Ob sich der Fernsehmoderator Tucker Carlson vor dem Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Februar einen Nikotinbeutel hinter die Lippe geschoben hat, bleibt sein Geheimnis. Dem Zuschauer wäre es kaum aufgefallen. Die Säckchen sind ungefähr so groß wie eine flache Lutschpastille. Sie enthalten Pflanzenfasern, Aroma und Nikotin.

Der umstrittene amerikanische Moderator bekennt sich zu seiner Vorliebe für diskreten Nikotingenuss. Er lutsche die Beutel in jeder Sekunde, in der er wach sei, sagte Carlson in einem Podcast. Nikotinbeutel schleusen den Suchtstoff über die Mundschleimhaut ins Gehirn. Er regt ein Feuerwerk von Glückshormonen an. Wohlbefinden stellt sich ein, allerdings nicht so schlagartig wie bei einem Lungenzug an der Zigarette. Der Kick flutet langsamer an. Das Nikotin wirkt aber länger. Carlson und andere Nutzer behaupten, der Konsum der Beutel mache sie leistungsfähiger und kreativer.

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Das Ordnungsamt in Treptow-Köpenick hat sich im Februar mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit gewandt. Die Behörde warnt darin vor den weißen Säckchen. Bei Präventionsveranstaltungen gegen das Rauchen in 96 Schulklassen im Bezirk hätten 80 bis 90 Prozent der Schüler in den besuchten Klassen angegeben, das Produkt zu kennen. Das Ordnungsamt macht auf Nachfrage keine genauen Angaben, wie diese Zahl ermittelt worden ist. Unklar bleibt auch, wie viele Schüler die Beutel tatsächlich probiert haben.

Erhältlich sind Nikotinbeutel nur über das Internet. Sie sind in Deutschland nicht richtig verboten, aber auch nicht erlaubt. Nachdem sie bereits im Handel verkauft wurden, wurden sie als neuartige Lebensmittel kategorisiert. Die dabei gestatteten Nikotinwerte wurden so niedrig angesetzt, dass die Produkte aus den Regalen verschwanden. Andere EU-Länder erlauben den Verkauf. Die Bestellung von Nikotinbeuteln im Internet ist in Deutschland legal – und auch der Konsum der Säckchen durch Erwachsene.

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gestern

Berliner Ordnungsämter finden bei Kontrollen in Spätis und Shisha-Geschäften immer wieder auch illegal zum Verkauf angebotene Nikotinbeutel. Das Ordnungsamt Treptow-Köpenick schweigt sich darüber aus, ob Beutel im Bezirk vertrieben worden sind und das möglicherweise aufgefallen ist. Über die Bezugsquelle von Nikotinbeuteln im Bezirk gebe es lediglich Vermutungen, erklärt die Behörde.

Der Wissensstand zur Verbreitung von Nikotinbeuteln an Berliner Schulen bewegt sich auch über Köpenick-Treptow hinaus im Ungefähren. Der Berliner Gesundheitsverwaltung liegen nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse über Nikotinbeutel-Konsum an Schulen vor. Bei der Fachstelle für Suchtberatung ist das Thema zumindest bekannt. Die Referentin Christina Schadt berichtet von zwei Veranstaltungen in jüngerer Zeit, in denen auch aus anderen Bezirken über Nikotinbeutel an Schulen berichtet wurde.

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Schadt hat eine Erklärung, warum der Konsum bisher weitgehend unter dem Radar geblieben ist: Die Säckchen fielen Eltern und Lehrer kaum auf. „Die Vapes waren schon diskreter als Zigaretten. Aber sie haben durch den Dampf noch auf sich aufmerksam gemacht. Der Konsum von Nikotinbeuteln ist für Außenstehende schwer zu erkennen“, sagt sie. Die Säckchen lassen sich in den Mund schieben wie Hustenbonbons. Schadt plädiert für Aufklärung. Erwachsene müssten dafür sensibilisiert werden, dass nicht jede vermeintliche Pastille harmlos sei. Kinder und Jugendliche müssten über die Risiken Bescheid wissen. Bisher würden sie vor allem durch soziale Medien auf die Produkte aufmerksam, warnt Schadt.

