Der Konflikt am Roten Meer bedroht nicht nur Welthandelsrouten, sondern auch die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen im Jemen. Davon hat sich der Gründer der Hilfsorganisation Stelp Serkan Eren bei einem Besuch von Projekten im von den Huthi-Rebellen kontrollierten Teil des Landes ein Bild gemacht. Er verließ den von den Huthi beherrschten Norden wenige Stunden, bevor die USA und ihre Verbündeten mit Luftangriffen auf die Attacken der Huthi gegen die internationale Schifffahrt im Roten Meer reagierten. Das Huthi-Gebiet sei selbst abhängig von den unterbrochenen Schiffsrouten. Hilfe von außen erreiche die Menschen kaum noch, schildert Eren im Gespräch am Telefon.

Herr Eren, Sie haben das Huthi-Gebiet im Jemen wenige Stunden vor dem Beginn der Luftschläge der US-amerikanisch geführten Koalition verlassen. Wurden Sie gewarnt, oder war das einfach Glück?

Ich musste mich am Tag vor den Angriffen entscheiden, ob ich Sanaa verlasse oder nicht. Alles, was ich geplant hatte, hatte ich erledigt. Ich hatte alle von uns unterstützten Schulen besucht und Spendengeld übergeben. Und ich wusste, dass Großbritannien die Huthi vor einer Reaktion auf ihre Angriffe im Roten Meer gewarnt hat. Also bin ich in der Nacht aus dem Huthi-Gebiet abgereist. Die Huthi haben hinter mir den Übergang geschlossen. Danach kam niemand mehr durch. Ich wäre nicht mehr rausgekommen. Die Angriffe der Koalition auf Sanaa haben drei Stunden später begonnen.

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12.01.2024

Wie haben die Menschen in Sanaa auf die Gefahr reagiert?

Die Zivilisten im Huthi-Gebiet haben sich Sorgen gemacht wegen einer militärischen Reaktion des Westens. Es geht ihnen ohnehin sehr schlecht und der Konflikt bedroht die knappe Versorgung mit lebenswichtigen Gütern noch zusätzlich. Die Huthi, mit denen ich sprechen konnte, haben dagegen keine Angst.

Die Huthi wirkten zuversichtlich?

Ich habe mit Kämpfern gesprochen, die von ihrer Ideologie überzeugt sind. Sie sagen, wenn sie sterben, dann sterben sie für Palästina. Die Huthi fühlen sich als Helden im Widerstand gegen Israel und den Westen.

Haben Sie die Huthi als rational handelnde Akteure erlebt?

Ich kann nur meinen Eindruck von den Huthi schildern, mit denen ich zu tun hatte. Es ging ihnen um religiöse Überzeugungen und ideologische Motive.

Ist den Huthi die Not der Bevölkerung egal?

Ich habe die Taliban in Afghanistan als bemühter erlebt, den von ihnen übernommenen Staat auch zu verwalten. Die Taliban waren bereit, zumindest mit einigen Beamten der vorherigen Regierung zusammenzuarbeiten, damit nicht alles zusammenbricht. Die Huthi haben alle Mitarbeiter der von ihnen bekämpften Regierung aus ihrem Gebiet vertrieben. Sie regieren mit harter Hand. Aber sie kümmern sich kaum darum, dass etwas funktioniert.

Wie wirkt sich das auf die humanitäre Lage aus? Die ist doch seit Jahren schlecht.

Die Lage ist im Moment schlimmer als in Afghanistan, ist mein Eindruck. Der Mangel groß. Schon allein die Straßen sind eine Katastrophe. Das Huthi-Gebiet wird über die Hafenstadt Al-Hudaida am Roten Meer versorgt. Die großen Reedereien legen da gar nicht mehr an wegen der Angriffe der Huthi, nur noch kleinere Schiffe. Im Moment spüren die Menschen vor allem, dass alles teurer wird. Aber es zeichnet sich ab, dass immer weniger Lieferungen ankommen. Das UN-Welternährungsprogramm WFP hat sein Programm im Huthi-Gebiet schon im Dezember ausgesetzt.

Die Huthi schneiden mit ihren Angriffen auf die Schifffahrt im Roten Meer die eigene Bevölkerung von der Versorgung ab?

