sollte man es jedoch auch nicht. Wer soll und kann einem Trainer bei einer solchen Spieleinweisung überhaupt folgen, wenn längst nicht alle in einem Bundesligateam die deutsche Sprache aus dem Effeff beherrschen?

„Alles Andras“ – die Fan-Kolumne zum 1. FC Union Berlin: Zu Besuch in Hoppistan

gestern

Prömel über den 1. FC Union Berlin: „An dem Tag hat der ganze Verein geweint“

15.02.2024

Beim 1. FC Union hatte Urs Fischer das Dilemma bald erkannt und schnell ein Gegenmittel gefunden. Das Zauberwort lautete: einfacher Fußball. Mit Hacke, Spitze, eins-zwei-drei haben sie im Stadion An der Alten Försterei noch nie etwas am Hut gehabt. Ball-Rastellis waren sie auch noch nie, eher rustikale Arbeiter, von Max Kruse mal abgesehen. Die Devise des ehemaligen Trainers hieß deshalb: Wir dürfen nicht den Fußball spielen, den jeder sehen möchte. Wir müssen vielmehr den perfektionieren, den wir beherrschen. Der kann manchmal zäh aussehen, manchmal wild, hin und wieder sogar langweilig. Am Ende nur sollte nach Möglichkeit das Ergebnis stimmen und der Gegner Respekt vor uns haben.

Genau das scheint Nenad Bjelica zu kopieren. Zumindest geben die Resultate und Punkte dem Fischer-Nachfolger recht. Nicht diejenigen, die Fußball zaubern, haben bei ihm einen Stein im Brett, sondern diejenigen, die ihn arbeiten. Fürs Erste zumindest. So wie Benedict Hollerbach, der wieselflinke Angreifer, der mit seiner Schnelligkeit stark an Sheraldo Becker erinnert. Wie Rani Khedira, der unermüdliche Antreiber und dreiste Balldieb im hinteren Mittelfeld. Auch wie Josip Juranovic, nur 1,73 Meter groß, aber ein Kraftpaket und zäher Bursche. Oder Kevin Vogt, der an diesem Spieltag an seine jahrelange ehemalige Wirkungsstätte (193 seiner 324 Bundesligaspiele bestritt er für die TSG) zurückkehrt, vom ersten Tag an aber gezeigt hat, dass er die Union-DNA komplett verinnerlicht hat, und der jetzt der Abwehr Sicherheit gibt. Nicht zuletzt wie Christopher Trimmel, der nach seiner Sperre von zwei Spielen zurückkehrt.

Während seiner Abwesenheit hat das Team, das er in seinen bisherigen 128 Bundesligaeinsätzen angeführt hat, zumindest Mainz mit einem 1:1 zunächst auf Distanz gehalten und mit dem 1:0 gegen Wolfsburg den Abstand auf die unmittelbare Gefahrenzone vergrößert. So gut haben sich die Eisernen zuletzt vor einem halben Jahr gesehen. Nach dem Heimspiel gegen Hoffenheim, einer 0:2-Niederlage, hatte der Vorjahresvierte auf den Relegationsplatz ein Plus von fünf Punkten. Nun, nach 21 Spieltagen, vielen Niederlagen und bösen Turbulenzen, einem Trainerabschied und einer Trainersperre, wieder. Einerseits hätte es schlimmer kommen können, andererseits ist es noch immer schlimm genug, auch wenn Manager Oliver Ruhnert erst dieser Tage gesagt hat, dass sich die Mannschaft nun dort befinde, wo die meisten sie schon immer verortet haben: im Kampf gegen den Abstieg.

