Der Senat sucht händeringend nach Orten für Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt: 16 Containerdörfer sollen laut Stadt in der nächsten Zeit hochgezogen werden, ein siebzehntes auf dem Tempelhofer Feld ist geplant. Doch all das wird nicht reichen, sagt Albrecht Broemme, Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten, der Berliner Zeitung: „Wir brauchen dringend 50 weitere Standorte.“ Dann könne endlich das Ankunftszentrum in Tegel entlastet werden. Flüchtlinge, so der Plan, könnten dann direkt von dort in Unterkünfte verteilt werden. Die Dauerunterbringung in Tegel wäre damit Geschichte.

Unklar ist allerdings, wo die 50 neuen Flüchtlingsunterkünfte hinkommen sollen. Die Bezirke müssten noch abgefragt werden, heißt es. Dabei wird befürchtet, dass viele Camps wieder im Ostteil der Stadt hochgezogen werden könnten. Dort stehen jetzt schon die meisten Unterkünfte, auch weil es mehr brachliegende Freiflächen in städtischem Besitz gibt. Doch auch im Westen regt sich aktuell Protest: Die Freie Universität in Dahlem stemmt sich dagegen, dass auf ihrem Gelände eines der 16 geplanten Containerdörfer entstehen soll.

Bis wann das Ankunftszentrum in Tegel als Dauerunterkunft aufgelöst werden soll? Broemme rechnet mit einem Zeitplan bis 2026: „Da darf dann aber nichts dazwischenkommen“, sagt er. In den Leichtbauhallen des Flughafens Tegel leben derzeit manche Bewohner bis zu anderthalb Jahre. Die meisten kommen aus der Ukraine, viele aber auch aus Ländern wie Syrien und der Türkei.

Eigentlich sollen die Neuankömmlinge dort nur ein paar Tage verweilen. Doch Tegel, auch Deutschland größtes Ghetto genannt, ist inzwischen zu einer kleinen Stadt in der Stadt geworden – mit Hospitälern, Geburts- und Sterbestationen, Kiosken, Kinderbetreuung und Spielplätzen. Bis zu 14 Menschen schlafen in kleinen Waben, die sich in den Hallen aneinanderreihen. Mitarbeiter berichten von desolaten Zuständen – Missbrauch, Gewalt und Alkoholexzesse kämen immer wieder vor. Jüngst konstatierte auch Unicef nach einem Besuch: Das Ankunftszentrum Tegel ist kein Ort für Kinder. Zuletzt geriet die Anlage in die Schlagzeilen, als eine Leichtbauhalle niederbrannte, alle der 380 Bewohner konnten gerettet werden.

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Broemme weiß von diesen Problemen. Daher bräuchte Berlin auch 50 weitere Unterkünfte, sagt er. Dann würden Migranten in Zukunft zwar auf dem ehemaligen Flughafengelände ankommen, könnten aber schnell weitervermittelt werden. Doch bis dahin könnte das ein „heißer Ritt“ werden, sagt er. Jetzt schon fehlt in Berlin Wohnraum für Flüchtlinge, für Einheimische ebenfalls.

Vorerst sollen 16 neue Containerunterkünfte Platz für 6130 Menschen bieten, beschloss daher der Senat im März. Damals kündigte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) allerdings bereits an, dass noch mehr Wohnraumbedarf besteht. In diesem Jahr werden mehr als 10.000 Flüchtlinge erwartet.

Die Container sollen über neun Bezirke der Stadt verteilt und frühestens 2025, spätestens 2026 errichtet werden. Die kleinste Anlage hat 150, die größte 620 Plätze. Dabei sind den Angaben zufolge sowohl mehrgeschossige Unterkünfte, die als Wohnheim genutzt werden, als auch ein- oder dreigeschossige Containeranlagen mit Apartments vorgesehen.

Neun von 16 Unterkünften verteilen sich wieder auf drei Ostbezirke Berlins. Am stärksten betroffen ist Lichtenberg mit allein vier Standorten, es folgen Pankow mit drei und Treptow-Köpenick mit zwei. Auch in Reinickendorf entstehen zwei Containerdörfer, in Spandau, Tempelhof-Schöneberg, Neukölln, Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf je eines. Marzahn-Hellersdorf, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg gehen leer aus.

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Streit gibt es derzeit über den Standort in Dahlem. Dort soll ein etwa 5000 Quadratmeter großes Gelände bebaut werden, das von der Freien Universität als Parkplatz genutzt wird. 260 Flüchtlinge könnten dort unterkommen. Die FU sagt allerdings, sie habe keinen Platz, auch weil sie dort ein Forschungszentrum bauen möchte. Außerdem fühlte sie sich von den Senatsplänen überrumpelt und im Vorfeld nicht informiert, als diese vor wenigen Wochen bekannt wurden.

Doch der Protest wird wohl nicht helfen. Aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus geht nun hervor, dass die Inbetriebnahme der Unterkunft „voraussichtlich im II. Quartal 2025 möglich ist“ – sobald die Baugenehmigung erteilt sei und die bauvorbereitenden Maßnahmen kurzfristig abgeschlossen werden könnten. Die Antwort liegt der Berliner Zeitung vor.

