Zwei junge Frauen verlassen mit einem seligen Lächeln die syrische Konditorei an der Sonnenallee in Berlin-Neukölln. Eine der beiden Kundinnen hält eine Tüte mit Baklava in der Hand. Ihre Augen glänzen, es ist wohl die Vorfreude auf den Zuckerrausch. Wer die Konditorei betritt, findet Gebäck in üppigen Mengen auf orientalisch verschnörkelten Auslagen vor. Es ist hell und warm in dem Laden. Die Verkäufer nicken jedem Kunden, der eintritt, herzlich zu.

Die Freundlichkeit weicht Ratlosigkeit in den Gesichtern, als das Wort „Gaza“ fällt. Wie sie als Syrer derzeit die Stimmung in Berlin erleben nach dem Ausbruch des Krieges im Nahen Osten, lautet die Frage. Die beiden Männer schauen sich an, als wollten sie sich stumm abstimmen. „Dazu kann ich nur etwas sagen, wenn der Chef damit einverstanden ist“, sagt der eine. Der Chef sei aber leider nicht da, sagt der andere.

Ein Schauer klatscht den Fußgängern an der Sonnenallee kalt ins Gesicht. Einige tragen das auf Arabisch Kufiya genannte Palästinensertuch. Die Minen wirken so zugeknöpft, wie es viele Kapuzen sind. Niemand scheint gesprächsbereit zu sein.

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Anas Modamani wundert sich nicht, als er von der schwierigen Recherche an der Sonnenallee hört. Da wolle sich jetzt sicher niemand zum Krieg äußern, vermutet er. Er hat einen anstrengenden Drehtag in einer Berliner Markthalle hinter sich. Der 27-Jährige arbeitet beim Sender Deutsche Welle.

Nach seiner Flucht aus Syrien wurde Modamani selbst zum Medienphänomen. Angela Merkel besuchte am 10. September 2015 die Flüchtlingsunterkunft in Spandau. Der Syrer nutzte die Chance und machte ein Selfie mit Merkel. Das Bild von der Kanzlerin und dem Flüchtling auf Augenhöhe ging damals um den Globus. Es wurde zu einem der Symbole für jene Wochen, in denen Deutschland seine Grenzen öffnete für Hunderttausende Syrer, die aus dem Mittleren Osten über den Balkan nach Europa flohen.

Unter vielen Fotos in den Zeitungen stand damals ein Wort: Willkommenskultur. Millionen Deutsche engagierten sich für die Ankommenden. Menschen standen an Bahnhöfen und empfingen syrische Familien mit Teddybären für die Kinder. Deutschland zeigte den Kriegsflüchtlingen ein freundliches Gesicht.

Die Welt staunte, blickte aber auch in Teilen irritiert auf diese Hilfsbereitschaft. Erfand sich die führende Volkswirtschaft in Europa gerade als humanitäre Großmacht neu? Oder übernahmen sich die Deutschen in moralischer Selbsterhöhung? Die Meinungen waren bald in Deutschland selbst gespalten. Die AfD zog mit den Stimmen der Kritiker von Angela Merkel im Jahr 2017 erstmals in den Bundestag ein.

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Anas Modamani spricht von „schönen Zeiten damals“, wenn er vom Empfang vor mehr als acht Jahren berichtet. Er ist inzwischen Deutscher geworden. Wenn er von seiner Einbürgerung spricht, scheint es, als hätte er es gerade noch rechtzeitig geschafft. Einige Freunde seien durchaus in Sorge, ob sie noch den deutschen Pass erhalten, sagt er.

Die Bundesregierung verschärft die Gangart in der Migrationspolitik. Olaf Scholz macht keine Selfies mit Geflüchteten. Er forderte Mitte Oktober in Interview „Abschiebungen im großen Stil“. Die Opposition plädiert für eine noch konsequentere Einschränkung der Migration. Das generelle Abschiebeverbot für die geschätzt rund 900.000 Syrer in Deutschland lief schon 2021 aus.

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas war bereits ausgebrochen, als Scholz mit seinem Spiegel-Interview die Tonlage der Ampel in der Asylpolitik vorgab. Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und arabischstämmigen Demonstranten in Neukölln und antisemitische Schmährufe auf Arabisch bei propalästinensischen Kundgebungen sorgten seit dem Angriff der Hamas auf Israel bundesweit für Empörung. Aus der CDU wurden Forderungen laut, eine Einbürgerung künftig mit einem Bekenntnis zu Israel zu verknüpfen.

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Modamani wählt seine Worte mit Bedacht, als wolle er auf keinen Fall falsch verstanden werden. „Mich macht das traurig, was in Israel und in Gaza passiert. Ich fühle mit allen Zivilisten“, sagt er nach einem Moment des Nachdenkens. Er habe schließlich selbst in Syrien einen Krieg erlebt und wisse, wie furchtbar das sei. Keiner seiner syrischen Freunde gehe auf propalästinensische Kundgebungen. Vielleicht aus Furcht davor, dass die Teilnahme Konsequenzen für ihre Einbürgerung haben könnte?

