Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Laut einer neuen Prognose des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) wird das Wirtschaftswachstum nach einer leichten Rezession im Jahr 2023 voraussichtlich auch in diesem Jahr stagnieren. Außerdem ist die Zahl der Investitionen aus dem Ausland zum sechsten Mal in Folge rückläufig.

Gleichzeitig wachsen die Sorgen, dass auch deutsche Firmen lieber woanders investieren. Das tun sie bereits. Viele von ihnen zieht es nach Polen – der VW Golf soll in Zukunft zum Teil im Nachbarland produziert werden und nicht mehr in Wolfsburg, auch der Hausgeräte-Hersteller Miele verlagert etwa 700 Arbeitsplätze im Bereich Waschmaschinenmontage von Gütersloh ins polnische Ksawerów. Doch was zieht die Unternehmen dorthin?

Für das Familienunternehmen Miele ist der Grund klar: Niedrigere Produktionskosten. „Auch in Ksawerów stellt Miele qualitativ hochwertige Waschmaschinen her, das aber zu deutlich wettbewerbsfähigeren Kosten, als es in Gütersloh möglich ist“, sagt das Unternehmen auf Anfrage. „Das bezieht sich im Wesentlichen auf die Bereiche Personal und Energie.“ Auch der Bürokratieaufwand sei an vielen Stellen geringer, sodass neue Projekte schneller umgesetzt werden können.

Zahlen der EU zeigen, dass Arbeitnehmer in Polen deutlich weniger Geld verdienen als in Deutschland. So lag der Median, also das mittlere jährliche Äquivalenznettoeinkommen in Deutschland im Jahr 2022 bei 24.925 Euro, in Polen waren es hingehen bei nur 8.946 Euro. Ein Vorteil für Unternehmen, die kostengünstig produzieren, oder anders formuliert: billige Arbeitskräfte wollen.

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08.05.2024

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Außerdem gibt es laut der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in Polen trotz geringer Arbeitslosigkeit in einigen Bereichen ein höheres Fachkräftepotenzial als in Deutschland, beispielsweise in IT-Berufen. „Die Verfügbarkeit von Fachkräften spielt für Investoren heute eine größere Rolle als die geringeren Arbeitskosten“, sagt ein Sprecher der AHK. Das heißt: Der Fachkräftemangel ist nicht so stark ausgeprägt.

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Auch die Energiekosten sind in Polen durchschnittlich niedriger als in Deutschland. Im Jahr 2023 und noch im Februar dieses Jahres zahlten deutsche Privathaushalte mit 41,2 Cent pro Kilowattstunde deutlich mehr als polnische mit 17,7 Cent. Nicht-private Stromkunden in Deutschland – also etwa Industrie oder Gewerbe – zahlten im zweiten Halbjahr 2021, also schon vor dem Ukraine-Krieg, 18,6 Cent pro Kilowattstunde, in Polen waren es nur elf Cent.

Die Industrie in Deutschland klagte deshalb besonders im vergangenen Jahr über hohe Energiepreise. Noch im April 2024 sagte der Geschäftsführer des Chemie-Branchenverbands VCI, Wolfgang Große Entrup, der Berliner Zeitung: „Von Krisenende kann keine Rede sein.“ Laut dem VCI ist der Industriestrompreis für industrielle Großkunden in Deutschland nach wie vor fast viermal so teuer wie in den USA und etwa 75 Prozent höher als in China oder Frankreich.

Der Vergleich mit Polen zeigte zuletzt beim Industriepreis allerdings keinen bedeutsamen Unterschied: Im zweiten Halbjahr des Jahres 2023 hatte sich der deutsche Industriestrompreis an den Polens angenähert – dort lag er bei 21,19 Cent pro Kilowattstunde, in Deutschland bei 21,75 Cent. Grund sind unter anderem, dass die EEG-Zulage in Deutschland im Jahr 2022 weggefallen ist. Auch die Produktionskosten für Strom sind gesunken.

Welches Land als Standort attraktiver ist, lasse sich also „pauschal nicht sagen“, heißt es von Miele. Das hänge von vielen Faktoren ab. Ein schwacher Trost für die betroffenen Beschäftigten, deren Jobs verlagert werden sollen. Wie lokale Medien berichteten, zogen bei der Betriebsversammlung von Miele am Dienstag 700 Mitarbeiter in roten T-Shirts ein, um ein Zeichen gegen den Stellenabbau zu setzen.

Miele ist nicht allein, auch die Firma Bosch investiert kräftig in Polen. 255 Millionen Euro bis zum Jahr 2027 plant das Unternehmen für eine neue Produktionsstätte im polnischen Dobromierz ein, in der ab Jahreswechsel 2025/26 Wärmepumpen für den europäischen Markt hergestellt werden sollen. Um die 500 neue Arbeitsplätze werden entstehen. Warum hat sich das Unternehmen für Polen entschieden?

