Für CDU-Politiker Werner Henning ist es nur eine kleine Plastikkarte. Er hätte nie gedacht, dass sie in Deutschland solch eine Lawine auslöst. Seit 1994 ist er Landrat in Eichsfeld – und seit beinahe vier Wochen testet er in seinem Kreis die Bezahlkarte für Asylbewerber. Für den CDU-Politiker ist das ein „kleines Instrumentarium“ im Umgang mit der Flüchtlingskrise. Aber ein wirkungsvolles, wie er sagt.

Doch seit Tagen blickt er sorgenvoll nach Berlin. Er sieht das Hickhack und die Debatte um die Karte, den Streit in der Ampel, die unterschiedlichen Forderungen der Länder, die Rufe nach einem neuen Gesetz – und er befürchtet, dass sein Projekt zermahlen, zerredet und letztendlich dadurch blockiert wird.

Doch offenbar hat sich die Ampel-Koalition am Donnerstag inzwischen nach langem Hin und Her auf eine bundesweite Bezahlkarte geeinigt. Es gibt einen Kabinettsbeschluss, der gerade in Umlauf gebracht wird. Allerdings lässt die Regierung in diesem Gesetzentwurf wohl viel Spielraum offen - die Bezahlkarte ist eine, zwar ausdrückliche Option im Asylbewerberleistungsgesetz und die Länder sollen selbst entscheiden, wie und ob sie die Karte einsetzen, heißt es.

Die Zeit drängt: Kommende Woche Mittwoch wollen die Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einer neuen Bund-Länder-Runde zur Flüchtlingspolitik zusammenkommen. Die Bezahlkarte wird wieder im Mittelpunkt stehen.

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Henning möchte gerne bei seinem Verfahren bleiben, sagt er. Im Februar führte der CDU-Politiker in Eichsfeld seine Bezahlkarte für Flüchtlinge ein. Für Migranten gibt es seitdem weniger Cash. Zuerst erhielten diese 135 Menschen, von denen sich 17 gleich einen Job gesucht hätten, sagt er heute. Außerdem hätten 35 der betroffenen Flüchtlinge den Landkreis daraufhin verlassen, weil sie auf Bargeld nicht verzichten wollten.

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In Eichsfeld käme hinzu, sagt er, dass sich die Geflüchteten diese Karte ersparen können, wenn sie zumindest einer kleinen Arbeit nachgehen. „Dann zahlen wir die restlichen Aufstockungsbeiträge auch weiterhin in bar. Sonst heißt die Formel: 45 Prozent, also gut 200 Euro, in bar und 55 Prozent auf die Karte.“

Für ihn sei dies „ein Erfolg“, da die Flüchtlinge damit ihr Leben selbst in die Hand nehmen würden. Auch biete die Bezahlkarte einen Anreiz zu arbeiten und sich so auch besser zu integrieren, sagt er. Wer einer Arbeit nachgeht, so der Landrat, bekomme sein Geld ja weiter ausbezahlt – also die Leistungen laut Asylgesetz plus den Verdienst, der damit teilweise verrechnet wird. Ziel ist es, dass bald alle der 600 gemeldeten Flüchtlinge mit Leistungsbezug im Landkreis Eichsfeld die Karte erhalten haben.

Für Henning ist es eine „Sachleistungskarte“, ein modernes Instrumentarium anstelle der Wertmarken, „welche wir vor 30 Jahren an die damals angekommenen bosnischen Flüchtlinge zum Bezug von Sachleistungen ausgegebenen haben, für welche wir selbst Geschäfte zur Einlösung vorher finden mussten.“

Dennoch musste er die vergangenen Wochen erleben, wie die Wogen hochschlugen - vor allem auch seitdem einige Kommunen und Landkreise – unter anderem Eichsfeld, Greiz (ebenfalls Thüringen) oder als erstes Bundesland Hamburg – diesen Weg testen.

Plötzlich war es zur Chefsache im Bund erklärt geworden. Im November beschlossen die Ministerpräsidenten, bundesweit eine Bezahlkarte einzuführen. Seitdem erarbeitete eine Arbeitsgruppe ein Modell für eine Bezahlkarte mit bundeseinheitlichen Mindeststandards. Bis auf Bayern und Mecklenburg-Vorpommern schlossen sich alle Bundesländer einem Vergabe-Verfahren für die technische Ausgestaltung an. Die Bezahlkarte soll im Laufe des Jahres 2024 bundesweit eingeführt werden, oder auch erst 2025.

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Und natürlich gab es die vergangenen Wochen Streit in der Ampel-Koalition. Vor allem die Grünen sperrten sich. Die Parteispitze sagte zwar, dass die Grünen „alles“ täten, um die Bezahlkarte einzuführen. Aber intern rumorte es. Und auch die Bundesländer haben ihre eigenen Ideen und Vorstellungen.

In Berlin schloss sich die schwarz-rote Koalition nach langem Widerstand der SPD dem Vergabe-Verfahren an. Doch nach wie vor sollen nicht so strenge Regeln eingeführt werden wie beispielsweise in anderen Bundesländern.

