Berlins Politiker freuen sich, dass der 1. Mai friedlich verlaufen ist. „Das war der friedlichste 1. Mai seit Jahrzehnten in Berlin, und darüber können wir uns am meisten freuen“, sagte der CDU-Fraktionschef Burkard Dregger am Donnerstag im Abgeordnetenhaus.

Der SPD-Innenpolitiker Martin Matz ergänzte: „Dieser 1. Mai hat in jeder Hinsicht ein positives Zeichen gesetzt.“ Besonnene, deeskalierende Polizeistrategie habe über die Jahre für Beruhigung gesorgt. „Auch die befürchteten antisemitischen Ausfälle sind nicht zahlreich gewesen. Und wenn es sie gab, dann ist die Polizei konsequent vorgegangen.“ Das, so Matz, sei eine „wichtige Botschaft an die jüdische Community in Berlin, die in letzter Zeit viel aushalten musste“. Und dann sagte er noch: „Das ist der 1. Mai, wie wir ihn uns wünschen.“

Wirklich? Tatsächlich war der 1. Mai gleichermaßen „friedlich“ wie beunruhigend und angsteinflößend.

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Keine Frage: Das Konzept der Polizei ist zu loben. 6200 Beamte ließen mit ihrer starken Präsenz nichts anbrennen. Zugleich blieben sie deeskalierend entspannt. Im Vorfeld leistete die Polizei mit den Bezirken intensive Präventionsarbeit. Sie hatte aber ein „niedrigschwelliges Einschreiten“ angekündigt, sollte es volksverhetzende, antisemitische oder Gewaltaufrufe geben. Wie Innensenatorin Iris Spranger im Abgeordnetenhaus sagte, gab es bei der 18-Uhr-Demonstration einen antisemitischen Ausruf, worauf die Polizeikräfte interveniert hätten. „Wer Hass sät, wird die Konsequenz des Rechtsstaats ernten“, so Spranger.

Solche Worte klingen gut. Die Strafbarkeitsgrenze wurde offensichtlich selten überschritten, zumal die Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist. Man ist nicht automatisch Antisemit, wenn man die israelische Politik kritisiert oder Frieden in Gaza fordert. Und doch – das ist das Beunruhigende – war die 18-Uhr-Demonstration am 1. Mai von der Spitze bis zum Ende israelfeindlich und damit antisemitisch konnotiert. Wir erinnern uns nicht an „syrienkritische“ Proteste nach Assads massenmörderischen Giftangriffen. Oder an Massenaufmärsche mit 12.000 Teilnehmern gegen das Mullah-Regime.

30.04.2024

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30.04.2024

Stattdessen schrie die Rednerin vom Lautsprecherwagen: „Wir lassen uns nicht einschüchtern von der deutschen Staatsraison.“ Kritik an der Hamas, die mit ihrem Überfall auf Israel das größte Pogrom nach der Shoah verübte, war die ganze Demo über nicht zu hören. Stattdessen gilt die Hamas auch an Berliner Unis als „Befreiungsorganisation“.

Wieder am Südstern. #b0105 pic.twitter.com/hZYunC9oPc

Auf einem Plakat wurde bei der Demo Zionismus (also das Existenzrecht Israels) mit deutschem Nationalismus gleichgesetzt, mit einer „faschistischen kolonialen Ideologie“. Ein anderer Demonstrant trug ein Schild „Intifada bis zum Sieg“ (Was heißt das in letzter Konsequenz?).

Demonstranten riefen auf Arabisch: „Schlag, schlag Tel Aviv!“ Mutmaßliche Deutsche klatschten dabei mit.

Die Parole „From the river to he sea – palestine will be free“ steht bei der Polizei auf der Verbotsliste, weil sie die Forderung nach der Auslöschung des Judenstaates enthält. Offenbar nicht unters Strafrecht fällt dagegen, wenn auf Arabisch gerufen wird: „Vom Wasser bis zum Wasser“, wie kolportiert wird.