Nicht nur in Deutschland ist die Vermarktung von Nikotinbeuteln durch sogenannte Influencer mit hoher Reichweite in den sozialen Medien ein Phänomen. Das Videoportal TikTok sperrte Ende März den Account des australischen Bodybuilders Stefan Kohut. Er hatte Nikotinbeutel beworben. Auch andere Fitness-Influencer werden in Australien dafür kritisiert, Nikotinsäckchen als Mittel zur Leistungssteigerung anzupreisen.

Die Suchtexpertin Christina Schadt erklärt die erstaunlich wirkende Popularität der neuen Nikotinprodukte unter Sporttreibenden. Die Substanz reüssiere – befreit von der Fitness schadenden Rauch – als Dopingmittel. Ein diskretes Mittel zur Leistungssteigerung könne junge Menschen auch in anderen Zusammenhängen verführen, etwa in der Schule, warnt sie.

Die möglichen Gefahren des Konsums scheint wie vieles in Bezug auf die Nikotinbeutel unklar zu sein. Auch Christina Schadt räumt Wissenslücken ein. Den Nikotinbeuteln wird in manchen Ländern ein noch niedrigeres Risikoprofil attestiert als dem in Schweden seit Jahrhunderten gebräuchlichen Snus. Er gleicht im Aussehen und in der Wirkung den neuartigen Nikotinbeuteln. Snus enthält aber Tabak. Bei manchen Gesundheitsexperten hat er dennoch keinen schlechten Ruf. Sie bringen den hohen „Snus“-Konsum in Schweden mit niedrigen Raucherzahlen in Verbindung. Und auch mit der Tatsache, dass mit dem Rauchen verbundene Krankheiten seltener auftreten. Schweden „snusen“ lieber, als zur Zigarette zu greifen.

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Frank Henkler-Stephani ist beim Bundesverband für Tabakwirtschaft und neuartige Erzeugnisse (BVTE) Experte für sogenannte Harm Reduction. Darunter verstehen Experten den Ansatz der Risikominimierung für Raucher. Nikotinbeutel in einer rechtlichen Grauzone zu belassen, gefährde Heranwachsende, warnt er. Jugendliche versorgten sich im Internet mit unregulierten Produkten mit zum Teil gefährlich hohen Nikotindosen. Medien berichten immer wieder von Vergiftungen unter Schülern, von denen manche im Krankenhaus behandelt werden mussten. „Wir brauchen eine Regelung, die den legalen Verkauf und einen engagierten Jugendschutz ermöglicht“, fordert der Experte.

Die FDP und einige SPD-Politiker fordern in der Ampel einen regulierten Verkauf des neuen Nikotinprodukts. Erwachsene Raucher sollen das alternative Produkt im Laden finden, wenn sie umsteigen wollen. Die Grünen zeigen sich skeptisch. In den USA ist die Diskussion um Nikotinbeutel und Jugendschutz inzwischen Teil des Kulturkampfes geworden. Neben Tucker Carlson werfen auch Republikaner der Regierung vor, die Zigarettenalternative kriminalisieren zu wollen. Eine sachliche Debatte über die weißen Säckchen ist jenseits des Atlantiks kaum noch möglich.

QOSHE - Nikotinbeutel an Schulen: Nun schlägt ein Berliner Ordnungsamt Alarm - Cedric Rehman
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Nikotinbeutel an Schulen: Nun schlägt ein Berliner Ordnungsamt Alarm

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09.04.2024

Ob sich der Fernsehmoderator Tucker Carlson vor dem Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Februar einen Nikotinbeutel hinter die Lippe geschoben hat, bleibt sein Geheimnis. Dem Zuschauer wäre es kaum aufgefallen. Die Säckchen sind ungefähr so groß wie eine flache Lutschpastille. Sie enthalten Pflanzenfasern, Aroma und Nikotin.

Der umstrittene amerikanische Moderator bekennt sich zu seiner Vorliebe für diskreten Nikotingenuss. Er lutsche die Beutel in jeder Sekunde, in der er wach sei, sagte Carlson in einem Podcast. Nikotinbeutel schleusen den Suchtstoff über die Mundschleimhaut ins Gehirn. Er regt ein Feuerwerk von Glückshormonen an. Wohlbefinden stellt sich ein, allerdings nicht so schlagartig wie bei einem Lungenzug an der Zigarette. Der Kick flutet langsamer an. Das Nikotin wirkt aber länger. Carlson und andere Nutzer behaupten, der Konsum der Beutel mache sie leistungsfähiger und kreativer.

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Erhältlich sind Nikotinbeutel nur........

© Berliner Zeitung


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