Geht es nach Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sollen Asylbewerber nach wie vor mit einer Bezahlkarte weiterhin Bargeld abheben können. Die SPD-Politikerin sagt zur Berliner Zeitung: „Ich setze mich dafür ein, dass geflüchtete Menschen in Berlin auch weiterhin das Geld, das ihnen zusteht, zu 100 Prozent selbstbestimmt und ohne Reglementierung verwenden können, auch in Form von Bargeld.“

Sie sehe keinen Grund, an der bestehenden Regelung etwas zu ändern, weil Migranten aufgrund ihrer finanziellen Lage „umso mehr auf Bargeld angewiesen“ seien – sei es bei günstigen Einkäufen auf Wochenmärkten wie am Maybachufer oder auf Flohmärkten.

Kiziltepe sagt weiter: „Ohne Bargeld wäre ja nicht mal eine Kugel Eis im Sommer oder ein Stück Kuchen beim Kuchenbasar in der Schule möglich. Es geht um Gleichberechtigung und Teilhabe. Geflüchtete sollen auch mit der Bezahlkarte selbst entscheiden können, wann sie mit Karte zahlen oder mit Bargeld.“

Die Bezahlkarte sei kein Selbstzweck und überhaupt nicht dazu geeignet, „um mit ihr die Zuwanderung von geflüchteten Menschen zu steuern“. Das Bundesverfassungsgericht habe 2012 ein klares Urteil zu Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gesprochen. „Daran werden wir uns in Berlin halten – auch wenn Bayern dieses Urteil wohl vergessen zu haben scheint oder es bewusst ignoriert.“

Ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums sieht das anders. Er sagt zur Berliner Zeitung: „Es gibt eine bundesweite Diskussion über unterschiedliche Versionen von Bezahlkarten. Zum Beispiel solche, mit denen Bargeldabhebung nur eingeschränkt möglich ist – wie im bayerischen Modell – oder solche, die eine Bargeldabhebung uneingeschränkt ermöglichen. Letzteres würde den Sinn der Bezahlkarte aber ad absurdum führen.“ Dann könnte man gleich beim Bargeld bleiben.

„Wir fordern deshalb zum einen angesichts der unsäglichen bundesweiten Diskussion verbindliche Rechtsklarheit für alle. Und zwar für eine Bezahlkarte, mit der Bargeldabhebung nur beschränkt möglich ist“, so der Sprecher.

Die bayerische Bundesrats-Initiative aber geht noch darüber hinaus. Dort soll der Einsatz der Bezahlkarte verpflichtend sein. „Nur so kann verhindert werden, dass ein Flickenteppich entsteht, wenn manche Länder oder Kommunen dann doch wieder Bargeld auszahlen“, heißt es aus dem bayerischen Innenministerium.

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CDU-Landrat Henning aus Thüringen hofft auf eine schnelle Einigung, die es ihm nicht erschwert, so weiterzumachen wie bisher. Zur Berliner Zeitung sagt er: „Aus langer Erfahrung weiß ich, dass jede neue Schnittstelle neue Risiken, Erschwernisse und Streit mit sich bringt und am Ende nichts mehr funktioniert.“

Dabei funktioniere seine Karte aktuell sehr gut und „ist überhaupt noch nicht mit Streit belastet“. Eben das könne sich schnell ändern. Er sagt auch, dass es für ihn kein neues Asylbewerberleistungsgesetz hätte geben müssen. „Für all das brauche ich kein neues Gesetz. Das alte Asylbewerberleistungsgesetz von 1993 reicht dafür vollkommen aus.“ Aber er werde sich auch dem fügen.

Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, sieht allerdings auch Chancen bei einer Gesetzesänderung. Er sagt zur Berliner Zeitung: „Eine Gesetzesänderung würde den Landkreisen den Umstieg einfacher machen. Wir sprechen uns schon lange für eine Schärfung des Rechtsrahmens ein. Es sollte klar geregelt sein, dass anstelle von Geldleistungen flächendeckend die Bezahlkarte zum Einsatz kommt.“

Dabei gehe es nur um die Form der Leistung, nicht um die Höhe. Die stehe gesetzlich fest. Doch Sager geht davon aus, dass eine Klarstellung im Asylbewerberleistungsgesetz, wonach die Leistungen auf eine Bezahlkarte gebucht werden können, zur Rechtssicherheit beitragen würden. „Zwar sind Bezahlkarten auch heute schon möglich, aber sie erfordern einen gewissen Begründungsaufwand seitens der Verwaltung“, sagt er.

QOSHE - Ampel einigt sich auf Bezahlkarte: Das sagt der Ost-Landrat, der sie schon hat - Anne-Kattrin Palmer
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Ampel einigt sich auf Bezahlkarte: Das sagt der Ost-Landrat, der sie schon hat

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01.03.2024

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Doch seit Tagen blickt er sorgenvoll nach Berlin. Er sieht das Hickhack und die Debatte um die Karte, den Streit in der Ampel, die unterschiedlichen Forderungen der Länder, die Rufe nach einem neuen Gesetz – und er befürchtet, dass sein Projekt zermahlen, zerredet und letztendlich dadurch blockiert wird.

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