Ein 100-Meter-Sprinter kennt nur einen Weg ins Ziel. Den geraden, den kürzesten. Na gut, der ist in diesem Fall ohnehin vorgeschrieben, weil er zwischen zwei Linien verläuft, die 122 Zentimeter parallel zueinander die Orientierung vorgeben. Der bisherige Idealfall ist, dass ein Läufer diese Strecke in 9,58 Sekunden zurücklegt. So passiert am 9. August 2009 im Berliner Olympiastadion. Dieser derzeit schnellste Mensch der Welt heißt Usain Bolt und kommt aus Jamaika.

Auch im Fußball hat Bolt sich versucht. Bei den Central Coast Mariners trainierte er zwei Monate mit, erzielte in einem Testspiel sogar zwei Tore. Auf einen Vertrag aber konnten sich die Australier und der Sprinter nicht einigen. Sogar in Deutschland hat Bolt einige Eindrücke hinterlassen, wenn auch wenige. Bei Borussia Dortmund lockte er zu seinem ersten Training immerhin 1490 Kiebitze. Schnell aber war klar: Nicht immer wollte der Ball so wie sein Fuß.

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Was viele vorher wussten, wurde auch beim letztlich verhinderten Quereinsteiger klar: Beim Fußball ist der kürzeste Weg nicht immer der beste. Auch auf einem Umweg kommt man ans Ziel, oft auf jeden Fall seinem Traum deutlich näher. Selbst große Prominenz musste den hin und wieder mal gehen. Philipp Lahm, 2014 Kapitän der Weltmeisterelf, verbrachte, nachdem es bei Bayern München zunächst nur für Einsätze im Amateurteam reichte, zwei Spielzeiten beim VfB Stuttgart. Toni Kroos, ebenso Weltmeister, nach seiner Zeit bei den Bayern mit Real Madrid erfolgreich, drehte einst eine anderthalbjährige Ehrenrunde bei Bayer Leverkusen.

Gerade beim Kicken ist ein Umweg immer mal wieder auffällig. Auch beim 1. FC Union kennen sie derartige Beispiele. So drohte die Karriere von Robert Andrich als Zweit- und Drittligaspieler eher unspektakulär zu verlaufen. Erst mit dem Wechsel 2019 nach Köpenick bekam sie einen Schub, der ihn in Leverkusen jüngst sogar zum Nationalspieler machte. Rani Khedira musste gleichfalls einige Kurven nehmen, um dort anzukommen, wo er jetzt ist, als einer, der aus dem Team der Eisernen kaum mehr wegzudenken ist.

Köpenick als Karrierekatapult

Manchmal aber wird es auf einer bestimmten Position noch deutlicher: beim Torhüter. Als Andreas Luthe zum 1. FC Union kam, hatte er 32 Bundesligaspiele bestritten, viel zu wenig für einen damals 33-Jährigen mit seinem Talent. In Berlin katapultierte Luthe sich in zwei Jahren auf weitere 58 Spiele. In Kaiserslautern wiederum, wohin der Schlussmann danach wechselte, war er zunächst die Nummer eins.

Wie es einem Schlussmann, der viele Jahre die Bälle wie selbstverständlich fängt und faustet, ergehen kann, hat zuletzt Timo Horn erlebt. Ohne ihn im Tor konnten sich seine Anhänger den 1. FC Köln nicht vorstellen, und zwar elf Jahre lang. Bis mit Steffen Baumgart ein neuer Trainer kam und mit Marvin Schwäbe der Konkurrent im Kasten plötzlich an der Vereinslegende vorbeihechtete. Seit dem Sommer ist Horn, mit 30 Jahren im eigentlich besten Alter für einen Fußballer und für einen Torhüter sogar ziemlich jung, vereinslos.

Frederik Rönnow, seit dreieinhalb Jahren ein Eiserner, kennt dieses Wechselspiel ebenso. Nachdem er mit 99 Erstligaspielen in drei Jahren für Bröndby Kopenhagen, wo kurioserweise Schwäbe sein Erbe antrat, 2018 in die Bundesliga kam, brachte er es in wiederum drei Jahren für Eintracht Frankfurt und Schalke zusammen auf lediglich 22 Spiele. In Köpenick musste er sich deshalb hinter Luthe anstellen und schaffte erst nach dessen Abgang den Sprung zur Stammkraft.

Allerdings setzt sich die Achterbahnfahrt fort. Nur auf etwas andere Weise. Im Vorjahr schien Rönnow in manchen Spielen schier unüberwindbar zu sein. In elf seiner 29 Punktspiele hatte er seinen Kasten sauber gehalten. Das war nach dem Dortmunder Gregor Kobel (11 in 27) der zweitbeste Wert. In diesem Spieljahr ist es dem Schlussmann in noch keiner Partie gelungen, die Null zu halten. Manches, so auch den für viele noch immer unvorstellbaren Abgang von Urs Fischer, kann man tatsächlich nicht erklären.