Die Veranstalter hatten die Wegstrecke bewusst nach Nord-Neukölln verlegt, wo viele arabisch- beziehungsweise palästinensisch-stämmige Menschen wohnen. Sie wollten dort die Proteststimmung nutzen, die durch den von der Hamas ausgelösten Nahost-Krieg entstanden ist. Auf der Sonnenallee hatten zur Feier des Hamas-Überfalls am 7. Oktober Männer mit umgehängten Palästinaflaggen Süßigkeiten verteilt. In Neukölln gab es schwere Auseinandersetzungen zwischen arabischen Jugendlichen und der Polizei.

Bei der Eröffnungskundgebung am Südstern feierte ein Redner die Krawalle. Dann schrie er, dass man eine revolutionäre Arbeiterbewegung brauche. Davon abgesehen: Arbeiter dürften in dem Aufzug, der laut Polizei 12.000 Teilnehmer hatte, kaum gewesen sein – sondern eher Studenten und Partytouristen, die sich mal eben eine Kufiya umgehängt haben, weil man das heute so macht.

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Da fällt es nur noch am Rande auf, dass die Einpeitscherin vom Lautsprecherwagen mit schriller Stimme die Losungen vorgibt, die dann von der Menge – wie bei den Schafen aus Orwells „Farm der Tiere“ – wiederholt werden: „Free free Palestine!“ Von wem eigentlich? Von der Hamas?

Den in der Linken immer breiter werdenden Antisemitismus, der als „Israelkritik“ daherkommt und die einzige Demokratie der arabischen Welt als „Kolonialstaat“ dämonisiert, als Jugendkultur zu bezeichnen, wäre zu harmlos – so wie man nach der Wende in Hoyerswerda entweder „rechts“ oder „links“ wurde.

Was sich entwickelt, ist Teil einer woken „antikolonialistischen“ Bewegung, die aus westlichen Unis auf die Straßen schwappte und den jüdischen Staat als Sündenbock für alles Elend im Globalen Süden sieht. Kurz nach dem Pogrom der Hamas forderten deutsche Linke auf Demos in Berlin, Palästina „von deutscher Schuld“ zu befreien. In London werden jüdische Studenten rausgebrüllt, in New York liefern sich „pro-palästinensische“ Studenten Straßenschlachten mit der Polizei, wird jüdischen Studenten der Zutritt zur Uni verwehrt. Dort ist es noch schlimmer als in Berlin. Aber auch in der ehemaligen Reichshauptstadt ist nach oben alles offen. Wie schon einmal.

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Woker Antisemitismus: Was sich am 1. Mai abspielte, ist bedrohlich und beunruhigend

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02.05.2024

Berlins Politiker freuen sich, dass der 1. Mai friedlich verlaufen ist. „Das war der friedlichste 1. Mai seit Jahrzehnten in Berlin, und darüber können wir uns am meisten freuen“, sagte der CDU-Fraktionschef Burkard Dregger am Donnerstag im Abgeordnetenhaus.

Der SPD-Innenpolitiker Martin Matz ergänzte: „Dieser 1. Mai hat in jeder Hinsicht ein positives Zeichen gesetzt.“ Besonnene, deeskalierende Polizeistrategie habe über die Jahre für Beruhigung gesorgt. „Auch die befürchteten antisemitischen Ausfälle sind nicht zahlreich gewesen. Und wenn es sie gab, dann ist die Polizei konsequent vorgegangen.“ Das, so Matz, sei eine „wichtige Botschaft an die jüdische Community in Berlin, die in letzter Zeit viel aushalten musste“. Und dann sagte er noch: „Das ist der 1. Mai, wie wir ihn uns wünschen.“

Wirklich? Tatsächlich war der 1. Mai gleichermaßen „friedlich“ wie beunruhigend und angsteinflößend.

Verletzte und Festnahmen: Spranger zieht Bilanz zum 1. Mai in Berlin

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Straftäter abschieben? Vereine verbieten? Islamisten sind längst Teil von Deutschland

heute

Keine Frage: Das Konzept der Polizei ist zu loben. 6200 Beamte ließen mit ihrer starken Präsenz nichts anbrennen. Zugleich blieben sie deeskalierend entspannt. Im Vorfeld leistete die Polizei mit den Bezirken intensive Präventionsarbeit. Sie hatte aber ein „niedrigschwelliges Einschreiten“ angekündigt, sollte es........

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