Sharon On steckt mitten in den Vorbereitungen für die Vorführung des israelischen Films „Youth“ mit dem in Gaza entführten Schauspieler David Cunio im Kino Krokodil in Prenzlauer Berg. Im Anschluss an den Film sei eine Diskussion unter anderem mit einer israelischen Aktivistin für die Freilassung der Geiseln in Gaza geplant.

Es sei noch nicht sicher, ob auch ein Familienmitglied von David Cunio auf dem Podium sitzen werde, sagt die Berliner Regisseurin und Künstlerin in ihrem Co-Working-Space in Moabit. Die Familie des Entführten leide sehr unter der Ungewissheit über den Verbleib eines geliebten Menschen.

Sie sei letztlich an den Punkt gekommen, die Vorführung des Films aus dem Jahr 2013 in Eigenregie zu organisieren, sagt On. Eigentlich habe sie andere Pläne gehabt, um auf Cunios Schicksal aufmerksam zu machen. David Cunio wurde am 7. Oktober 2023 gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern sowie seiner Schwägerin und deren Tochter aus dem Kibbuz Nir Oz entführt. Die Angehörigen Cunios kamen im November frei.

David Cunio stellte den israelischen Beitrag „Youth“ vor elf Jahren auf der Berlinale in der Sektion Panorama vor. Der in Israel von manchen als Kritik an der Militarisierung der Gesellschaft verstandene Thriller feierte in seiner Anwesenheit in Berlin Premiere.

Cunio spielt in dem Film einen jungen Soldaten. Er verwendet die Waffe aus dem Militärdienst, um gemeinsam mit seinem Bruder eine Mitschülerin aus einer wohlhabenden Familie zu entführen. Die Brüder wollen Lösegeld erpressen, da ihrer Familie wegen der Arbeitslosigkeit des Vaters der Verlust der Wohnung droht. Der Film spielt auf das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich in Israel zwei Jahre nach landesweiten Protesten für bezahlbare Wohnungen und soziale Gerechtigkeit im Jahr 2011 und 2012 an.

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Die Mitschülerin wird von den beiden Brüdern eingesperrt. Der Film zeigt ihre Verängstigung. Sharon On ist sich der Ambivalenz bewusst, mit einem Film über eine Entführung an das Schicksal des als Geisel genommenen Schauspielers zu erinnern. „Youth“ mit dem von der Hamas gekidnappten Schauspieler fand allerdings 2013 auf der Berlinale viel Lob und Anerkennung. Elf Jahre später wurde bei dem Festival auf die Geiselhaft Cunios in Gaza nicht hingewiesen, obwohl On seit Dezember 2023 die Leitung der Berlinale nach eigener Darstellung darum gebeten hat.

Sie habe E-Mails an die Leitung der Berlinale, schließlich auch an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) und den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) geschrieben. Ihre Bitte lautete, auf dem Festival Cunios Freilassung zu fordern. Sie postete den Appell auch in Gruppen israelischer Freunde in sozialen Medien, damit diese sich ebenfalls an die Berlinale wenden könnten. „Es gab keine einzige Antwort“, sagt On.

Mariëtte Rissenbeek aus dem Berlinale-Leitungsduo hatte während der Eröffnungsgala und der Preisverleihung eine Freilassung der israelischen Geiseln gefordert, ohne Cunio beim Namen zu nennen. Sie verurteilte auch den Terror der Hamas. Aufsehen erregte aber die Solidarisierung von Preisträgern wie des Filmemachers Ben Russel oder der israelischen und palästinensischen Regisseure des mit dem Berliner Dokumentarfilmpreis ausgezeichneten Films „No Other Land“ mit den Palästinensern. Kritiker bewerteten viele Äußerungen auf der Berlinale als einseitige Parteinahme für die Palästinenser in Gaza und monierten den Beifall des Publikums. Israelisches Leid sei ausgeklammert worden, beklagten sie. Auf dem Instagram-Kanal des Festivals tauchte am 25. Februar ein als antisemitisch gewerteter Bildbeitrag mit dem Logo der Berlinale auf. Die Festivalleitung spricht davon, dass der Kanal gehackt worden sei.

Sharon On sagt, dass sie „No Other Land“ nicht gesehen habe und sich deshalb nicht zu dem Film äußern könne. Die Tonlage auf dem Festival habe sie aber „traurig“ gemacht. „Statt sich für Befreiung der Geiseln auszusprechen, gab es eine Bühne für Israel-Hass“, klagt sie.

