Fasten wird immer beliebter. Und immer mehr Studien belegen die positiven Effekte auf die Gesundheit. Doch welche Form des Fastens eignet sich für wen? Wer sollte darauf verzichten und welche Fehler sollten vermieden werden? Der Berliner Ernährungsexperte Andreas Michalsen erklärt im Interview, was bei zeitweisem Nahrungsverzicht im Körper passiert.

Herr Michalsen, fasten liegt seit einiger Zeit im Trend. Ist das eine Modeerscheinung, die irgendwann wieder abebbt?

Fasten ist beinah so alt wie die Menschheit. Fasten gibt es in jeder Religion, gab es bei Hippokrates in der griechischen Medizin, gehört zum Ayurveda. Fasten mag momentan eine Mode sein, aber es wird bleiben. Wir haben seit zehn, 15 Jahren viele wissenschaftliche Daten dazu. Aus medizinischer Sicht ist klar, dass Fasten gut ist.

Unterstützt Fasten medizinische Therapien?

Wir haben gute Evidenz, dass Fasten bei Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 und entzündlichen Erkrankungen therapeutisch wirkt. Auch bei weiteren Erkrankungen ergeben sich möglicherweise Einsatzgebiete für das medizinische Fasten. So haben wir gerade erst auf einem europäischen Kongress der Onkologen in Barcelona eine Studie vorgestellt, die zeigen konnte, dass die Nebenwirkungen einer Chemotherapie verringert und die Lebensqualität der Patienten gesteigert wird, wenn sie 60 Tage um die Chemotherapie herum nach der sogenannten Buchinger-Methode fasten.

Welcher Mechanismus steckt dahinter?

Wenn ein Mensch 24 Stunden fastet, gehen viele Körperzellen in eine Art Winterschlafmodus über. Sie verringern ihre Stoffwechselaktivität. Das betrifft Zellen der Darmschleimhaut und andere Zellen, die sich sonst relativ schnell teilen und erneuern. Sie reinigen sich dann und nehmen weniger von den giftigen Substanzen der Chemotherapie auf. Die Krebszelle wiederum macht, was sie will. Sie wächst ungebremst und ungesteuert, sie braucht viel Energie. Wenn wir eine Kombination aus Chemotherapie und Fasten haben, dann wird es ungemütlicher für die Krebszelle, für die gesunde Körperzelle wird es dagegen angenehmer.

24.02.2024

•gestern

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20.02.2024

Es heißt, Fasten kann sogar den Verlauf von unheilbaren Erkrankungen wie Parkinson positiv beeinflussen. Stimmt das?

Parkinson hat im Darm über das Mikrobiom, die Darmbakterien, einen möglichen Ausgangspunkt. Die Charité hat mit der Universität Luxemburg, der Universität Göttingen und der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel als führender deutscher Parkinson-Klinik eine Studie gemacht. Wir haben Parkinson-Patienten sieben Tage lang einem Heilfasten unterzogen. Das hat ihnen subjektiv gutgetan, hat ihre Lebensqualität erhöht und die Stimmung verbessert. Wir konnten aber noch nicht klar genug zeigen, dass Fasten den Verlauf der Parkinson-Erkrankung beeinflusst. Das müssen wir noch länger beobachten. Ich denke, dass wir in ein, zwei Jahren Ergebnisse publizieren können. Allerdings gehen wir davon aus, dass Fasten die Zusammensetzung der Darmbakterien bei Parkinson günstiger beeinflussen dürfte.

Wie funktioniert das?

Wenn die Balance des Mikrobioms gestört ist, zum Beispiel weil man sich schlecht ernährt, zu viel Zucker oder Fleisch gegessen hat, überwiegen manche Bakterien, andere kommen zu kurz. Im Fasten geht erst einmal alles zurück. Die Ausgangsposition verbessert sich für eine größere Diversität von Bakterien im Darm. Fasten hat zudem Einfluss auf chronische Entzündungsprozesse. In mehreren Studien haben wir und andere Forschergruppen gezeigt, dass Heilfasten über mehrere Tage sehr rasch die Gelenkentzündungen reduziert. Wenn man das Fasten mit einer nachfolgend pflanzlich orientierten, vegetarischen Ernährung kombiniert, wirkt es besonders gut.

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Hilft nur Heilfasten unterstützend bei Erkrankungen oder auch Intervallfasten?

Über viele Jahre haben Grundlagenwissenschaftler in Tierversuchen positive Effekte nachgewiesen: Wenn man Mäusen oder Ratten zeitweise das Futter wegnimmt, sei es in Intervallen während eines Tages oder über zwei, drei Tage verteilt, sinkt das Risiko der Tiere für Parkinson, aber auch für andere Erkrankungen des Gehirns wie Demenz oder MS (Multiple Sklerose, d. Red.). Wir schauen gerade, ob sich das auf Menschen übertragen lässt. An der Charité laufen derzeit Studien zu MS, bei denen Heilfasten einen gewissen Effekt zeigt. Abschließende Beurteilungen sind aber noch nicht möglich. Bei solchen neurologischen Erkrankungen muss man wahrscheinlich intensivere Formen des Fastens einsetzen, das ja eine Art kleine Schwester des Heilfastens ist.

