Das Tor zur Welt des Schlafs öffnet sich auf Knopfdruck. Ein Summer ertönt. Es geht durch eine Glastür, durch verwinkelte Gänge, rechts, links, und schließlich in das Büro von Achim Kramer. Er forscht an der Charité zur Chronobiologie, ist Leiter der dafür zuständigen Abteilung. Und hier, im Erdgeschoss eines modernen Gebäudes am Campus Mitte, zwischen altehrwürdigem Backsteingemäuer, liegt sein Labor. Kramer bittet an einen kleinen, runden Tisch für Besprechungen. An der Wand hängen gerahmte Urkunden, Auszeichnungen. An diesem Freitag kommt eine weitere hinzu.

Achim Kramer und sein Team haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich der optimale Schlafrhythmus eines Menschen bestimmen lässt. Auf sehr einfache Weise. Es reicht ein einziges ausgerissenes Haar. Für die Methode erhält der Professor nun in Berlin den Deutschen Schlafpreis. Prämiert wird er in der Kategorie „Wissenschaft und Innovation“. Der Test ist neu und weltweit einzigartig. „Es geht darum, die innere Uhr für das Wohl der Patienten einzusetzen“, sagt Kramer. „Dabei ist das Ablesen dieser Uhr ein Element.“

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Rund sechs Millionen Menschen leiden hierzulande an Schlafstörungen. In den zehn Jahren zwischen 2012 und 2022 stieg ihr Anteil an der Bevölkerung kontinuierlich an, von fünf auf sieben Prozent. Den Patientendaten der Krankenkasse Barmer zufolge sind die über 60-Jährigen am stärksten betroffen – mit einem Anteil von 13 Prozent. Den größten Zuwachs verzeichnete die Versicherung bei den 20 bis 29 Jahre alten Versicherten, wenngleich auf niedrigem Niveau. In dieser Altersklasse ging es hinauf von zwei auf drei Prozent.

Dass Schlafmangel krank macht, ist durch Studien vielfach bewiesen. Beschwerden des Herzens, Bluthochdruck, Schlaganfälle, eine gestörte Funktion der Nieren, Adipositas, Diabetes und andere Probleme des Stoffwechsels lassen sich darauf zurückführen. Wer nicht ausreichend ruht, erhöht zudem sein Krebsrisiko. Sogar neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson kann ständige Müdigkeit begünstigen.

13.03.2024

•gestern

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Müde Menschen sind leicht reizbar, emotional instabil, sind sich selbst und ihrer Umwelt mitunter eine Last. Die Psyche verharrt in einem permanenten Ungleichgewicht. Eine Wechselwirkung zwischen einem gestörten Schlafrhythmus und Depressionen ist wissenschaftlich belegt.

Medizinisch zeichnen sich diese Zusammenhänge immer deutlicher ab. Die Gesellschaft jedoch nimmt keine Rücksicht auf das individuelle Bedürfnis der Menschen nach Ruhe. Dabei könnte sie die Phasen besser nutzen, in denen jeder Einzelne besonders leistungsfähig ist. Doch so, wie das Miteinander in der westlichen Welt organisiert ist, ignoriert es die sogenannte innere Uhr. „Diese innere Uhr ist ein genetisches Programm“, sagt Achim Kramer. „Menschen sind genetisch verschieden. Sie sind zum Beispiel unterschiedlich groß. Genauso gibt es unterschiedliche Chronotypen.“

Der Volksmund spricht von Lerchen und Eulen, bezeichnet damit Frühaufsteher und Nachtmenschen. Viele mögen erahnen, welcher dieser Gruppen sie angehören, mögen aus ihrem Erleben im Alltag ableiten, wo sie sich zwischen den beiden Extremen einordnen. Für das Gesundheitswesen ist es mehr als eine Frage des Gefühls. Es könnte immer wichtiger werden, den Schlafrhythmus der Menschen individuell zu ermitteln. „Wenn Medikamente zu bestimmten Tageszeiten eingesetzt werden, weil sie dann besser wirken oder weniger Nebenwirkungen haben, dann geht es nicht nur um die Zeit, die auf unserer Armbanduhr steht, sondern um die innere Zeit“, sagt Chronobiologe Kramer.

Noch bedeutsamer ist dieser noch junge Zweig der Medizin für die Prävention. Zirkadiane Medizin wird das Fachgebiet genannt. „Unsere innere Uhr nennen wir zirkadiane Uhr. Sie umfasst nur circa einen Tag“, sagt Kramer. Personalisierte Medizin wiederum könnte helfen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Immer weniger Menschen werden sich um immer mehr Menschen kümmern müssen. Der demografische Wandel öffnet die Schere zwischen Fachpersonal und Pflegebedürftigen. Nach und nach verabschieden sich die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Schon jetzt wird die vorherrschende Reparaturmedizin den Ansprüchen der alternden Gesellschaft nur mit Mühe gerecht. Sie kostet viel und greift erst dann ein, wenn es bereits zu spät ist.