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Ihre Erfahrung mit der Berlinale verstärke ihren Eindruck, dass der internationale Kunstbetrieb im Hinblick auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas versage. „Aufgabe von Künstlern ist es doch, Fragen an sich und an das Publikum zu stellen“, erklärt On. Im Moment gebe es keinen Austausch von Argumenten unter Künstlern. Abweichende Meinungen fänden kein Gehör. Es gebe stattdessen ein Bedürfnis, auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen.

On erklärt sich die Stärke des propalästinensischen Narrativs unter Künstlern und Intellektuellen weltweit mit zunächst an den amerikanischen Universitäten verbreiteten Diskursen in der akademischen Linken. Die Welle sei rund um den Globus nach Europa geschwappt und habe auch vor deutschen Universitäts- und Kunstkreisen nicht haltgemacht.

Die Regisseurin scheint sich zunehmend heimatlos in ihrer eigenen Künstlerblase zu fühlen. Sie setzt sich in ihren Kunstprojekten unter anderem mit Sexualität, Diskriminierung von Minderheiten oder Fluchterfahrung auseinander. Es sind Themen, die auch die linke Identitätspolitik umtreiben. Aber On hat das Gefühl, dass die Diskurse der akademischen Linken Menschen wie sie mundtot machen wollen, die auch das israelische Leid ansprechen. „Ich habe kein Problem mit Kritik an Israel. Aber Israel wird jetzt zum Symbol gemacht für Kolonialismus und weiße Vorherrschaft“, sagt sie. Europäern und Amerikanern biete das eine bequeme Möglichkeit, eigene Schuldgefühle anderen vor die Haustür zu kippen.

Sie sei im Umgang mit anderen Künstlern vorsichtiger geworden, sagt On. Ganz anders reagiere ihr alltägliches Umfeld in Berlin. „Ich habe viel Solidarität von ganz normalen Leuten erfahren“, erzählt sie.

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Berlin mit einer großen palästinensischen und israelischen Community habe Dialog nun besonders bitter nötig, findet die Regisseurin. Die Kunst könnte eigentlich ein Mittel sein, um Brücken zu bauen. Doch Einseitigkeit mache das schwierig. „Ich finde das gefährlich“, sagt Sharon On.

QOSHE - Die Berlinale schwieg über den entführten israelischen Schauspieler – nun kommt sein Film nach Berlin - Cedric Rehman
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Die Berlinale schwieg über den entführten israelischen Schauspieler – nun kommt sein Film nach Berlin

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12.03.2024

Sharon On steckt mitten in den Vorbereitungen für die Vorführung des israelischen Films „Youth“ mit dem in Gaza entführten Schauspieler David Cunio im Kino Krokodil in Prenzlauer Berg. Im Anschluss an den Film sei eine Diskussion unter anderem mit einer israelischen Aktivistin für die Freilassung der Geiseln in Gaza geplant.

Es sei noch nicht sicher, ob auch ein Familienmitglied von David Cunio auf dem Podium sitzen werde, sagt die Berliner Regisseurin und Künstlerin in ihrem Co-Working-Space in Moabit. Die Familie des Entführten leide sehr unter der Ungewissheit über den Verbleib eines geliebten Menschen.

Sie sei letztlich an den Punkt gekommen, die Vorführung des Films aus dem Jahr 2013 in Eigenregie zu organisieren, sagt On. Eigentlich habe sie andere Pläne gehabt, um auf Cunios Schicksal aufmerksam zu machen. David Cunio wurde am 7. Oktober 2023 gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern sowie seiner Schwägerin und deren Tochter aus dem Kibbuz Nir Oz entführt. Die Angehörigen Cunios kamen im November frei.

David Cunio stellte den israelischen Beitrag „Youth“ vor elf Jahren auf der Berlinale in der Sektion Panorama vor. Der in Israel von manchen als Kritik an der Militarisierung der Gesellschaft verstandene Thriller feierte in seiner Anwesenheit in Berlin Premiere.

Cunio spielt in dem Film einen jungen Soldaten. Er verwendet die Waffe aus dem Militärdienst, um gemeinsam mit seinem Bruder eine Mitschülerin aus einer wohlhabenden Familie zu entführen. Die Brüder wollen Lösegeld erpressen, da ihrer Familie wegen der Arbeitslosigkeit des Vaters der Verlust der Wohnung droht. Der Film spielt auf das........

© Berliner Zeitung


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