Anas Modamani betont, dass er anders als manche propalästinensischen Demonstranten die Meinungsfreiheit in Deutschland nicht eingeschränkt sieht. „Jeder kann in Deutschland demonstrieren, solange das friedlich geschieht und nicht gegen Juden gehetzt wird.“ Die Deutschen achteten aufgrund der NS-Vergangenheit sehr genau auf die Sprache, wenn über Israel oder Juden gesprochen wird. „Ich glaube, vielen Demonstranten ist diese Sensibilität nicht klar genug“, sagt er.

Der Student spricht sachlich über die für viele aufwühlende Zeit seit dem Hamas-Angriff auf Israel und der folgenden Bombardierung Gazas. Modamani räumt ein, dass das derzeitige gesellschaftliche Klima ihn auch ängstige. Er sei Araber, sagt er, und es klingt wie „mitgefangen, mitgehangen“. „Ich fand das richtig schlimm, dass in Essen bei einer propalästinensischen Kundgebung eine schwarze IS-Flagge geschwenkt wurde.“ Der IS habe so viele Syrer ermordet und unzählige Verbrechen begangen. Aber Modamani geht es auch um sein jetziges Leben in Deutschland. Solche Szenen seien schuld daran, dass die Stimmung gegen Geflüchtete in Deutschland gekippt sei, sagt er. „Es ist nur eine Minderheit, die so was macht. Aber die Wirkung ist groß.“

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Der Flüchtlingsaktivist Tareq Alaows sieht die Dinge etwas anders. Er ist Sprecher von Pro Asyl und kandidierte als erster Geflüchteter aus Syrien im Bundestagswahlkampf 2021 für die Grünen. Alaows zog seine Kandidatur nach Drohungen zurück. Für ihn trägt vor allem die Politik die Verantwortung dafür, dass Geflüchtete von der Gesellschaft zunehmend abgelehnt werden.

Alaows spricht von faktenfreien Debatten und verweist etwa auf die von Friedrich Merz Ende September geäußerte Behauptung, dass sich abgelehnte Asylbewerber in Deutschland die Zähne sanieren ließen. Im Asylbewerberleistungsgesetz ist festgelegt, dass eine zahnärztliche Behandlung nur bei einer Erkrankung übernommen wird. Der deutsche Staat bezahlt schönere Zähne, wie Merz nahelegte, in der Regel nicht.

Alaows trifft sich mit einer syrischen Bekannten in einem türkischen Café in Kreuzberg. Die 32 Jahre alte Sidan Sayed hat vor kurzem ihr Englischstudium beendet. Sie betritt das Lokal mit einem Palästinenserschal um den Hals.

Die Syrerin stellt das Recht der Israelis auf ihren Staat nicht infrage. Und sie gibt andere Motive als panarabische Gefühle als Grund dafür an, warum sie auf Palästina-Kundgebungen demonstriert. „Ich solidarisiere mich mit marginalisierten Gruppen“, sagt sie. Niemand müsse Palästinenser, Araber oder Muslim sein, um jetzt für Zivilisten in Gaza einzustehen.

Sidan Sayed argumentiert mit Kategorien linker Identitätspolitik, die in manchen politisch aktiven Milieus in Berlin weit verbreitet sind. Sie verweist auch auf regierungskritische Israelis und prominente jüdische Stimmen wie die Autorin Deborah Feldman. Sie sähen die Dinge ähnlich wie sie selbst. „Ich bin nicht gegen das Existenzrecht Israels. Das muss ich in Deutschland ständig klarstellen“, sagt Sayed. Auch Tareq Alaows findet, dass Menschen aus dem arabischen Raum oft pauschal unterstellt werde, sie wollten Israel am liebsten von der Landkarte tilgen. Und wer sich in aller Deutlichkeit anders positioniere, müsse das immer wieder tun.

Alaows räumt ein, dass Einwanderer und Geflüchtete aus arabischen Diktaturen wie Syrien in den Schulen von Kindheit an das Feindbild Israel gepredigt bekämen. „Wer das 18 Jahre lang eingetrichtert bekommen hat, wird das nicht von heute auf morgen los. Dabei ist das nur die politische Agenda von Diktatoren wie Assad“, sagt Alaows.

