Traurig, sagt der palästinensische Touristenführer Louis Michel aus Bethlehem am Telefon, sei das, was er dieses Jahr nicht sieht in seiner Heimatstadt. Auf dem Krippenplatz in der Geburtsstadt Jesu ist es derzeit düster in den Abendstunden. Es glitzert und funkelt nicht wie üblich zu dieser Jahreszeit. Wo im vergangenen Jahr der zu einer perfekten Kegelform zurechtgeschnittene und mit leuchtenden Kugeln geschmückte Weihnachtsbaum stand, gähnt Leere. Auch sonst liegen die verwinkelten Gassen Bethlehems am Abend ohne Weihnachtsbeleuchtung im Dunkeln. Die palästinensischen Kirchen haben sich geeinigt, in diesem Jahr auf Feierlichkeiten zu verzichten.

Es gebe nichts zu feiern, wenn in rund 70 Kilometern Entfernung Bomben auf Gaza fielen, erklärten Vertreter der christlichen Glaubensgemeinschaften Palästinas im November in seltener Einmütigkeit. Die Verwaltung hat deshalb die Weihnachtsdekoration für Straßen und Plätze gar nicht erst ausgepackt. „Ayyad El Layl“ – „Stille Nacht“ auf Arabisch – wird in diesem Jahr niemand öffentlich singen. Der Kriegslärm in den Fernsehnachrichten ist zu ohrenbetäubend.

Erinnern die palästinensischen Christen dann doch in diesen Tagen an ihr höchstes Fest, nutzen sie die weihnachtliche Symbolik als Botschaft. Die Evangelisch-Lutherische Weihnachtskirche in Bethlehem gestaltete ihre Krippe in diesem Jahr als ein Zeichen des Protests. Das Jesuskind liegt zwischen Trümmern. Es trägt einen Palästinenserschal.

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Die Bedeutung der Adventszeit hat für den Katholiken Fuad Giacaman eine schaurige Wendung genommen. „Wir christlichen Palästinenser bereiten uns in diesem Advent nicht wie üblich auf die Ankunft des Herren vor, sondern warten auf den Krieg“, sagt er. Der 80-Jährige leitete die katholische Schule Collège des Frères in Bethlehem. Fuad ist Vizepräsident des mit der katholischen Friedensbewegung Pax Christi kooperierenden Bildungsinstituts Arab Educational Institute in der Geburtsstadt Jesu und telefoniert von seinem Büro aus nach Deutschland. Er könne sich in all den Jahren des Konfliktes mit Israel an keine Adventszeit in erinnern, in der die Christen so voller Sorge gewesen seien wie in diesem Jahr. „Wir sind traumatisiert. Wir haben Angst“, sagt er.

Anstatt sich auf die Festtage vorzubereiten, klebten die Menschen an ihren Fernsehbildschirmen und verfolgten die Nachrichten über den Krieg in Gaza und die Unruhen im Westjordanland. Die Bilder voller Gewalt vertrieben alle Besinnlichkeit, sagt der Katholik.

Der Krieg hat noch etwas anderes zum Verschwinden gebracht. Er hält die Scharen von Pilgern und Touristen aus aller Welt fern. Sie sollten sich in diesen Wochen eigentlich in den Gassen von Bethlehem drängen und Geld in die Kassen der Händler bringe. Der Touristenführer Louis Michel, Jahrgang 1960, betreibt auch einen Souvenirladen in der Gasse der Holzschnitzer. In seinem Geschäft sei so wenig los wie in seinem Job als Fremdenführer. „40 Hotels und 65 Geschäfte haben inzwischen geschlossen“, berichtet Michel. Die einkommensstärkste Zeit des Jahres falle 2023 aus – für ihn und für die gesamte Tourismusbranche.

„Es ist jetzt genau schlimm wie während der Pandemie“, sagt Michel. Das Coronavirus hielt 2020 und 2021 Touristen und Pilger fern. Die Ersparnisse aus der Saison 2022 ohne Krieg und Pandemie müssen den Händlern nun ausreichen, um irgendwie über den Winter zu kommen. Die Kinder in Bethlehem erwarte in diesem Jahr eine magere Bescherung, fürchtet Fuad Giacaman. „Die Wirtschaft liegt am Boden, die Preise steigen, und den Familien fehlt es an Einkommen“, sagt er.