Was meinen Sie damit?

Intervallfasten ist die Alltagsform des Fastens. Sie lässt sich dauerhaft praktizieren. Viele molekulare Prozesse laufen auch dabei ab. Zum Beispiel die Autophagie, die Zellreinigung. Wenn man 14 oder 16 Stunden am Tag nichts isst, findet die Autophagie allerdings nur in den letzten ein bis zwei Stunden statt. Medizinisch gesehen ist Intervallfasten dazu geeignet, Gewicht zu reduzieren, drei bis fünf Kilogramm in einem halben Jahr nach den Studiendaten. Zudem verbessert sich die Blutzuckerregulation, das ist gut für Menschen mit Diabetes Typ 2. Bei Bluthochdruck ist Intervallfasten ebenfalls hilfreich. Und es verbessert die Qualität des Schlafs. Alles andere weiß man noch nicht so genau.

Kann ich eine Heilfastenkur beliebig oft wiederholen?

Im Prinzip könnten Sie das einmal im Monat für fünf Tage machen. So empfiehlt es auch Valter Longo, der dazu viel geforscht hat. Er hat eine Fastenform entwickelt, bei der man 500, 600 Kilokalorien aufnehmen darf; über vegane, zuckerarme Ernährung, leichte Gemüsesuppen zum Beispiel, Nüsse oder Oliven.

Wie oft ist Fasten Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Ich würde ein Scheinfasten drei bis vier Mal im Jahr empfehlen, jeweils über fünf bis sieben Tage.

Scheinfasten?

Scheinfasten ist der nicht ganz glückliche Begriff, für die vor einigen Jahren von Longo entwickelte modifizierte Fastenform mit etwas mehr Kalorien, vegan und zuckerarm. Otto Buchinger und Franz Xaver Mayr haben schon vor über 100 Jahren eine bei uns verbreitet Form des modifizierten Fastens entwickelt, bei der man über Säfte, Gemüsebrühe, Haferschleim oder trockene Brötchen etwa 300 bis 350 Kilokalorien am Tag zu sich nimmt. Das Scheinfasten lässt sich etwas einfacher in den Alltag integrieren, es erreicht dabei ungefähr 80 Prozent der Effekte von Autophagie und Entzündungshemmung, die ein klassisches Heilfasten oder das sogenannte reine Wasserfasten bringen.

Wenn man also nur Wasser trinkt?

Diese Art des Fastens ist in den USA sehr beliebt, aber ich empfehle sie nicht so gern. Zwar ist die Autophagie stärker, aber es wird ein bisschen mehr Protein und Muskelmasse abgebaut als beim Scheinfasten und modifizierten Fasten.

Sollte ich beim Fasten Nahrungsergänzungsmittel nehmen, um Mangelerscheinungen vorzubeugen?

Nein. Sowohl Intervallfasten als auch Heilfasten funktionieren aus sich heraus. Natürlich kann man die Autophagie zusätzlich fördern, etwa durch Weizenkeime. Wer das unbedingt möchte, kann sich Weizenkeim-Tabletten besorgen, aber das muss nicht sein.

Ist Fasten für alle Menschen geeignet?

Für Menschen mit Untergewicht ist es ungeeignet. Ebenso für Menschen mit Essstörungen, da muss man aufpassen, dass man diese Störungen nicht fördert. Immer wenn Wachstum im Spiel ist, sollte ebenfalls nicht gefastet werden: bei Kindern und Jugendlichen ist das der Fall, bei Schwangeren und stillenden Frauen. Außerdem sollten Menschen mit Gallensteinen nicht fasten, wegen des Risikos einer Gallenkolik. Ansonsten kann praktisch jeder fasten. Wer Heilfasten als medizinische Therapie einsetzen möchte, sollte dies aber, zumindest beim ersten Mal, mit ärztlicher Begleitung machen, da man auch Medikamente in ihrer Dosis anpassen muss.

Bei Diäten gibt es den sogenannten Jojo-Effekt. Nimmt man auch nach einem Heilfasten die verlorenen Kilos wieder zu?

Aus unseren Daten am Immanuel-Krankenhaus, aber auch aus den weltweit erhobenen Daten gibt es keinen Beleg dafür. Ein Jojo-Effekt tritt sehr selten auf. Die meisten Menschen essen nach einem Heilfasten vernünftiger und achtsamer.

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Getrunken wird beim Fasten aber immer, oder?

Beim Trockenfasten wird auch aufs Trinken verzichtet. Es kommt aus der Religion und ist eine Form des Intervallfastens. Im Ramadan wird vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang zu bestimmten Zeiten im Jahr weder gegessen noch getrunken. Wir haben eine Studie zu einer anderen religiösen Form des Trockenfastens gemacht: das Bahai-Fasten, es kommt aus Persien. Das war sehr spannend.

Inwiefern?

