Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Dermatozoenwahn. Und das kam so: Ich erhielt eine E-Mail mit einer eindringlichen Warnung. Jemand, den ich nicht kannte, sorgte sich um meine Gesundheit, er schrieb: „Ihre Tastatur ist gefährlicher als ein Verbrecher.“ Ich nahm sofort die Hände vom Computer, betrachtete ihn aus sicherer Entfernung, fragte mich, ob dieser digitale Strolch mir gleich einen tödlichen Stromschlag verpassen oder wenigstens versuchen würde, an meine Kontodaten heranzukommen.

Der Autor der Mail klärte mich auf. Er hatte herausgefunden, dass sich auf meiner Tastatur mehr Bakterien als auf der heimischen Toilettenbrille befanden. Wie ihm das gelungen war, blieb sein Geheimnis. Ebenso, ob dieser Sachverhalt nun gegen meinen Computer oder für die heimische Toilettenbrille sprach. Gespannt las ich weiter, las von 7,7 Millionen Menschen weltweit, die Jahr für Jahr an bakteriellen Infektionen sterben. Viele ereilte dieses tragische Schicksal offenbar an ihrer Tastatur.

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Meine Fingerkuppen begannen zu jucken, fühlten sich staubig an. Ich erinnerte mich an die Erdnüsse vom Vorabend, die ich parallel zu letzten Handgriffen an einem Text verzehrt hatte und die einen geschmeidigen Fettfilm auf einigen Tasten hinterließen. Trotz späterer Behandlung mit einem Hygienetuch vermutete ich dort weiterhin die Kleinkriminellen Streptococcus, Staphylococcus und ihre dreckige Bande. Zum Glück trage ich stets ein Fläschchen Desinfektionsspray bei mir; während der Corona-Pandemie war nicht alles schlecht.

Nachdem nun meine Hände dekontaminiert waren, kam ich mir merkwürdig vor, konsultierte per Handy eine Suchmaschine, die mir über mehrere Treffer zu verstehen gab, dass ich unter der krankhaften Vorstellung litt, mich hätten Parasiten befallen. Auslösen können einen solchen Dermatozoenwahn Würmer, Läuse, Milben und anderes Getier. Somit auch auf die schiefe Bahn geratene Bakterien.

25.03.2024

25.03.2024

gestern

gestern

gestern

Meine juckenden Fingerkuppen und das Staubgefühl zählten zu den Leitsymptomen. Fehlte nur noch, dass ich mir die Haut zerkratzen oder mich stechen würde, was Furunkel dazu ermuntern könnte, es sich auf mir gemütlich zu machen. Ein Online-Lexikon der Psychologie wusste sogar von Fällen zu berichten, in denen sich Betroffene verstümmelten, doch ich war zum Glück bis jetzt noch vollständig vorhanden. Auch hatte ich weder Hautproben noch Schorf oder Schuppen in die Praxis meiner Hausärztin mitgebracht, damit sie mir den Bakterienbefall schriftlich geben konnte.

Eine Frauenzeitschrift warf mir zwischen den Zeilen vor, mich einer Krankheitsangststörung hinzugeben, sprich ein Hypochonder zu sein. Die Autorin des betreffenden Artikels empfahl mir eine Psychotherapie. In schlimmen Fällen würden Antipsychotika helfen. Die Frau hatte ja keine Ahnung. Ich wandte mich noch einmal dem bakteriell aufgeklärten Whistleblower und seiner Mail zu. Seine Therapie schien sich leicht umsetzen zu lassen.

Sie bestand zunächst aus Druckluft. Nicht oral oder durch andere Körperöffnungen zugeführt, sondern auf die Tastatur gerichtet, wodurch die Mikroben weggepustet würden. Präventiv musste ich es vermeiden, in der Nähe des Computers zu essen. Außerdem sollte ich meine Hände regelmäßig mit Seife und warmem Wasser von Keimen befreien. Zufällig hatte der Whistleblower preisgünstige Seife im Angebot.

Was ein Waschzwang ist und wie man ihn wieder loswird, besprechen wir dann ein andermal.

QOSHE - Tödliche Mikroben: Kann die Computer-Tastatur zur tödlichen Falle werden? - Christian Schwager
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Tödliche Mikroben: Kann die Computer-Tastatur zur tödlichen Falle werden?

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27.03.2024

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt ­­– Dermatozoenwahn. Und das kam so: Ich erhielt eine E-Mail mit einer eindringlichen Warnung. Jemand, den ich nicht kannte, sorgte sich um meine Gesundheit, er schrieb: „Ihre Tastatur ist gefährlicher als ein Verbrecher.“ Ich nahm sofort die Hände vom Computer, betrachtete ihn aus sicherer Entfernung, fragte mich, ob dieser digitale Strolch mir gleich einen tödlichen Stromschlag verpassen oder wenigstens versuchen würde, an meine Kontodaten heranzukommen.

Der Autor der Mail klärte mich auf. Er hatte herausgefunden, dass sich auf meiner Tastatur mehr Bakterien als auf der heimischen Toilettenbrille befanden. Wie ihm das gelungen war, blieb sein Geheimnis. Ebenso, ob dieser Sachverhalt nun gegen meinen Computer oder für die heimische Toilettenbrille sprach. Gespannt las ich weiter, las von 7,7 Millionen Menschen weltweit, die Jahr für Jahr an........

© Berliner Zeitung


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