Womit der Name Moritz Nicolas auftaucht und mit ihm Borussia Mönchengladbach, am Sonnabend, 15.30 Uhr, Gegner des 1. FC Union. In Köpenick ist der 26-jährige Schlussmann kein Unbekannter. In der ersten Bundesligaspielzeit der Eisernen war er hinter Rafal Gikiewicz die Nummer zwei und sollte Erfahrungen sammeln statt Einsätze. Dass er dennoch zu seinem Debüt in der höchsten Spielklasse kam, hatte eher kuriose Gründe. Erstens stand Gikiewicz vor seinem Abgang, zweitens hatten die Eisernen Tage zuvor den Klassenerhalt perfekt gemacht.

Nirgendwo wurde Moritz Nicolas heimisch, ein Torhüter auf Durchreise

Glücklich aber schien Nicolas mit seiner Premiere nicht zu werden, zumal er beim 0:4 in Hoffenheim kaum Werbung für sich machen konnte. Zudem war die Leihe in Köpenick mit Saisonende vorbei. Schlimmer noch. Jedes weitere Spieljahr folgte eine weitere Ausleihe. Erst zum VfL Osnabrück, wo es beim in der Relegation abgestiegenen Zweitligisten jedoch auch nur zu einem Saisonspiel reichte. Danach zu Viktoria Köln, einem Mittelfeldteam der dritten Liga. Wieder ein Jahr später zu Roda Kerkrade, Zweitligist in den Niederlanden. Nirgendwo wurde er heimisch – ein Torhüter auf Durchreise.

Einer, dessen Feuertaufe mit vier Gegentoren ziemlich in die Hose gegangen war und dessen Traum von einer großen Zukunft arg gelitten hatte, könnte durchaus an sich zweifeln. An eine Rückkehr nach Mönchengladbach war kaum zu denken. Bis sich dort ein Vakuum auftat. Ausgelöst wurde es eigentlich von einem, der mit dem Team vom Niederrhein nichts zu tun hat, Manuel Neuer. Nachdem sich der Nationaltorhüter vor gut einem Jahr beim Skilaufen jedoch das Bein gebrochen hatte, nahm das Torhüterroulette Fahrt auf. Weil Yann Sommer nach München wechselte, standen sie im Borussia-Park ganz hinten plötzlich blank da.

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Zwar glaubten sie mit Jonas Omlin mehr als einen Ersatz gefunden zu haben. Nachdem sich Omlin im Spätsommer jedoch an der Schulter verletzt hatte, eröffnete sich wie aus dem Nichts die Chance für Moritz Nicolas. Der Torhüter, der womöglich als Unvollendeter in die Borussia-Historie eingegangen wäre, erlebte nach vier Jahren in der Fremde am 2. September einen seiner emotionalsten Momente. Im Heimspiel gegen Bayern München stand er erstmals in der Bundesliga für seinen Stammverein im Kasten.

Seitdem, seit elf Spielen, ist Nicolas bei Trainer Gerardo Seoane gesetzt. Nicht eine Minute hat der Spätberufene gefehlt. Selbst als er mal patzte, sprach ihm der Coach das Vertrauen aus: „Zur Entwicklung eines jungen Spielers gehören Fehler dazu. Und Fehler passieren Torhütern – auch wesentlich erfahreneren Kollegen.“ Ein Machtwort war gesprochen und Nicolas bestätigt.

Auf die Null wartet Rönnow in diesem Herbst noch immer

Seine Bilanz ist mit je vier Siegen und Niederlagen sowie drei Unentschieden ausgeglichen. Zu-Null-Spiele, die einem Schlussmann so etwas wie den Ritterschlag verleihen, kann Nicolas jedoch erst eines vorweisen. Vor vier Wochen, beim 4:0 gegen Wolfsburg, ist es ihm gelungen. „Endlich die Belohnung für viele starke Leistungen. Weiße Weste für Mo“, posteten die Mönchengladbacher. Wolfsburg scheint Nicolas zu liegen. Am Dienstag, beim 1:0 gegen den VfL im Pokal und dem Einzug der Gladbacher ins Viertelfinale, hielt er die Null sogar über 120 Minuten und bekam ein erneutes Lob vom Trainer: „Moritz ist sehr konstant in seinen Leistungen geworden.“

Auf die Null wartet Frederik Rönnow in diesem Herbst dagegen noch immer. Vielleicht wird Unions Nummer eins einem seiner Vorgänger in Köpenick ja im direkten Duell zeigen, dass er es noch immer kann. Umwege hat der Däne schließlich auch schon hinter sich.

QOSHE - Über drei Ecken ans Ziel: Doch nicht immer ist Union ein Karrierekatapult - Andreas Baingo
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Über drei Ecken ans Ziel: Doch nicht immer ist Union ein Karrierekatapult

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Auch im Fußball hat Bolt sich versucht. Bei den Central Coast Mariners trainierte er zwei Monate mit, erzielte in einem Testspiel sogar zwei Tore. Auf einen Vertrag aber konnten sich die Australier und der Sprinter nicht einigen. Sogar in Deutschland hat Bolt einige Eindrücke hinterlassen, wenn auch wenige. Bei Borussia Dortmund lockte er zu seinem ersten Training immerhin 1490 Kiebitze. Schnell aber war klar: Nicht immer wollte der Ball so wie sein Fuß.

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© Berliner Zeitung


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