Zur Prävention könnte jetzt das an der Charité entwickelte Testverfahren einen Beitrag leisten. „Wenn wir personalisierte Chronomedizin machen wollen“, sagt Kramer, „müssen wir den Chronotyp der Patientinnen und Patienten kennen, und den versuchen wir mit unserem Haartest auszulesen.“

Der kostet 179 Euro und ist über eine Homepage zu beziehen. BodyClock heißt das Unternehmen, das ihn seit dem Frühjahr 2021 anbietet. Es handelt sich um eine Ausgründung der Charité. Unikliniken machen das, um ihre Investitionen in die Forschung wieder hereinzuholen. Auf Bestellung verschickt BodyClock ein Testkit. Es enthält eine Anleitung und ein Gefäß für die Probe: ein Haar samt Haarwurzel. Ein Fragebogen ist auszufüllen, ein Rückumschlag beigelegt. Beworben wird auf der Internetseite der Firma der „BodyClock RNA-Haartest“.

Kleinere Kinder sind eher Frühtypen. Als Jugendliche werden sie immer später. Den spätesten Chronotyp hat man, wenn man gerade ausgewachsen ist, mit 20, 21 Jahren.

RNA steht für Ribonukleinsäure. In einer Zelle fungiert sie als Informationsträger der Gene, setzt Funktionen in Gang. Wie viel RNA zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden ist, lässt sich messen. Auch in Zellen einer Haarwurzel. „Wir untersuchen bei einem Probanden eine Haarprobe, die beispielsweise um 9 Uhr genommen wurde“, sagt Kramer. „Dann messen wir die RNA-Menge, welche die Aktivität bestimmter Gene anzeigt. Wenn die 9-Uhr-Gene sehr aktiv sind, die 10-Uhr-Gene erst ein bisschen und die 11-Uhr-Gene noch weniger, dann zeigt die innere Uhr dieses Probanden tatsächlich 9 Uhr. Wenn aber 6-Uhr-Gene aktiv sind, dagegen die 9-Uhr-Gene noch nicht so sehr, dann steht seine innere Uhr auf 6, und er ist ein später Chronotyp.“

In einer Testreihe haben die Wissenschaftler der Charité herausgefunden, welche Gene zu welcher inneren Uhrzeit anspringen. Mit Künstlicher Intelligenz haben sie diese Informationen für ihr Kit aufbereitet. Noch nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob die Methode bei chronisch kranken Patienten funktioniert, etwa bei Rheumatikern. Studien dazu stehen noch aus.

Klar ist, dass sich die genetische Aktivität im Laufe eines Lebens verschiebt: Menschen wechseln ihren Chronotyp. „Kleinere Kinder sind eher Frühtypen“, sagt Kramer. „Als Jugendliche werden sie immer später. Den spätesten Chronotyp hat man, wenn man gerade ausgewachsen ist, mit 20, 21 Jahren. Dann wird man langsam wieder früher.“

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Frauen tendieren eher zur Lerche, Männer zur Eule. „Dieser Unterschied ist mit Mitte 50 wieder aufgehoben. Dann, wenn bei Frauen die Menopause einsetzt“, sagt Kramer. „Deshalb ist es plausibel, dass Geschlechtshormone eine Rolle spielen.“ Diese Annahme stützen Untersuchungen bei Teenagern. „Wenn man 13-Jährige vergleicht, eine Gruppe ist noch nicht in der Pubertät, die andere ist bereits in der Pubertät, dann sind die Pubertierenden spätere Chronotypen.“

Der Mechanismus dahinter ist noch nicht entschlüsselt. Ebenso wenig die Bedeutung des Alters für den Schlafrhythmus. Klar ist, dass das zirkadiane System zwei grundlegende Eigenschaften hat. „Es verfügt über Plastizität“, sagt Kramer. „Licht kann unsere innere Uhr stellen. Wenn wir über Zeitzonen hinwegfliegen, dann passen wir uns an die neuen Licht-Dunkel-Verhältnisse an.“ Allerdings sei das System robust genug, um alltagstauglich zu bleiben, sagt der Charité-Forscher. „Man will ja nicht mit jedem hellen Blitz die innere Uhr verstellen.“

