Die Berliner Hilfsorganisation Cadus hat im Auftrag der UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang Februar ein Team für die medizinische Nothilfe nach Gaza geschickt. Cadus versorgt seit 2014 Verletzte in Kriegsgebieten. Der Gründer von Cadus, Sebastian Jünemann, begleitete als Rettungssanitäter die zweiwöchige Mission. Eine neue Rotation an Helfern von Cadus ist bereits wieder in Gaza im Einsatz.

Die Berliner Organisation gehört zu den wenigen ausländischen Organisationen, die in Gaza arbeiten. Die meisten internationalen Hilfswerke haben ihre Mitarbeiter nach Kriegsausbruch im Oktober 2023 aus dem Gazastreifen abgezogen. Ohne Hilfe durch Ärzte und medizinische Nothelfer aus dem Ausland werde die Versorgung der Verletzten immer schwieriger, sagt Jünemann.

Herr Jünemann, wie geht es Ihrem Team nach dem Einsatz in Gaza?

Es geht uns allen psychisch gut. Aber es waren lange und anstrengende Tage. Wir haben gesehen, wie groß die Not ist. Da fällt es schwer, wieder zu gehen.

Ein weiteres Team von Cadus hat sich nun aufgemacht in den Gazastreifen. Wo arbeitet Ihre Organisation in Gaza?

Wir sind in Rafah in der sogenannten Grünen Zone im Einsatz. Das ist ein Gebiet, in dem die UN mit den Kriegsparteien über Kampfhandlungen im Austausch ist. Die israelische Armee und die Hamas wissen also, dass wir uns als internationale Helfer dort bewegen. Wir sind im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation, WHO, in Gaza. Sie übernimmt die Kommunikation mit den Kriegsparteien. Ein Restrisiko müssen wir tragen. Aber niemand könnte sich nach einem Angriff herausreden und sagen, unsere Anwesenheit war nicht bekannt.

Wie haben Sie die Lage in Rafah erlebt?

Mir fällt es schwer, die passenden Worte zu finden. Die Straßen sind mit Geflüchteten überfüllt und nachts ist es kalt. Die Menschen sind in einem besorgniserregenden Zustand. Sie sind apathisch und der Hunger ist ihnen anzusehen. Alle sind auf der Suche nach Nahrung oder Geld, mit dem sich noch Essen kaufen lässt. Sich als Helfer in Fahrzeugen zu bewegen, ist durchaus riskant.

20.02.2024

gestern

•gestern

•gestern

20.02.2024

Weil Angriffe von Hungernden drohen?

Die Menschen sehen westliche Helfer und denken, wir transportieren Nahrungsmittel. Sie sind hungrig und wollen überleben. Ich mache verzweifelten Menschen in einer solchen Lage keinen Vorwurf. Es ist unsere Aufgabe, uns mit einem Sicherheitskonzept zu schützen und zum Beispiel bestimmte Routen zu meiden. Das Problem liegt darin, dass die großen Hilfswerke aufgrund der Gefahr für ihre Mitarbeiter kein Essen in Gaza verteilen.

Wer versorgt denn dann die Geflüchteten auf den Straßen überhaupt?

Das kann ich nicht genau beurteilen. Wir waren ja mit unserer medizinischen Arbeit beschäftigt. Die UN schickt noch Transporter nach Gaza. Aber das meiste Personal ist abgezogen. Die Menschen müssen sich selbst helfen.

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Welche medizinische Hilfe konnte Ihr Team leisten?

Wir haben Menschen mit Verletzungen nach Schüssen oder Explosionen stabilisiert, damit sie in den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern behandelt werden können. Wir haben auch in der Notaufnahme eines Krankenhauses, des European Hospitals in Khan Yunis, gearbeitet.

Und diese Klinik kann noch Patienten behandeln?

Von funktionierenden Kliniken zu reden, ist ein Euphemismus. Da wird nicht mehr so gearbeitet, wie wir es kennen. Die Gänge und alle Stationen sind brechend voll. Es gibt keine Möglichkeiten mehr, chronische Krankheiten wie Krebs zu behandeln oder Dialysepatienten zu helfen. Viele sterben, die nicht sterben müssten.

Es fehlt also auch an medizinischer Hilfe aus dem Ausland?

Die WHO hat uns angefragt, ob wir Hilfe leisten können. Wir haben Erfahrung in Kriegsgebieten. Andere Organisationen schicken grundsätzlich keine Mitarbeiter in Regionen, in denen gekämpft wird. In Gaza sind inzwischen viele Ärzte und Pflegekräfte gestorben oder mussten fliehen. Palästinensische Fachkräfte in Gaza zu finden, wird zunehmend schwierig.

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Haben Sie ausschließlich Zivilisten behandelt?

Wir haben die Regel, dass wir keine Bewaffneten in unseren Einsatzzentren dulden. Wir hatten auch keine uniformierten Patienten. Wir können aber nicht ausschließen, dass manche in ziviler Kleidung für die Hamas gekämpft haben. Wir können nicht pauschal Männer von 18 bis 60 Jahren abweisen. Ein Verletzter wird versorgt.

Israel hat eine Offensive auf Rafah angekündigt. Was würde das für Ihren Einsatz bedeuten?

Wir haben immer nicht nur einen Plan B, sondern auch einen Plan C und D. Wir würden uns die Lage anschauen und überlegen, ob wir den Einsatzort verschieben. Im schlimmsten Fall müssten wir die Mission abbrechen. Eine Offensive ohne einen Plan für die Zivilbevölkerung wird ein Desaster. Die Menschen können nirgendwo hin.

QOSHE - Berliner Helfer nach Gaza-Einsatz: „Viele sterben, die nicht sterben müssten“ - Cedric Rehman
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Berliner Helfer nach Gaza-Einsatz: „Viele sterben, die nicht sterben müssten“

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22.02.2024

Die Berliner Hilfsorganisation Cadus hat im Auftrag der UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang Februar ein Team für die medizinische Nothilfe nach Gaza geschickt. Cadus versorgt seit 2014 Verletzte in Kriegsgebieten. Der Gründer von Cadus, Sebastian Jünemann, begleitete als Rettungssanitäter die zweiwöchige Mission. Eine neue Rotation an Helfern von Cadus ist bereits wieder in Gaza im Einsatz.

Die Berliner Organisation gehört zu den wenigen ausländischen Organisationen, die in Gaza arbeiten. Die meisten internationalen Hilfswerke haben ihre Mitarbeiter nach Kriegsausbruch im Oktober 2023 aus dem Gazastreifen abgezogen. Ohne Hilfe durch Ärzte und medizinische Nothelfer aus dem Ausland werde die Versorgung der Verletzten immer schwieriger, sagt Jünemann.

Herr Jünemann, wie geht es Ihrem Team nach dem Einsatz in Gaza?

Es geht uns allen psychisch gut. Aber es waren lange und anstrengende Tage. Wir haben gesehen, wie groß die Not ist. Da fällt es schwer, wieder zu gehen.

Ein weiteres Team von Cadus hat sich nun aufgemacht in den Gazastreifen. Wo arbeitet Ihre Organisation in Gaza?

Wir sind in Rafah in der sogenannten Grünen Zone im Einsatz. Das ist ein Gebiet, in dem die UN mit den Kriegsparteien über Kampfhandlungen im Austausch ist. Die........

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