Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Atychiphobie. Und das kam so: Mein Aufnahmegerät ist in einer Tasse Kaffee versunken. Ich benutze so ein kleines, unauffälliges. Es verführt bei Interviews die Gesprächspartner nicht dazu, ständig hinzustarren. Das Gerät bewahre ich in einem Leinenbeutel auf, es lag auf dem Schreibtisch, ich griff danach, um es für den nächsten Einsatz startklar zu machen – und: Platsch!

Ich hatte den Beutel mit der Öffnung nach unten gehalten. Die Chance, dass ich ihn so zu fassen bekam, betrug 50:50. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Inhalt millimetergenau in den Kaffee fallen konnte, würde ich mit meinen limitierten mathematischen Fähigkeiten auf 1:1.000.000 schätzen. Eine ebenso glückliche Fügung wäre es gewesen, hätte die Technik made in China den Tauchgang unbeschadet überlebt. Leider verabschiedete sie sich kommentarlos.

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Gut, dass ich nicht an Paraskavedekatriaphobie leide. Das Missgeschick geschah zwar an einem Freitag, aber an der abergläubischen Furcht vor diesem Tag, insbesondere kombiniert mit einer 13, leide ich ausnahmsweise nicht. Bisher jedenfalls. Umso merkwürdiger ist mein Hang zu Missgeschicken.

Es war ein Sonntag, als ich einmal beim Joggen das Kunststück fertigbrachte, in eine Schlaufe aus Metallband einzufädeln, die völlig vereinsamt auf der Laufpiste im Park herumlag. Ich strauchelte und brach mir den Arm. Davon, dass ich neulich auf den einzigen 20 vereisten Quadratzentimetern eines ansonsten geräumten Gehsteigs ausgerutscht bin, habe ich bereits an anderer Stelle erzählt. Auch von der Schraube, die sich ausgerechnet in dem Moment in das Hinterrad meines Fahrrads bohrte, als ich zu einem wichtigen Termin strampelte. Unnötig zu erwähnen, dass in der Nähe weder Bus noch Bahn hielten.

•gestern

•vor 5 Std.

•vor 3 Std.

gestern

26.02.2024

Ich schien ein besonderes Talent für derartige Zwischenfälle zu besitzen. Wenigstens ein Talent, dachte ich und begann, die Ursache dafür zu suchen. Es stellte sich heraus, dass ich begann, eine handfeste Angst vor Versagen zu entwickeln, die in Fachkreisen als Atychiphobie stets für Furore sorgt.

Typisch dafür ist das Gefühl von Machtlosigkeit, las ich auf einer Internetseite namens „Nicht kleinzukriegen.org“ oder so. Ich erfuhr zu meiner Überraschung, dass ich über eine interne Kontrollüberzeugung verfügte: Ich nahm an, dass alles, was schiefläuft, auf etwas im Inneren zurückzuführen ist, das ich nicht hatte. Glück zum Beispiel. Meine externe Kontrollüberzeugung, die ich ebenfalls besaß, ließ mich glauben, dass Faktoren außerhalb des eigenen Einflusses zu Fehlgriffen führten.

Welche Faktoren das beim Kaffeebad gewesen sein könnten, fand ich nicht heraus. Von einer Vermeidungsstrategie jedenfalls, die typischerweise auftritt, konnte bei mir nicht die Rede sein. Ich kaufte nämlich sofort ein baugleiches Aufnahmegerät und zeichnete fleißig auf. In dieser Art von Konfrontationstherapie bin ich inzwischen geübt.

Außerdem trainiere ich jetzt regelmäßig meine innere Kontrollüberzeugung, damit sie groß und stark wird. Denn eine Seite für Selbsthypnose informierte mich darüber, dass ich dann viel öfter Risiken eingehen, Herausforderungen meistern und überhaupt ein ganz toller Typ werden würde.

Ich werde jetzt einen Kaffee trinken. Falls ich eine saubere Tasse finde. Die letzte hat mir gerade eine Kollegin vor der Nase weggeschnappt. Kurz bevor die Kaffeemaschine Fehler 438 meldete.

QOSHE - Angst vor Versagen: Manchmal reicht eine Tasse Kaffee, um sie auszulösen - Christian Schwager
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Angst vor Versagen: Manchmal reicht eine Tasse Kaffee, um sie auszulösen

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28.02.2024

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Atychiphobie. Und das kam so: Mein Aufnahmegerät ist in einer Tasse Kaffee versunken. Ich benutze so ein kleines, unauffälliges. Es verführt bei Interviews die Gesprächspartner nicht dazu, ständig hinzustarren. Das Gerät bewahre ich in einem Leinenbeutel auf, es lag auf dem Schreibtisch, ich griff danach, um es für den nächsten Einsatz startklar zu machen – und: Platsch!

Ich hatte den Beutel mit der Öffnung nach unten gehalten. Die Chance, dass ich ihn so zu fassen bekam, betrug 50:50. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Inhalt millimetergenau in den Kaffee fallen konnte, würde ich mit meinen limitierten mathematischen Fähigkeiten auf 1:1.000.000 schätzen. Eine ebenso glückliche Fügung wäre es gewesen, hätte die Technik made in China den Tauchgang unbeschadet überlebt. Leider verabschiedete sie sich kommentarlos.

Wie mich........

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