Für Außenstehende reduzierte sich das Leben der sorbischen Minderheit in der DDR meist auf Klischees: kunstvoll bemalte Ostereier, üppige Trachten mit Hauben und Schürzen, Hochzeitsfeste mit komplizierten Ritualen. All dies konnte am Rande von Bootsfahrten im Spreewald beschaut werden – und war wohl eher etwas für Senioren. Oder für die Propaganda. Denn als einzige relevante ethnische Minderheit Mitteldeutschlands stand die sorbische oder wendische Bevölkerung auf besondere Weise im Fokus des staatlichen Interesses. Sie eignete sich gut als Beleg für die Überwindung des nationalen Wahns, der ja erst ein paar Jahre zurücklag. Ihr Brauchtum wurde gefördert, die Sprache gelehrt. Und: Es gab ab 1980 in Bautzen sogar die Defa-Produktionsgruppe „Sorbischer Film“.

Es mussten nach dem Ende der DDR aber erst mehr als 30 Jahre vergehen, um einen differenzierten Blick auf dieses noch immer wenig bekannte innenpolitische Kapitel zu werfen. Dass dies jetzt endlich geschieht, ist ein wesentliches Verdienst der Autorin, Kuratorin und Filmemacherin Grit Lemke. Gerade hat sie gemeinsam mit dem Medienwissenschaftler Andy Räder ein umfangreiches Buch zum Thema vorgelegt, auch ihr eigener Dokumentarfilm „Bei uns heißt sie Hanka“ (2023) umkreist den Komplex.

Die nun von ihr im Zeughauskino eingerichtete Retrospektive greift sogar bis auf die 1920er- und 1930er-Jahre zurück. Der Schwerpunkt liegt aber – schon bedingt durch die Quellenlage – auf der DDR-Zeit. Die Ostereier und Hochzeiten kommen dabei auch wieder zu ihrem Recht. Richtig spannend wird es, wenn sich Filme den Widersprüchen der amtlichen Sorben-Bilder nähern. Diese gab es reichlich, sie kulminierten in der Gleichzeitigkeit von Schönfärberei und Zerstörung.

Denn während einerseits der folkloristische Kitsch gefördert wurde, versanken die eben noch weitgehend authentischen Kulturlandschaften der Sorben unter den Baggerschaufeln des Tagebaus. Kritik an der Energie- und Umweltpolitik war tabu. Wer sie übte, riskierte Eingriffe der Zensur und damit Karrierebrüche. Dennoch gab es Einzelne, die den Balanceakt wagten.

09.05.2024

•gestern

09.05.2024

Höhepunkt und Abschluss der Retro bildet die Wiederaufführung von „Rublak. Die Legende vom vermessenen Land“, 1983 an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg entstanden. Der damalige Regiestudent Konrad Herrmann versuchte mit diesem mittellangen Spielfilm etwas für DDR-Verhältnisse Seltenes. Er verwob einen brisanten Gegenwartsstoff mit phantasmagorischen Einschüben, die immer mehr Raum ergreifen.

Zunächst erleben wir einen in tiefem Wald verborgenen Dreiseithof mit seinen wortkargen Bewohnern (Großmutter, Vater und Sohn), ruhend in den Zyklen der Jahreszeiten, scheinbar durch nichts aus den von der Natur vorgegebenen Rhythmen zu bringen. Bis eines Tages ein Trupp von Landvermessern eintrifft und doch alles durcheinanderbringt. Die Eindringlinge stellen sich als Vorboten von tiefgreifenden Veränderungen heraus. Bald werden auch hier die riesigen Bagger ihr unerbittliches Regiment führen.

Babelsberger Visionäre: Die Defa und ihre Kameramänner

04.05.2024

Claudia Cardinale: Würdigung einer Diva zwischen Glamour und Gosse

01.05.2024

Merkwürdige Dinge geschehen. Fast scheint es, als würde sich die gepeinigte Landschaft mit den in sie eingeschriebenen Mythen und Legenden gegen den Einbruch einer bigotten, nur auf Augenblicksgewinn fokussierten Gegenwart aufbäumen. Als Bote des Unheils und zugleich Bewahrer des Alten tritt der mysteriöse „Rublak“ mit seiner dreisaitigen Fidel auf. Er durchquert Mondlandschaften, in denen eben noch dörfliches Leben pulsierte.

Die „Hauptverwaltung Film“ beim Ministerium für Kultur empörten diese Szenen dermaßen, dass sie sie aus Herrmanns Studentenfilm entfernen ließ. Erst 2014 konnte der heute in Berlin lebende Regisseur und Produzent die verbotenen Bilder auffinden und wieder in den Film einfügen. Manchmal heilt die Zeit eben doch Wunden – vorausgesetzt, man tut etwas dafür.

Sorbische Filmlandschaften. Zeughauskino, bis 14. Mai. Das gleichnamige Buch von Grit Lemke und Andy Räder ist im Handel erhältlich, es enthält zwei DVDs mit Filmbeispielen. „Rublak. Die Legende vom vermessenen Land“ läuft am 14. Mai um 19 Uhr.

QOSHE - Umworben und bedroht: Sorbisches Leben im filmischen Spiegel - Claus Löser
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Umworben und bedroht: Sorbisches Leben im filmischen Spiegel

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11.05.2024

Für Außenstehende reduzierte sich das Leben der sorbischen Minderheit in der DDR meist auf Klischees: kunstvoll bemalte Ostereier, üppige Trachten mit Hauben und Schürzen, Hochzeitsfeste mit komplizierten Ritualen. All dies konnte am Rande von Bootsfahrten im Spreewald beschaut werden – und war wohl eher etwas für Senioren. Oder für die Propaganda. Denn als einzige relevante ethnische Minderheit Mitteldeutschlands stand die sorbische oder wendische Bevölkerung auf besondere Weise im Fokus des staatlichen Interesses. Sie eignete sich gut als Beleg für die Überwindung des nationalen Wahns, der ja erst ein paar Jahre zurücklag. Ihr Brauchtum wurde gefördert, die Sprache gelehrt. Und: Es gab ab 1980 in Bautzen sogar die Defa-Produktionsgruppe „Sorbischer Film“.

Es mussten nach dem Ende der DDR aber erst mehr als 30 Jahre vergehen, um einen differenzierten Blick auf dieses noch immer wenig bekannte innenpolitische Kapitel zu werfen. Dass dies jetzt endlich geschieht, ist ein wesentliches Verdienst der Autorin, Kuratorin und Filmemacherin........

© Berliner Zeitung


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