Die Deutsche Bahn verhandelt mit der GDL. Parallel verfolgt das Staatsunternehmen ein langfristig angelegtes Konzept, um sich von Streiks und anderen Launen des Gewerkschaftsführers Claus Weselsky unabhängig zu machen. Mit Erfolg, es gibt etliche Belege dafür. Aktuell zum Beispiel eine Reise von Berlin nach Freiburg im Breisgau und zurück. Meine Reise. Vielleicht.

Los geht es mit einer Buchung per Bahn-App vor gut einem Monat für die Woche nach Ostern: Sparpreis, Sitzplatzreservierung, eine hohe Auslastung wird erwartet. Das pure Glücksgefühl einer gelungenen Transaktion, es verdrängt die Sorge, die GDL könnte mit einem Wellenstreik die Streikwelle ins Groteske treiben. Es vergehen unbeschwerte Tage, der Breisgau-Trip ist fern, als sich die App bei mir meldet, kurz und knapp: „Freiburg – Berlin, Datum, Uhrzeit“. Und in Rot: „Fahrt entfällt“. Hinter dem Button „Alternative suchen“ verbirgt sich die Botschaft: „Keine Suchergebnisse“.

Erfahrungsbericht zeigt: Der Murks bei der Deutschen Bahn ist real

06.11.2023

Bahnstreik: Darum will GDL-Chef Weselsky die 35-Stunden-Woche durchboxen

13.03.2024

Hektisch beginne ich, mit dem Zeigefinger auf das Smartphone einzuhacken, fahnde wie besessen nach einer Reisemöglichkeit, die noch nicht ausgebucht ist, lande bei einem ICE, der Freiburg im Morgengrauen verlässt. Egal, ich schlage zu, Sitzplatz am Gang. Puh, Glück gehabt, denke ich in diesem Moment, denke es auch noch, als die Bahn mit der Ankündigung zu überraschen weiß, dass sie sich womöglich noch in dieser Woche mit der GDL einigen wird. Alles wird gut.

Oder doch nicht? Am Sonntagmorgen erscheint erneut gehässig klein das Logo der DB auf dem Display meines Handys. Zittrig drücke ich darauf, werde zu einer Meldung weitergeleitet: „Berlin – Freiburg, Datum, Uhrzeit“, steht da. Und in Rot: „Fahrt entfällt“. Alternativen? Keine.

•vor 7 Std.

•vor 2 Std.

17.03.2024

•gestern

•gestern

„Klasse“, denke ich auf meine gewohnt ironische Art, fingere für die Hinfahrt nun ebenfalls einen ICE am frühen Morgen heraus, reserviere, erspare es mir, erleichtert zu sein, denn die nächste Hiobsbotschaft kommt bestimmt: wenn der Zug nicht losfährt, weil ein Trittbrett klemmt oder der Triebkopf im Eimer ist. Spätestens aber auf der Fahrt, wenn der Bordlautsprecher verkündet, dass sich die Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit verzögert, weil eine Weiche schlapp macht oder ein Stellwerk Urlaub.

Vor dem geistigen Auge sehe ich, wie ich eine Zugbegleiterin anschreie. Sie hat mich auf die Zugbindung meines Tickets hingewiesen, meine diesbezügliche Entgleisung nimmt sie abgestumpft zur Kenntnis. In Gedanken sehe ich dann die Verhandlungsführer der Deutschen Bahn. Sie sitzen Claus Weselsky gegenüber, berichten von meinem Freiburg-Trip und den hunderttausend anderen Reisen, die sie in letzter Zeit erfolgreich vereitelt haben, ganz ohne die GDL und ihre Streiks. Triumphierend sagen sie: „So legt man die Arbeit nieder, du Pfeife.“ Und eine blecherne Stimme spricht zu mir: „Thank you for choosing Deutsche Bahn, goodbye!“

QOSHE - Warum die Deutsche Bahn keinen GDL-Streik braucht, um die Arbeit niederzulegen - Christian Schwager
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Warum die Deutsche Bahn keinen GDL-Streik braucht, um die Arbeit niederzulegen

8 24
19.03.2024

Die Deutsche Bahn verhandelt mit der GDL. Parallel verfolgt das Staatsunternehmen ein langfristig angelegtes Konzept, um sich von Streiks und anderen Launen des Gewerkschaftsführers Claus Weselsky unabhängig zu machen. Mit Erfolg, es gibt etliche Belege dafür. Aktuell zum Beispiel eine Reise von Berlin nach Freiburg im Breisgau und zurück. Meine Reise. Vielleicht.

Los geht es mit einer Buchung per Bahn-App vor gut einem Monat für die Woche nach Ostern: Sparpreis, Sitzplatzreservierung, eine hohe Auslastung wird erwartet. Das pure Glücksgefühl einer gelungenen Transaktion, es verdrängt die Sorge, die GDL könnte mit einem Wellenstreik die Streikwelle ins Groteske treiben. Es vergehen unbeschwerte Tage, der Breisgau-Trip ist fern, als sich die App bei........

© Berliner Zeitung


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