Eine Inbetriebnahme im kommenden Sommer würde die Pläne der FU vorerst durchkreuzen, dort ein Forschungszentrum hochzuziehen. Dazu die Antwort des Senats: „Bislang hat eine solche Baumaßnahme keine Aufnahme in die Investitionsplanung des Landes Berlin gefunden.“ Die Freie Universität Berlin kläre derzeit nach eigenen Angaben die Machbarkeit einer Bebauung. Sprich: Die Finanzierung steht noch gar nicht.

Für die AfD ist das Verhalten des Senats und vor allem der Wissenschaftssenatorin trotzdem ein „Affront gegen die FU“, so Martin Trefzer, wissenschaftspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Er sagt zur Berliner Zeitung: „Das Vorpreschen des Senats, ohne sich mit der FU ins Benehmen zu setzen, ist kein gutes Signal für den Wissenschafts- und Forschungsstandort Berlin.“ Die Universität brauche die Neubauten dringend als Ausweichstandort für an anderer Stelle zu sanierende Gebäude.

Laut Broemme wird es in knapp zwei Wochen allerdings noch mal ein Gespräch geben. Ein erster Termin war von der FU verschoben worden. Dennoch werde man daran festhalten, dort ein Containerdorf hochzuziehen; und sei es nur übergangsweise, bis die Uni anfange zu bauen, so der Flüchtlingskoordinator.

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Noch steht außerdem der Senatsbeschluss aus, weitere Flüchtlings-Container auf dem Tempelhofer Feld zu errichten. Hierfür will die Koalition das Tempelhofer-Feld-Gesetz ändern. Damit wird die Nutzung der bisher schon vorhandenen Wohncontainer für Flüchtlinge auf dem Gelände rechtlich abgesichert.

Insgesamt geht es um ein Areal von 14,4 Hektar. Das entspricht 4,7 Prozent der Gesamtfläche des Tempelhofer Felds. Die Nutzung soll bis Ende 2028 beschränkt sein. Bisher leben auf dem früheren Flughafen Tempelhof rund 2300 Menschen, darunter gut 1400 im Bereich der Hangars und 850 in einem Containerdorf auf dem Tempelhofer Feld nebenan.

Broemme geht davon aus, dass es „im Sommer“ einen Senatsbeschluss für ein weiteres Containerdorf geben wird. Danach könne mit dem Bau begonnen werden. Das Camp könnte nahe dem Zirkus Cabuwazi am Columbiadamm entstehen. Die Zirkuszelte müssten dafür ein wenig verrückt werden. Sportflächen sollen nicht betroffen sein: „Die bleiben frei“, verspricht er.

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Exklusiv: Berlin plant 50 neue Flüchtlingsunterkünfte – es dürfte wieder den Osten treffen

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09.05.2024

Der Senat sucht händeringend nach Orten für Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt: 16 Containerdörfer sollen laut Stadt in der nächsten Zeit hochgezogen werden, ein siebzehntes auf dem Tempelhofer Feld ist geplant. Doch all das wird nicht reichen, sagt Albrecht Broemme, Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten, der Berliner Zeitung: „Wir brauchen dringend 50 weitere Standorte.“ Dann könne endlich das Ankunftszentrum in Tegel entlastet werden. Flüchtlinge, so der Plan, könnten dann direkt von dort in Unterkünfte verteilt werden. Die Dauerunterbringung in Tegel wäre damit Geschichte.

Unklar ist allerdings, wo die 50 neuen Flüchtlingsunterkünfte hinkommen sollen. Die Bezirke müssten noch abgefragt werden, heißt es. Dabei wird befürchtet, dass viele Camps wieder im Ostteil der Stadt hochgezogen werden könnten. Dort stehen jetzt schon die meisten Unterkünfte, auch weil es mehr brachliegende Freiflächen in städtischem Besitz gibt. Doch auch im Westen regt sich aktuell Protest: Die Freie Universität in Dahlem stemmt sich dagegen, dass auf ihrem Gelände eines der 16 geplanten Containerdörfer entstehen soll.

Bis wann das Ankunftszentrum in Tegel als Dauerunterkunft aufgelöst werden soll? Broemme rechnet mit einem Zeitplan bis 2026: „Da darf dann aber nichts dazwischenkommen“, sagt er. In den Leichtbauhallen des Flughafens Tegel leben derzeit manche Bewohner bis zu anderthalb Jahre. Die meisten kommen aus der Ukraine, viele aber auch aus Ländern wie Syrien und der Türkei.

Eigentlich sollen die Neuankömmlinge dort nur ein paar Tage verweilen. Doch Tegel, auch Deutschland größtes Ghetto genannt, ist inzwischen zu einer kleinen Stadt in der Stadt geworden – mit Hospitälern, Geburts- und Sterbestationen, Kiosken, Kinderbetreuung und........

© Berliner Zeitung


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