Seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas am 7. Oktober auf Israel ist die Zahl der antisemitischen Straftaten in Berlin, wie in ganz Deutschland, rapide gestiegen. Kein Tag vergeht, an dem nicht gegen Juden gehetzt wird oder sich der Antisemitismus auf „Israel-kritischen“ Demonstrationen Bahn bricht.

Zunehmend richten sich die Anfeindungen und nun auch Morddrohungen aus Deutschland gegen einen Mann, der mehr als 4000 Kilometer südlich von Berlin lebt: den Sprecher der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Arye Shalicar.

Der heute 46-Jährige vollzog einen beruflichen Aufstieg, wie ihn nur wenige aus dem Milieu schafften, in dem er aufwuchs: Arye Shalicar lebte als Kind in Berlin-Spandau, als Jugendlicher in Berlin-Wedding und war Mitglied mehrerer Gangs. Obwohl er Jude war, wurde er in den Gangs akzeptiert, auch wenn es genügend Leute gab, die ihn deshalb nicht in ihren Reihen sehen wollten.

Vor 20 Jahren ging er nach Israel, studierte und arbeitet inzwischen im Büro des Ministerpräsidenten – eigentlich. Nachdem die Hamas am 7. Oktober in Israel einfiel und 1200 Menschen grausam ermordete und Hunderte als Geiseln in den Gazastreifen verschleppte, wurde Shalicar als Major der Reserve wieder in den aktiven Dienst gerufen.

Er ist Pressesprecher der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF, Israel Defense Forces) und vermittelt in deutscher Sprache die Sicht Israels und erklärt unter anderem in seinem täglichen Podcast „Nahost Pulverfass – Täglicher Kriegsbericht aus Israel“ das operative Vorgehen der IDF. Darin schildert er persönliche Eindrücke und erklärt, warum die Israel Defence Forces erst aufhören werden, wenn sich die Hamas ergibt und die 134 noch im Gazastreifen festgehaltenen israelischen Geiseln frei sind.

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04.03.2024

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•vor 20 Min.

Shalicar, der das Handeln der IDF nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Persisch, Englisch und Türkisch erklärt, ist seit fünf Monaten im deutschen Fernsehen präsent, sein Gesicht ist bekannt. Im Dezember nahm Shalicar am Gemeindetag des Zentralrats der Juden in Berlin teil und traf unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock.

Schutz durch die Berliner Polizei hatte er angesichts seiner Position nicht. Auch nicht, als er über den Kudamm in Charlottenburg lief, arabische Jugendliche auf ihn aufmerksam wurden und ihn beleidigten, wie er im Teil 107 seines Podcasts berichtet. Zu einer handgreiflichen Eskalation sei es zum Glück nicht gekommen.

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Polizeischutz wolle er nicht unbedingt, sagt er. „Wenn ich mit Polizeischutz herumlaufe, haben die Feinde mein Leben schon verändert.“ Aber nach dem Berlin-Besuch wurde ihm klar: „Ich kann mich in manchen Gegenden Deutschlands nicht mehr frei bewegen.“

So geht es derzeit vielen jüdischen Menschen in Berlin und andernorts. Nach dem Hamas-Überfall registrierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) allein bis zum 9. November 994 antisemitische Vorfälle in Deutschland. Die Berliner RIAS-Stelle registrierte in dieser Zeit 282 antisemitische Vorfälle – das sind mehr als acht pro Tag. 2022 waren es im Durchschnitt täglich zwei bis drei Vorfälle.

Auch dem immer prominenter gewordenen Berliner Arye Shalicar schlägt mehr Hass und Antisemitismus entgegen – vor allem aus der arabischen Community. Hunderte Beleidigungen und Drohungen habe er erhalten, sagt er. Seit zwei, drei Monaten seien die Drohungen von einem anderen Kaliber. „Die trauen sich immer mehr, weil sie das Gefühl haben, dass alles erlaubt ist“, sagt er. „Man nimmt kein Blatt mehr vor den Mund.“

Und so nahm in letzter Zeit auch die Zahl der Morddrohungen gegen ihn zu, die in den sozialen Medien – vor allem bei Instagram und Facebook – und bei Demonstrationen geäußert werden. Eine Person, der sich auf X (vormals Twitter) @anselemeq34 nennt, schrieb: „Shalicar, Jude, gehört öffentlich gehängt für seine Verbrechen (…) wie damals Nazis öffentlich erhängt wurden.“ Der Tweet wurde von X inzwischen entfernt.

Auch auf Instagram wird ihm mit dem Tod gedroht. „Ich werde dich finden. Ich werde dich jagen (…) Wenn du tot bist, wirst du dir wünschen, zu sterben, denn in dieser Welt hat der Mensch nicht mal ansatzweise Macht oder Rederecht.“

Solche Drohungen kommen nicht nur aus Deutschland. Bei einer Demonstration in Wien etwa wurden Flyer verteilt, mit Shalicars Foto und der Aufschrift „Tot und nur Tot – Auf gar keinen Fall lebend“. Auf den Zetteln wurde er als „Stinkender Saujud“ bezeichnet. Bei einer Demo in Bonn zeigte ein Plakat sein Foto „Vom Messerstecher zum Kriegsverbrecher“ – das sich wohl auf seine Jugendzeit in Wedding bezieht. Auch in Berlin findet fast jedes Wochenende eine Demo gegen Israel statt.

Wie hält Arye Shalicar all diese Drohungen und Beleidigungen aus? Er sagt dazu: „Ich bin Weddinger. Und IDF-Sprecher. Mehr geht nicht. Da kann kommen, wer will.“

QOSHE - Berliner Sprecher der Israelischen Armee bekommt Morddrohungen aus Deutschland - Andreas Kopietz
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Berliner Sprecher der Israelischen Armee bekommt Morddrohungen aus Deutschland

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06.03.2024

Seit dem Angriff der radikalislamischen Hamas am 7. Oktober auf Israel ist die Zahl der antisemitischen Straftaten in Berlin, wie in ganz Deutschland, rapide gestiegen. Kein Tag vergeht, an dem nicht gegen Juden gehetzt wird oder sich der Antisemitismus auf „Israel-kritischen“ Demonstrationen Bahn bricht.

Zunehmend richten sich die Anfeindungen und nun auch Morddrohungen aus Deutschland gegen einen Mann, der mehr als 4000 Kilometer südlich von Berlin lebt: den Sprecher der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Arye Shalicar.

Der heute 46-Jährige vollzog einen beruflichen Aufstieg, wie ihn nur wenige aus dem Milieu schafften, in dem er aufwuchs: Arye Shalicar lebte als Kind in Berlin-Spandau, als Jugendlicher in Berlin-Wedding und war Mitglied mehrerer Gangs. Obwohl er Jude war, wurde er in den Gangs akzeptiert, auch wenn es genügend Leute gab, die ihn deshalb nicht in ihren Reihen sehen wollten.

Vor 20 Jahren ging er nach Israel, studierte und arbeitet inzwischen im Büro des Ministerpräsidenten – eigentlich. Nachdem die Hamas am 7. Oktober in Israel einfiel und 1200 Menschen grausam ermordete und Hunderte als Geiseln in den Gazastreifen verschleppte, wurde Shalicar als Major der Reserve wieder in den aktiven Dienst gerufen.

Er ist........

© Berliner Zeitung


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