1. FC Union Berlin: Oliver Ruhnert spricht zu Gerüchten um seine Person

14.02.2024

1. FC Union Berlin: Immerhin auf die Alten ist bei den Eisernen (wieder) Verlass

14.02.2024

Es scheint, als ob dieses Szenario nach den Höhenflügen der ersten vier Jahre im Oberhaus des deutschen Fußballs erst durch die Köpfe aller hindurchgemusst hat. Dabei hat es in der Historie der Bundesliga einige Teams erwischt, die damit viel weniger gerechnet haben als das der Rot-Weißen. Der 1. FC Nürnberg ist 1969 als Titelverteidiger abgestiegen. Alemannia Aachen war in Nürnbergs Abstiegsjahr Vizemeister, zwölf Monate später gleichfalls Absteiger. Auch Vierte des Vorjahres haben alles andere als einen Freibrief. Zweimal bereits hat es einen – deshalb noch immer große Vorsicht, Union! – ein Spieljahr später erwischt, 1996 den 1. FC Kaiserslautern und 2010 den Berliner Nachbarn aus Charlottenburg. Dabei haben die Pfälzer nach ihrem damaligen Abstieg eine bislang einmalige Performance hingelegt. Nicht, indem sie sofort wieder zurückgekehrt sind, das haben andere sogar schon mehrfach hinbekommen, sondern dass sie als Wiederaufsteiger Meister geworden sind. Darauf, dieses ganz und gar besondere Kapitel deutscher Bundesligahistorie womöglich zu wiederholen, sollte sich jedoch lieber niemand ernsthaft verlassen. Ambitionen, als krasser Außenseiter tatsächlich Chancen auf den Titelgewinn zu haben, wie es den Eisernen erst vor anderthalb Jahren selbst von seriösen Kennern der Szene eingeflüstert worden war, sollten sie erst gar nicht wieder in ihre Köpfe lassen. Nie wieder.

Dafür, so der Eindruck in einigen der vergangenen Partien, traut sich das Spielglück wieder öfter auf die Seite der Köpenicker. Vielleicht passiert das auch deswegen, weil die Rot-Weißen ein Stückchen zu sich selbst gefunden haben. Da braucht es keinen asymmetrischen Linksverteidiger, keinen ballfernen und erst recht keinen breitziehenden linken Zehner. Aber auch kein „Geht’s raus und spielt’s Fußball“. Es braucht solides Handwerk, das in diesem besonderen Fall per Fuß und manchmal auch per Kopf vergoldet wird.

QOSHE - Dreiste Balldiebe: Bei den Eisernen geht es wieder Bergauf - Andreas Baingo
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Dreiste Balldiebe: Bei den Eisernen geht es wieder Bergauf

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17.02.2024

Gut ist noch lange nichts beim 1. FC Union. Mit vier Heimsiegen in Folge und dazu zwei Punkten aus der Fremde scheint zwar erst einmal die Talsohle durchschritten. Doch noch immer ist das innere Gefüge der Eisernen fragil; zumal sie mehr als ein Tor zumeist nicht erzielen, wenn überhaupt. Zwei Treffer in einem Spiel sind ihnen in den fünf Partien nach der Winterpause jedenfalls nicht gelungen. Ein Glück, dass wenigstens die Defensive an Stabilität gewonnen und dass die saubere Weste sowohl gegen Darmstadt als auch gegen Wolfsburg zu sechs Zählern gereicht hat. Hoffentlich bleibt sie auch in der Partie am Sonnabend, 15.30 Uhr, bei der TSG Hoffenheim sauber.

Viel, behaupten zumindest diejenigen, denen man Verständnis darüber nachsagt, hänge von der Taktik ab. Dreier- oder Viererkette; eine Abwehr, die bei eigenen Offensivaktionen aus drei Verteidigern besteht und im Rückwärtsgang zu einer Fünferkette anwächst; fallweise vor welcher Abwehr auch immer davor ein oder auch zwei Sechser – der Systeme gibt es viele. Nur ist es immer interessant, wie sie interpretiert werden und was die Spieler, flexibel oder weniger spontan, daraus machen.

Es kommt schon mal vor, dass ein Trainer, nach seinem Matchplan befragt, antwortet wie einst Robert Klauß als Coach des 1. FC Nürnberg: „Mit einem 4-2-2-2 auf Pressinglinie eins sind wir angelaufen. Nach Ballgewinn über den ballfernen Zehner wollten wir umschalten. Im Ballbesitz sind wir in eine Dreierkette abgekippt mit dem asymmetrischen Linksverteidiger und dem breitziehenden linken Zehner, sodass wir im 3-4-3 respektive 3-1-5-1, je nachdem, wo sich Spieler X aufgehalten hat, abgekippt sind.“

Hallo, noch jemand da? Vier Jahre ist das her, Klauß war damals 35 und ganz und gar nicht zu Späßen aufgelegt. Schließlich hatten die Nürnberger ihr Heimspiel gegen den FC St. Pauli 1:2 verloren und waren auf Tabellenrang 14 abgerutscht. Außerdem ist Klauß, in Eberswalde geboren und als Kind beim FC Strausberg am Rande Berlins zum Vereinsfußball gekommen, kein Träumer. Er versteht sein Fach, und derzeit verlässt sich Österreichs Rekordmeister Rapid Wien auf seine Expertise. Seinen Lehrgang........

© Berliner Zeitung


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