Alles hängt von den Schiffslieferungen ab. Auch unsere Projekte. Wenn gar keine Schiffe in Al-Hudaida mehr anlegen können, werden unseren Schulen die Vorräte für die Mahlzeiten ausgehen.

Was haben Sie beim Besuch Ihrer Projektschulen im Huthi-Gebiet erlebt?

Die Kinder leiden Hunger. Das merkt man ihnen an. Sie stürzen sich auf die Schulmahlzeit, die sie bekommen. Es ist für viele die einzige am Tag. Ich weiß nicht, wie die Kinder überleben, die nicht in einer Schule versorgt werden. In den vielen Flüchtlingslagern gibt es so gut wie nichts zu essen.

Sie schildern die Huthi als ideologisch motivierte Kämpfer. Wie ist die Miliz mit Ihnen umgegangen?

Es war nicht einfach für mich. Die Huthi sind in ihrem Gebiet Gesetzgeber, Richter und Polizisten in einem und sie waren misstrauisch. Sie haben meinen Pass für einige Tage beschlagnahmt. Ich hatte Kontakte vor Ort, die mir geholfen haben. Aber es war eine beängstigende Situation.

Warum sind Sie in der angespannten Lage in den Jemen gereist?

Ich habe zweieinhalb Jahre mit den unterschiedlichen Akteuren im Land verhandelt, um die von uns unterstützten Projekte zu besuchen. Wir können als Organisation nicht einfach Geld geben. Wir müssen uns anschauen, was die Projekte vor Ort damit machen. Letztlich war nur die Einreise auf dem Landweg eine Möglichkeit, ins Huthi-Gebiet zu gelangen. Das war nicht ungefährlich. Aber die Reise zu wagen, war die richtige Entscheidung.

Warum hat sich das Risiko aus Ihrer Sicht gelohnt?

Das Huthi-Territorium ist eines der isoliertesten Gebiete auf der Welt. Wenn jemand von außen kommt und Hilfe bringt, ist das für die Menschen über die praktische Seite hinaus eine moralische Ermutigung. Sie spüren, dass sie nicht allein sind. 7000 Schüler waren vor Ort, als ich unsere Schulen besucht habe. Sie haben noch nie jemanden aus dem Westen gesehen. Und ich konnte ihnen zeigen, dass wir nicht alle so sind, wie die Huthi uns darstellen.

QOSHE - Deutscher Helfer im Jemen: „Die Huthi fühlen sich als Helden“ - Cedric Rehman
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Deutscher Helfer im Jemen: „Die Huthi fühlen sich als Helden“

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17.01.2024

Der Konflikt am Roten Meer bedroht nicht nur Welthandelsrouten, sondern auch die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen im Jemen. Davon hat sich der Gründer der Hilfsorganisation Stelp Serkan Eren bei einem Besuch von Projekten im von den Huthi-Rebellen kontrollierten Teil des Landes ein Bild gemacht. Er verließ den von den Huthi beherrschten Norden wenige Stunden, bevor die USA und ihre Verbündeten mit Luftangriffen auf die Attacken der Huthi gegen die internationale Schifffahrt im Roten Meer reagierten. Das Huthi-Gebiet sei selbst abhängig von den unterbrochenen Schiffsrouten. Hilfe von außen erreiche die Menschen kaum noch, schildert Eren im Gespräch am Telefon.

Herr Eren, Sie haben das Huthi-Gebiet im Jemen wenige Stunden vor dem Beginn der Luftschläge der US-amerikanisch geführten Koalition verlassen. Wurden Sie gewarnt, oder war das einfach Glück?

Ich musste mich am Tag vor den Angriffen entscheiden, ob ich Sanaa verlasse oder nicht. Alles, was ich geplant hatte, hatte ich erledigt. Ich hatte alle von uns unterstützten Schulen besucht und Spendengeld übergeben. Und ich wusste, dass Großbritannien die Huthi vor einer Reaktion auf ihre Angriffe im Roten Meer gewarnt hat. Also bin ich in der Nacht aus dem Huthi-Gebiet abgereist. Die Huthi haben hinter mir den Übergang geschlossen. Danach kam niemand mehr durch. Ich wäre nicht mehr rausgekommen. Die Angriffe der Koalition auf Sanaa haben drei Stunden........

© Berliner Zeitung


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