Die zentrale europäische Lage Polens ermöglicht „schnelle Lieferketten zu den Zielmärkten in Mitteleuropa“, sagt ein Sprecher von Bosch. Kürzere Transportwege und geringere Logistikkosten sorgen auch für günstigere Preise bei den Endkunden. Die Nähe zu der Stadt Wrocław, wo es Universitäten und Forschungsinstitute gebe, gewährleiste außerdem „die Verfügbarkeit hochqualifizierter Talente und gut ausgebildeter Facharbeiter“.

Deutschland hat laut Bosch als Standort viele Stärken, darunter „Innovationsfähigkeit und Domänenkompetenz“. Gleichzeitig sieht das Unternehmen eine ganze Reihe von „Herausforderungen“, besonders in den Bereichen Bildung und Digitalisierung. Auch Genehmigungsprozesse seien eher langsam.

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Ähnliche Gründe nennt das deutsche Dienst- und Versandhandelsunternehmen Otto, das im Herbst 2024 einen großen neuen Logistikstandort im polnischen Iłowa eröffnen will. „Der Standort in Iłowa ist insbesondere durch seine geografische Lage im Herzen Europas für uns relevant“, sagt das Unternehmen. Das sei „keine Entscheidung gegen oder für eine länderspezifischen Wirtschaftsstandort, sondern eine Entscheidung für Europa“.

Ist die Aussicht für Deutschland also gar nicht so schlecht? Alle drei Unternehmen betonen, Deutschland auch in Zukunft treu bleiben zu wollen. „Wir sind als Unternehmensgruppe breit aufgestellt. Unsere Basis ist und bleibt aber Deutschland“, sagt der Sprecher von Otto, und weiter: „An der von zuletzt gerne von rechten Kräften im Lande missbrauchten Diskussion, wie vermeintlich schlimm es um den Standort Deutschland steht, möchten wir uns aber nicht beteiligen.“ Etwa 150 Millionen Euro hat das Unternehmen nach eigenen Angaben in ein automatisiertes Shuttlelager in Oberfranken investiert, das im Sommer 2024 eröffnen soll.

Von Miele heißt es: „Nach wie vor verfügt Miele über acht Werke in Deutschland, von denen keines zur Disposition steht.“ Und auch der Sprecher von Bosch betont: „Bosch steht zum Standort Deutschland, vor allem auch als Fertigungsstandort.“ Gerade erst habe das Unternehmen den Arbeitnehmerverbänden vier Milliarden Euro Investitionen für die deutschen Mobility-Geschäftsbereiche zugesagt, die vom Wandel der Automobilindustrie besonders betroffen sind.

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QOSHE - Warum gehen deutsche Unternehmen lieber nach Polen? - Anika Schlünz
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Warum gehen deutsche Unternehmen lieber nach Polen?

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10.05.2024

Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Laut einer neuen Prognose des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) wird das Wirtschaftswachstum nach einer leichten Rezession im Jahr 2023 voraussichtlich auch in diesem Jahr stagnieren. Außerdem ist die Zahl der Investitionen aus dem Ausland zum sechsten Mal in Folge rückläufig.

Gleichzeitig wachsen die Sorgen, dass auch deutsche Firmen lieber woanders investieren. Das tun sie bereits. Viele von ihnen zieht es nach Polen – der VW Golf soll in Zukunft zum Teil im Nachbarland produziert werden und nicht mehr in Wolfsburg, auch der Hausgeräte-Hersteller Miele verlagert etwa 700 Arbeitsplätze im Bereich Waschmaschinenmontage von Gütersloh ins polnische Ksawerów. Doch was zieht die Unternehmen dorthin?

Für das Familienunternehmen Miele ist der Grund klar: Niedrigere Produktionskosten. „Auch in Ksawerów stellt Miele qualitativ hochwertige Waschmaschinen her, das aber zu deutlich wettbewerbsfähigeren Kosten, als es in Gütersloh möglich ist“, sagt das Unternehmen auf Anfrage. „Das bezieht sich im Wesentlichen auf die Bereiche Personal und Energie.“ Auch der Bürokratieaufwand sei an vielen Stellen geringer, sodass neue Projekte schneller umgesetzt werden können.

Zahlen der EU zeigen, dass Arbeitnehmer in Polen deutlich weniger Geld verdienen als in Deutschland. So lag der Median, also das mittlere jährliche Äquivalenznettoeinkommen in Deutschland im Jahr 2022 bei 24.925 Euro, in Polen waren es hingehen bei nur 8.946 Euro. Ein Vorteil für Unternehmen, die kostengünstig produzieren, oder anders formuliert: billige Arbeitskräfte wollen.

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08.05.2024

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Außerdem gibt es laut der........

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