Zumindest gibt es die auch im Westjordanland eskalierende Gewalt zwischen Palästinensern und israelischen Siedlern in Bethlehem nicht. 22 jüdische Siedlungen liegen in der Umgebung der circa 29.000 Einwohner zählenden Stadt. Eine von den Israelis errichtete acht Meter hohe Sperrmauer trennt sie seit 2002 von Jerusalem.

Bei Konfrontationen mit Siedlern und dem israelischen Militär sollen im Westjordanland nach palästinensischen Angaben nach dem 7. Oktober 264 Menschen ihr Leben verloren haben. Die USA wollen extremistischen Siedlern nach Angriffen auf Palästinensern künftig die Einreise verwehren. Auch die Bundesregierung befürwortet entsprechende Sanktionen der EU. Christliche Familien in Bethlehem müssten an den kommenden Weihnachten auf alle Verwandtenbesuche in anderen Städten verzichten, erklärt Fuad Giacaman. Reisen sei zu gefährlich. Überall im Westjordanland drohten jetzt Zusammenstöße. Checkpoints der israelischen Armee schränkten die Bewegungsfreiheit ein. „Die Angst vor Attacken durch Siedler ist groß“, sagt Giacaman.

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Die palästinensischen Christen misstrauen eigentlich der islamistischen Hamas. Sie neigen der säkularen Fatah des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, Mahmoud Abbas, zu. Er besucht Heiligabend wie sein Vorgänger Jassir Arafat traditionell die Mitternachtsmesse in der Geburtskirche von Bethlehem. Die israelische Offensive gegen Gaza wirkt derzeit aber wie ein Kitt für die konfessionell und politisch gespaltene Gesellschaft. Die palästinensischen Christen versuchen durch Aktionen wie die als Antikriegssymbol gestaltete Krippe in Bethlehem, an Christen in aller Welt zu appellieren, sich für einen Waffenstillstand in Gaza einzusetzen.

Für die kleinen christlichen Gemeinden im Heiligen Land war die Lage auch vor dem 7. Oktober schwierig. Ihr Anteil an der Bevölkerung sinkt seit Jahrzehnten durch Auswanderung. Jeder fünfte Palästinenser war vor 100 Jahren Christ. Inzwischen leben in der Westbank nicht einmal mehr 50.000 Christen. Sie machen nur noch zwei Prozent der Bevölkerung in der Westbank aus, in Gaza knapp ein Prozent. In Bethlehem sind nur noch zwölf Prozent der Bewohner Christen. Noch in den Zeiten der britischen Herrschaft in Palästina zwischen den Weltkriegen waren 86 Prozent der Bewohner Bethlehems Christen.

Auch die Kinder des Fremdenführers Louis Michel sind nach Italien ausgewandert. Christliche Palästinenser besuchen oft religiöse Schulen wie das Collège des Frères. Die Lehrer unterrichten dort in europäischen Fremdsprachen. Das erleichtert das Auswandern in westliche Länder. Anders als Muslime sind sie als Einwanderer seltener mit Ablehnung konfrontiert.

Die Christen Palästinas scheinen den Trost der Weihnachtsbotschaft selten so nötig zu haben wie in diesem Jahr. Louis Michel wird in dieser düsteren Adventszeit kein Geld verdienen. Aber er hat dafür umso mehr Zeit für Gebete. „Ich bitte Gott um Frieden und darum, dass unser Leben wieder normal wird“, sagt er. Vielleicht kommen dann auch die Touristen wieder zurück ins Heilige Land.

QOSHE - Düstere Weihnachten: Das Jesuskind liegt in Bethlehem zwischen Trümmern - Cedric Rehman
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Düstere Weihnachten: Das Jesuskind liegt in Bethlehem zwischen Trümmern

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23.12.2023

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Es gebe nichts zu feiern, wenn in rund 70 Kilometern Entfernung Bomben auf Gaza fielen, erklärten Vertreter der christlichen Glaubensgemeinschaften Palästinas im November in seltener Einmütigkeit. Die Verwaltung hat deshalb die Weihnachtsdekoration für Straßen und Plätze gar nicht erst ausgepackt. „Ayyad El Layl“ – „Stille Nacht“ auf Arabisch – wird in diesem Jahr niemand öffentlich singen. Der Kriegslärm in den Fernsehnachrichten ist zu ohrenbetäubend.

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