Seit dem 9. Februar 2024 ist Christian Herrgott Landrat des Thüringer Saale-Orla-Kreises, er hatte sich Ende Januar in der Stichwahl gegen einen AfD-Kontrahenten durchgesetzt. Keine drei Wochen später präsentierte er jetzt eine Lösung zum Umgang mit der Flüchtlingskrise. Herrgott will Asylbewerber zu vier Stunden Arbeit am Tag verpflichten.

Und schon wird diskutiert: Hat die Idee auch bundesweit eine Chance? Befürworter gibt es, doch nicht jeder wird mitziehen. Für Berlin beispielsweise ist es keine Lösung.

Im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis leben mehr als 1200 Asylbewerber. Sie sollen nun, geht es nach dem Landrat, zur Arbeit verdonnert werden. Der Plan: Die Arbeitszeit beträgt vier Stunden pro Tag und der Stundenlohn beläuft sich auf 80 Cent, was einem Monatsgehalt von 64 Euro entspricht. Dieser Betrag wird ab März auf eine Bezahlkarte überwiesen. Wer sich der Arbeit verweigert, dem drohen Sanktionen in Form einer Kürzung der staatlichen Unterstützung um bis zu 180 Euro.

Die Migranten sollen allerdings nur einfache Arbeiten erledigen, beispielsweise Straßen reinigen, Hecken schneiden, Schnee schippen, so die Idee.

Grundlage ist eine entsprechende Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz, wie ein Kreis-Sprecher am Dienstag sagt. Darin heißt es im Paragraf fünf: „Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet.“

Zunächst solle die Arbeit, so der Plan, an Flüchtlinge verteilt werden, die „freiwillig dazu bereit sind“. Das gehe unter anderem in den Unterkünften selbst – etwa Reinigungs- und Hilfsarbeiten. Und auch Kommunen und Vereine sind ermutigt worden, „Arbeitsgelegenheiten zu schaffen oder anzufragen“, sagt der Sprecher. Wichtig sei, dass diese Arbeitsgelegenheiten keine regulären Arbeitsplätze gefährdeten.

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26.02.2024

„Die Geflüchteten sollen selbst davon profitieren, dass sie eine sinnstiftende Tätigkeit haben, die ihnen den Alltag strukturiert“, sagte der Kreissprecher. Zudem könne die Arbeit sprachliche Kompetenzen fördern und sie auch für den regulären Arbeitsmarkt vorbereiten. Die Maßnahmen sollen aber auch zu mehr Akzeptanz in der Gesellschaft führen.

Die Reaktionen auf Herrgotts Idee reichen von Beifall bis Kopfschütteln. Die Thüringer CDU feierte Landrat Herrgott für sein Vorgehen. Kritik kommt hingegen aus der rot-rot-grünen Landesregierung und vom Flüchtlingsrat.

Integrationsministerin Doreen Denstädt (Grüne) sagt: „Herr Herrgott macht genau das, was rechte Gruppierungen zurzeit versuchen: Er bedient das falsche Narrativ von den arbeitsscheuen Geflüchteten.“ Dabei sei bekannt, dass die meisten Flüchtlinge arbeiten wollten, aber noch immer an Arbeitsverboten und zu großer Bürokratie scheiterten. „Das ist nicht nur schäbig. Herr Herrgott gießt so auch Öl in ein Feuer, das die demokratischen Kräfte gerade auszutreten versuchen.“

Dies würde Lohndumping, Tür und Tor öffnen und sei verwerflich, sagt die Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler: „Geflüchtete für 80 Cent pro Stunde zur Arbeit verpflichten, ist genauso verwerflich wie Ein-Euro-Jobs oder Niedriglöhne in Behindertenwerkstätten und Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose.“

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Auch für die Berliner Senatsverwaltung ist das derzeit kein Modell, das es zu kopieren gelte. Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe sagt zur Berliner Zeitung: „Spracherwerb und die Möglichkeit zum frühzeitigen Arbeiten sind wichtige Faktoren für gelingende Integration. Hierauf müssen wir uns konzentrieren.“

Die SPD-Politikerin fügt hinzu: „Aber Asylbewerber für 80 Cent die Stunde verpflichtend arbeiten zu lassen, ist weder eine Wertschätzung der Arbeit noch eine akzeptable Bezahlung.“ Bekanntlich hätten die 1-Euro-Jobs der Hartz-Gesetze ihr Ziel weit verfehlt.