Kramer geht davon aus, dass 30, 40, vielleicht sogar 50 Prozent der Bevölkerung späte Chronotypen sind, bezogen auf die gesellschaftlich verordnete Zeit. „Bei jungen Menschen sind das fast alle, bei den Älteren ungefähr die Hälfte, jedenfalls wenn sie in einem Nine-to-five-Job arbeiten.“ Der Experte sagt: „Unsere Gesellschaft ist zu früh dran.“

Lerchen lassen sich nun mal nicht zu Eulen umfunktionieren, Eulen nicht zu Lerchen. Dennoch ist es möglich, sich mit den gesellschaftlichen Zwängen zu arrangieren. Die zirkadiane Uhr funktioniert wie eine funkgesteuerte Uhr, die durch ein Atomsignal synchronisiert wird. Bei der inneren Uhr ist es eben das Licht, das sie in den Rhythmus bringt. „Spätere Chronotypen sollen möglichst früh Licht bekommen, um der inneren Uhr zu signalisieren, dass schon Tag ist.“ Die Uhr lässt sich so ein wenig vorstellen. „Sie könnten mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren oder eine U-Bahn-Station früher aussteigen und den Rest laufen“, rät der Experte den Eulen.

Seinen persönlichen Schlafrhythmus zu kennen, vermeidet Stress. Zu wissen, wann man essen und wann man damit aufhören sollte; auch in Leber und Nieren befinden sich Zellen, die den Tagesrhythmus bestimmen. Und vor allem zu wissen, dass es ein individuelles Zeitfenster gibt, um einzuschlafen. Dass sich niemand anstrengen muss, früh zu entschlummern, weil der Wecker auf sechs Uhr gestellt ist. Weil es der Beruf so will, das Studium, die Schule, die frühmorgens zur Mathe-Arbeit ruft, obwohl sich die meisten Schüler nach ihrer inneren Uhr noch im biologischen Tiefschlaf befinden. Die nächtliche Ruhe kommt irgendwann von selbst.

Auf das Wissen, dass es unterschiedliche Chronotypen gibt, sollten Arbeitgeber reagieren.

Wahrscheinlich wird es dauern, bis sich die Erkenntnisse der zirkadianen Medizin in der Arbeitswelt niederschlagen. Dass es durchaus auch anders geht, haben Achim Kramer und sein Team in einem Pilotprojekt an einem Krankenhaus in Bayern gezeigt. Sie wollten herausfinden, ob an die jeweiligen Chronotypen angepasste Dienstpläne den Schlaf, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten positiv beeinflussen, sagt der Wissenschaftler. „Wir haben damals noch mit aufwendigeren Bluttests gearbeitet.“ Die Ergebnisse aber stützten ihre Ausgangshypothese: Bei Befragungen stellte sich heraus, dass die Beschäftigten weniger Schlafprobleme hatten, nachdem die Dienstpläne umgestellt worden waren.

„Auf das Wissen, dass es unterschiedliche Chronotypen gibt, sollten Arbeitgeber reagieren“, sagt Achim Kramer. Sein Handy klingelt. Vielleicht kündigt sich der nächste Termin an. Durch das Fenster seines Büros im Erdgeschoss wirft die trübe Frühlingssonne ein fahles Licht. Auf dem Display der Armbanduhr steht 10.36.

QOSHE - Schlafstörungen: Wie ein simpler Haartest hilft, mit dem Biorhythmus klarzukommen - Christian Schwager
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Schlafstörungen: Wie ein simpler Haartest hilft, mit dem Biorhythmus klarzukommen

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Achim Kramer und sein Team haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich der optimale Schlafrhythmus eines Menschen bestimmen lässt. Auf sehr einfache Weise. Es reicht ein einziges ausgerissenes Haar. Für die Methode erhält der Professor nun in Berlin den Deutschen Schlafpreis. Prämiert wird er in der Kategorie „Wissenschaft und Innovation“. Der Test ist neu und weltweit einzigartig. „Es geht darum, die innere Uhr für das Wohl der Patienten einzusetzen“, sagt Kramer. „Dabei ist das Ablesen dieser Uhr ein Element.“

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Dass Schlafmangel krank macht, ist durch Studien vielfach bewiesen. Beschwerden des Herzens, Bluthochdruck, Schlaganfälle, eine gestörte Funktion der Nieren, Adipositas, Diabetes und andere Probleme des Stoffwechsels lassen sich darauf zurückführen. Wer nicht ausreichend ruht, erhöht zudem sein Krebsrisiko. Sogar neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson kann ständige Müdigkeit begünstigen.

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Medizinisch zeichnen sich diese Zusammenhänge immer deutlicher ab. Die Gesellschaft jedoch nimmt........

© Berliner Zeitung


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