A wie Anton heißt es auf der klassischen deutschen Buchstabiertafel, in Österreich wird ein weiblicher Name benutzt: Anna. „A wie Ada“ hat Dilek Güngör ihren neuen Roman genannt, in dem sie das Mädchen und die spätere Frau Ada durchbuchstabiert. Es ist ein schmales, funkelndes Buch, das die Bedingungen eines Lebens ausleuchtet.

„Ada heißt Insel in der Sprache der Mutter, die auch die Sprache des Vaters ist“, steht hier früh, was nach einer Bedingung klingt: Die Eltern der Figur sind in der Türkei aufgewachsen, sie kam in Deutschland zur Welt. „Eine einsame Insel ist sie selbst“, heißt es kurz danach, womit die zweite Voraussetzung für dieses Buch klar ist. Dilek Güngör misst den Raum aus zwischen Herkunft und Lebensgefühl, zwischen Familie und Unabhängigkeit. Es ist ein erzählerischer Versuch über Identität, der ohne die Schlagworte der Debatte auskommt.

Dabei kehrt sie immer wieder zur Kindheit zurück, und zwar vor allem in jene Bereiche, wo die Selbstständigkeit ihren Anfang nahm, in den Kindergarten und die Schule. Ada ist beschäftigt damit, sich gegenüber den Kindergartentanten, Lehrerinnen und dem Professor zu behaupten, sie ist vor allem um ein gutes Verhältnis zu ihren Freundinnen bemüht. „Ada will so werden wie die anderen.“

Zu ihrer Emanzipation gehört auch die Sprache, Ada möchte nicht so reden wie die Eltern. Wie zum Beweis für die Leserinnen und Leser folgt in diesem Abschnitt ein Satz auf Türkisch: „Niye laf dinlemiyorsun?“ Den kann man verstehen, wenn man der Mutter-Sprache mächtig ist (es ist keiner, der gegenüber Touristen fällt oder im türkischen Supermarkt in Deutschland benutzt würde).

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Man kann ihn in ein digitales Übersetzungsprogramm eingeben. Oder man hält die Unkenntnis an der Stelle aus. Das geht, denn auch Ada antwortet: „Ich verstehe nicht, was du sagst.“ Die Mutter nennt das eine Lüge. Das Mädchen wächst also in der Abgrenzung auf und staunt eines Tages, dass eine Freundin Probleme mit der eigenen Familie hat. „Ada dachte, die Fremdheit gehört den Fremden.“

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Wenige Sätze führen schnell in eine Situation, die durch Adas Position aufgelöst wird. Dilek Güngör spart sich hier, anders noch als in ihren Romanen „Ich bin Özlem“ (2019) und „Vater und ich“ (2021), einordnende Formulierungen. Dabei probiert nicht nur Ada Lebensformen aus, auch Dilek Güngör probiert literarische Darstellungsformen durch.

So erhöht sie zwischendurch das Abstraktionsniveau, wenn Ada mit plärrendem Kind nach Hause kommt, wo schon die Zukunft wartet und sich „langweilt“. Und dann sprechen sie miteinander: „Wen hast du da mitgebracht?, fragt die Zukunft und blickt auf die müde Vergangenheit, die auf dem Schuhabstreifer liegt, keinen Schritt will sie mehr tun.“ Anderntags wird die Missgunst sie huckepack nehmen.

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Dilek Güngör: A wie Ada. Verbrecher-Verlag, Berlin 2024. 110 Seiten, 20 Euro

QOSHE - „A wie Ada“: Dilek Güngör buchstabiert ein Leben durch - Cornelia Geißler
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„A wie Ada“: Dilek Güngör buchstabiert ein Leben durch

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02.03.2024

A wie Anton heißt es auf der klassischen deutschen Buchstabiertafel, in Österreich wird ein weiblicher Name benutzt: Anna. „A wie Ada“ hat Dilek Güngör ihren neuen Roman genannt, in dem sie das Mädchen und die spätere Frau Ada durchbuchstabiert. Es ist ein schmales, funkelndes Buch, das die Bedingungen eines Lebens ausleuchtet.

„Ada heißt Insel in der Sprache der Mutter, die auch die Sprache des Vaters ist“, steht hier früh, was nach einer Bedingung klingt: Die Eltern der Figur sind in der Türkei aufgewachsen, sie kam in Deutschland zur Welt. „Eine einsame Insel ist sie selbst“, heißt es kurz danach, womit die zweite Voraussetzung für dieses Buch klar ist. Dilek Güngör misst den Raum aus zwischen Herkunft und Lebensgefühl, zwischen Familie und Unabhängigkeit. Es ist ein erzählerischer Versuch über Identität, der ohne die Schlagworte der Debatte auskommt.

Dabei kehrt sie immer wieder zur Kindheit zurück, und zwar vor allem in jene Bereiche, wo die Selbstständigkeit........

© Berliner Zeitung


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