Darüber, wie nachhaltig die antiisraelische Propaganda der in Syrien seit Jahrzehnten herrschenden arabisch-sozialistischen Baath-Partei Baschar al-Assads die rund 47.000 Syrer in Berlin immer noch prägt, gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Alaows betont, dass niemand in seinem syrischen Bekanntenkreis in der Hamas etwas anderes sehe als eine Terrororganisation. Er fordert mehr politische Bildung für Migranten und beklagt Streichungen im Bundeshaushalt. Der Aktivist sieht die Bringschuld also bei der deutschen Gesellschaft. Was tut er selbst, um Denkmuster aufzubrechen? Er versuche, Empathie für die andere Seite zu schaffen, sagt er.

Alaows könnte zu diesem Zweck von einer persönlichen Begegnung berichten. Eine jüdische Flüchtlingshelferin habe ihm nach der Ankunft in Deutschland geholfen, berichtet er im Café. „Sie kam aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden. Alles, was ich vielleicht mal gehört hatte in Syrien, habe ich durch sie ganz schnell hinterfragt“, sagt Alaows. Er plädiert für mehr Begegnungen zwischen muslimischen Migranten und Menschen jüdischen Glaubens. „Wir sind uns kulturell so nah.“

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Sidan Sayed hätte kein Problem damit, sich bei einer Einbürgerung zum Existenzrecht Israels zu bekennen. Sie würde aber dabei ihre Kritik an der israelischen Regierung deutlich machen. „Wenn das nicht möglich ist, hat die Demokratie in Deutschland ein Problem“, sagt Sayed. Sie erklärt, dass sie in den acht Jahren in der Bundesrepublik vor allem die Freiheit schätzen gelernt habe, ihre Meinung ohne Angst zu äußern.

Zum ersten Mal sei das nach Ausbruch des Krieges im Nahen Osten anders. „Freunde sorgen sich, wenn ich das Haus mit Kufiya verlasse“, sagt sie. Sie denke in letzter Zeit manchmal darüber nach, nach Kanada auszuwandern. Das nordamerikanische Land sei anders als Deutschland schon immer Einwanderungsland gewesen, argumentiert sie.

Auch Tareq Alaows berichtet von syrischen Freunden, die sich fragten, ob sie in Deutschland eine Zukunft hätten. Allerdings wüssten viele nicht, in welches Land sie gehen könnten. Die Stimmung gegenüber Migranten aus muslimischen Ländern ist momentan überall in Europa aufgeheizt.

Ist von der Aufnahme von fast einer Million Kriegsflüchtlingen aus Syrien nach acht Jahren nur gegenseitige Enttäuschung geblieben? Haben sich Syrer und Deutsche heute weniger zu sagen als in jenen ersten Wochen 2015, in denen sich manche Ankommende und ihre deutschen Helfer bisweilen nur mit Händen und Füßen verständigen konnten? „Überhaupt nicht. Wir haben eine schwierige Phase. Ich glaube an unsere Gesellschaft“, sagt Alaows. Und Sidan Sayed, die in schweren Stunden manchmal ans Auswandern denkt, nickt schließlich. Tareq Alaows hat von „uns“ gesprochen.

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QOSHE - Krieg in Nahost: Syrer in Berlin fragen sich, ob sie in Deutschland eine Zukunft hätten - Cedric Rehman
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Krieg in Nahost: Syrer in Berlin fragen sich, ob sie in Deutschland eine Zukunft hätten

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24.11.2023

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Die Freundlichkeit weicht Ratlosigkeit in den Gesichtern, als das Wort „Gaza“ fällt. Wie sie als Syrer derzeit die Stimmung in Berlin erleben nach dem Ausbruch des Krieges im Nahen Osten, lautet die Frage. Die beiden Männer schauen sich an, als wollten sie sich stumm abstimmen. „Dazu kann ich nur etwas sagen, wenn der Chef damit einverstanden ist“, sagt der eine. Der Chef sei aber leider nicht da, sagt der andere.

Ein Schauer klatscht den Fußgängern an der Sonnenallee kalt ins Gesicht. Einige tragen das auf Arabisch Kufiya genannte Palästinensertuch. Die Minen wirken so zugeknöpft, wie es viele Kapuzen sind. Niemand scheint gesprächsbereit zu sein.

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Unter vielen Fotos in den Zeitungen stand damals ein Wort: Willkommenskultur. Millionen Deutsche engagierten sich für die Ankommenden. Menschen standen an Bahnhöfen und empfingen syrische Familien mit Teddybären für die Kinder. Deutschland zeigte den Kriegsflüchtlingen ein freundliches Gesicht.

Die Welt staunte, blickte aber auch in Teilen irritiert auf diese Hilfsbereitschaft. Erfand sich die führende Volkswirtschaft in Europa gerade als humanitäre Großmacht neu? Oder übernahmen sich die Deutschen in moralischer Selbsterhöhung? Die Meinungen waren bald in Deutschland selbst gespalten. Die AfD zog mit den Stimmen der Kritiker von Angela Merkel im Jahr 2017 erstmals in den Bundestag ein.

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