Doch auch wenn diese Jobs abwegig für Berlin sind, die Diskussion darüber nimmt neben der Bezahlkarte für Flüchtlinge immer mehr an Fahrt auf – und viele sehen als einen Weg aus der Krise, Migranten schneller in Arbeit zu bekommen.

Der Deutsche Landkreistag spricht sich jetzt dafür aus, eine Arbeitspflicht für alle erwerbsfähigen Asylbewerber in Deutschland einzuführen. Präsident Reinhard Sager sagt zur Berliner Zeitung: „Mit Blick auf die große Zahl von Geflüchteten, die sich bereits in Deutschland aufhalten, fordert der Deutsche Landkreistag eine stärkere Integration in Arbeit.“

Unternehmen und Betriebe sollten, so Sager, Geflüchtete stärker als bislang einstellen, „insbesondere wenn sie noch nicht über gute Deutschkenntnisse verfügen.“ Der Spracherwerb gelinge am einfachsten durch Arbeit. „Zugleich sind auch die geflüchteten Menschen aufgerufen, stärker als bislang aktiv Arbeitserfahrung zu sammeln.“

Sein Appell an die Regierung: „Die Ampel hat gerade den Zeitraum, in dem Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, verkürzt. Darüber hinaus müssten jetzt weitere Änderungen aufgenommen werden.“

Auch Sager hat genaue Vorstellungen, wie das geregelt werden kann: Konkret sollten Asylbewerber verpflichtet werden können, rasch nach ihrer Ankunft eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Dazu müssten die Arbeitsagenturen den gesetzlichen Auftrag erhalten, sie entsprechend zu verpflichten.

QOSHE - CDU-Politiker will Flüchtlinge für 80 Cent pro Stunde arbeiten lassen – zieht Berlin nach? - Anne-Kattrin Palmer
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CDU-Politiker will Flüchtlinge für 80 Cent pro Stunde arbeiten lassen – zieht Berlin nach?

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28.02.2024

Seit dem 9. Februar 2024 ist Christian Herrgott Landrat des Thüringer Saale-Orla-Kreises, er hatte sich Ende Januar in der Stichwahl gegen einen AfD-Kontrahenten durchgesetzt. Keine drei Wochen später präsentierte er jetzt eine Lösung zum Umgang mit der Flüchtlingskrise. Herrgott will Asylbewerber zu vier Stunden Arbeit am Tag verpflichten.

Und schon wird diskutiert: Hat die Idee auch bundesweit eine Chance? Befürworter gibt es, doch nicht jeder wird mitziehen. Für Berlin beispielsweise ist es keine Lösung.

Im ostthüringischen Saale-Orla-Kreis leben mehr als 1200 Asylbewerber. Sie sollen nun, geht es nach dem Landrat, zur Arbeit verdonnert werden. Der Plan: Die Arbeitszeit beträgt vier Stunden pro Tag und der Stundenlohn beläuft sich auf 80 Cent, was einem Monatsgehalt von 64 Euro entspricht. Dieser Betrag wird ab März auf eine Bezahlkarte überwiesen. Wer sich der Arbeit verweigert, dem drohen Sanktionen in Form einer Kürzung der staatlichen Unterstützung um bis zu 180 Euro.

Die Migranten sollen allerdings nur einfache Arbeiten erledigen, beispielsweise Straßen reinigen, Hecken schneiden, Schnee schippen, so die Idee.

Grundlage ist eine entsprechende Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz, wie ein Kreis-Sprecher am Dienstag sagt. Darin heißt es im Paragraf fünf: „Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte,........

© Berliner Zeitung


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