Unsere Nachbarn kommen zu Besuch, und ich bin ein bisschen aufgeregt. Es sind stilbewusste Menschen, deren Wohnung es in jede Architekturzeitschrift schaffen würde. Sie stehen noch in der Tür, da beginne ich bereits, mich zu entschuldigen. Für den Korbstuhl, der seit der Silvesterfeier ein Loch hat, und den anderen, das Erbstück aus Dresden, der langsam auseinanderfällt.

Und weil ich schon mal dabei bin, erwähne ich gleich noch den Hahn in der Küche, aus dem das Wasser in alle Richtungen spritzt, den Fußboden, der unbedingt mal wieder abgezogen werden müsste, die kaputte Tür der Waschmaschine, die tropfende Armatur unserer Badewanne, das Auto, in das es reinregnet.

Die Nachbarn überreichen mir einen Tulpenstrauß, mein Mann gießt ihnen Weißwein ein. Ich hole die Rote Bete für die Vorspeise aus dem Backofen, dabei rutscht der Abdichtungsgummi aus der Halterung. Das kenne ich von unserem Schlafzimmerfenster.

Während ich den Salat anrichte, überlege ich, wie es eigentlich begonnen, hat mit den Schäden, die nicht mehr repariert wurden, wann wir aufhörten, Handwerker nach Terminen anzubetteln, beschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wann der deutsche Fachkräftemangel bei uns zu Hause angekommen ist.

War es die Reparatur unseres 14 Jahre alten Mercedes, die das Doppelte von dem kostete, was das Auto noch wert ist? Oder der Mann, der unseren Geschirrspüler aus der Wohnung trug, ihn zerkratzt zurückbrachte und 400 Euro bar auf die Hand wollte? Oder eher der Tischler, der unseren Küchentresen viel zu hoch baute, und als wir ihn darauf hinwiesen, eine Säge rausholte, um den unteren Teil abzuschneiden? Vielleicht aber auch der Monteur, der feststellte, dass die Pfütze unterm Küchenschrank auf einen undichten Schlauch zurückzuführen ist, eine Rechnung über 130 Euro schrieb und ging. Ohne den Schlauch zu reparieren.

Ich bot ihm Kaffee an, Kuchen, Trinkgeld. Vergeblich. Die altbewährten Methoden helfen nicht mehr. Auf die Reparatur unserer alten Korbbank habe ich ein Dreivierteljahr gewartet, um dann zu erfahren, dass sie sich nicht mehr lohnt. Als es in unserem Bungalow reinregnete, stellte mein Schwager, ein Bauingenieur, fest, dass die Bitumenplanen verkehrt herum verlegt worden sind. Der Dachdecker ging nicht mehr ans Telefon. Ein anderer, der ranging, wollte das gesamte Dach noch einmal neu decken. Für den doppelten Preis.

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Das war vor zwei Jahren. Seitdem haben wir einen Wasserfleck an der Decke, den ich ignoriere. Auf den Stuhl mit dem Loch lege ich ein Kissen. Fällt kaum auf. Die Waschmaschine lässt sich mit einem Schraubenzieher öffnen. Wenn der Geschirrspüler kaputt ist, waschen mein Mann und ich mit der Hand ab. Wie in meiner Kindheit. Ich hatte ganz vergessen, wie gut man sich dabei unterhalten kann, erkläre ich meinen Nachbarn.

Sie hören lächelnd zu. Der Zustand meines Haushalts scheint sie nicht zu überraschen. Dann beginnen sie zu erzählen. Was bei ihnen alles so kaputt ist. Die Fußbodenheizung, seit Jahren. Der Heizkörper, der die Fußbodenheizung ersetzen soll, den halben Winter. Tropfende Armaturen? Im Bad und der Küche! Von ihrem Bungalow wollten sie gar nicht erst anfangen, sagt die Nachbarin. Die Pumpe, sagt der Nachbar. Aber nicht nur, sagt seine Frau.

Es war ein schöner Abend. Ich habe mich lange nicht mehr so verstanden gefühlt. Und am nächsten Morgen mit neuem Schwung einen Anruf bei einem Handwerker gewagt. Er hat mir einen Termin vorgeschlagen. Im September.

QOSHE - Wie der Fachkräftemangel bei mir zu Hause angekommen ist – und wie ich ihm trotze - Anja Reich
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Wie der Fachkräftemangel bei mir zu Hause angekommen ist – und wie ich ihm trotze

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22.02.2024

Unsere Nachbarn kommen zu Besuch, und ich bin ein bisschen aufgeregt. Es sind stilbewusste Menschen, deren Wohnung es in jede Architekturzeitschrift schaffen würde. Sie stehen noch in der Tür, da beginne ich bereits, mich zu entschuldigen. Für den Korbstuhl, der seit der Silvesterfeier ein Loch hat, und den anderen, das Erbstück aus Dresden, der langsam auseinanderfällt.

Und weil ich schon mal dabei bin, erwähne ich gleich noch den Hahn in der Küche, aus dem das Wasser in alle Richtungen spritzt, den Fußboden, der unbedingt mal wieder abgezogen werden müsste, die kaputte Tür der Waschmaschine, die tropfende Armatur unserer Badewanne, das Auto, in das es reinregnet.

Die Nachbarn überreichen mir einen Tulpenstrauß, mein Mann gießt ihnen Weißwein ein. Ich hole die Rote Bete für die Vorspeise aus dem Backofen, dabei rutscht der Abdichtungsgummi aus der Halterung. Das kenne ich von unserem........

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