Beim Bahai-Fasten haben wir festgestellt, dass es die Blutzuckerregulation positiv beeinflusst. Ich habe trotzdem kein gutes Gefühl dabei, zumindest würde ich es nicht in den Sommermonaten empfehlen, wenn es heiß ist. Ich muss allerdings einräumen, dass bisher nichts Negatives auffällt. Auch mit Blick auf das Ramadan-Fasten scheinen positive Effekte möglich zu sein. Wenn man es richtig macht.

Wie macht man es richtig?

Manche veranstalten regelrechte Völlerei-Partys in den Phasen, in denen Essen erlaubt ist. Das tut dem Körper nicht gut. Nach der muslimischen Tradition wird nachts nicht viel gegessen. Auf diese Art hat Trockenfasten positive Effekte für den Stoffwechsel. Es gibt sogar eine Studie für Deutschland, die zeigt, dass muslimische Schüler bessere Ergebnisse erzielt haben, wenn ihre Abiturarbeiten zufällig auf den Ramadan fielen. Ich selbst empfehle das klassische Intervallfasten, bei dem kalorienfreie Getränke zugeführt werden können. Wer nachhaltige Effekte erzielen möchte, muss es sein ganzes Leben lang machen, zumindest an den meisten Tagen. Sonst hat man nicht viel davon.

Es gibt verschiedene Varianten: Fünf Tage fasten, zwei Tage normal essen. Oder die Methode 16:8 - 16 Stunden fasten, acht Stunden essen. Wozu raten Sie?

Ich empfehle 14:10. Dazu zweimal pro Jahr jeweils fünf Tage Heilfasten.

Ist bei 14:10 nicht die Autophagie, die Phase der Zellreinigung, kürzer?

Hauptsache, man macht es überhaupt. Für den Großteil der Menschen in Deutschland passt 16:8 nicht so gut zum Berufsalltag und Familienleben. 14:10 ist leichter zu realisieren, verbessert die Lebensqualität und erhöht die Qualität des Schlafs.

QOSHE - Jeden Tag Intervallfasten: Experte empfiehlt zusätzlich zweimal Heilfasten - Christian Schwager
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Jeden Tag Intervallfasten: Experte empfiehlt zusätzlich zweimal Heilfasten

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26.02.2024

Fasten wird immer beliebter. Und immer mehr Studien belegen die positiven Effekte auf die Gesundheit. Doch welche Form des Fastens eignet sich für wen? Wer sollte darauf verzichten und welche Fehler sollten vermieden werden? Der Berliner Ernährungsexperte Andreas Michalsen erklärt im Interview, was bei zeitweisem Nahrungsverzicht im Körper passiert.

Herr Michalsen, fasten liegt seit einiger Zeit im Trend. Ist das eine Modeerscheinung, die irgendwann wieder abebbt?

Fasten ist beinah so alt wie die Menschheit. Fasten gibt es in jeder Religion, gab es bei Hippokrates in der griechischen Medizin, gehört zum Ayurveda. Fasten mag momentan eine Mode sein, aber es wird bleiben. Wir haben seit zehn, 15 Jahren viele wissenschaftliche Daten dazu. Aus medizinischer Sicht ist klar, dass Fasten gut ist.

Unterstützt Fasten medizinische Therapien?

Wir haben gute Evidenz, dass Fasten bei Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 und entzündlichen Erkrankungen therapeutisch wirkt. Auch bei weiteren Erkrankungen ergeben sich möglicherweise Einsatzgebiete für das medizinische Fasten. So haben wir gerade erst auf einem europäischen Kongress der Onkologen in Barcelona eine Studie vorgestellt, die zeigen konnte, dass die Nebenwirkungen einer Chemotherapie verringert und die Lebensqualität der Patienten gesteigert wird, wenn sie 60 Tage um die Chemotherapie herum nach der sogenannten Buchinger-Methode fasten.

Welcher Mechanismus steckt dahinter?

Wenn ein Mensch 24 Stunden fastet, gehen viele Körperzellen in eine Art Winterschlafmodus über. Sie verringern ihre Stoffwechselaktivität. Das betrifft Zellen der Darmschleimhaut und andere Zellen, die sich sonst relativ schnell teilen und erneuern. Sie reinigen sich dann und nehmen weniger von den giftigen Substanzen der Chemotherapie auf. Die Krebszelle wiederum macht, was sie will. Sie wächst ungebremst und ungesteuert, sie braucht viel Energie. Wenn wir eine Kombination aus Chemotherapie und Fasten haben, dann wird es ungemütlicher für die Krebszelle, für die gesunde Körperzelle wird es dagegen angenehmer.

24.02.2024

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20.02.2024

Es heißt, Fasten kann sogar den Verlauf von unheilbaren Erkrankungen wie Parkinson positiv beeinflussen. Stimmt das?

Parkinson hat im Darm über das Mikrobiom, die Darmbakterien, einen möglichen Ausgangspunkt. Die Charité hat mit der Universität Luxemburg, der Universität Göttingen und der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel als führender deutscher Parkinson-Klinik eine Studie gemacht. Wir haben Parkinson-Patienten sieben Tage lang einem Heilfasten unterzogen. Das hat ihnen subjektiv gutgetan, hat ihre........

© Berliner Zeitung


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