Sieben Oscars für „Oppenheimer“: Das hat man sich vielleicht vorher ausrechnen können, doch die Show in der Nacht von Sonntag auf Montag verlief nicht erwartbar.

In Berlin ist die Aufregung über den Abend der Preisverleihung der hiesigen Filmfestspiele noch nicht ganz verebbt, da zeigte die Branche in Hollywood, wie Kunst, Kommerz und Politik zusammengehen können und dabei eher Nachdenken provozieren als reflexhafte Aufregung und Ablehnung.

Fast das letzte Wort gehörte der britischen Filmproduzentin Emma Thomas, da war es in Deutschland schon halb vier Uhr früh, sie nahm die Auszeichnung für den besten Film entgegen. Das war nicht lange, nachdem ihr Mann Christopher Nolan bereits für die beste Regie geehrt wurde und ihr als der Produzentin seiner Filme und seiner Kinder gedankt hatte. So wie er über das Kino sprach, nicht nur über „Oppenheimer“, um den er zweieinhalb Jahrzehnte gekämpft hatte, über eine Kunst, die mehr als hundert Jahre alt ist und dabei so aktuell, das verband die Menschen im Saal: „Das bedeutet die Welt für mich.“

Der dreistündige Film über einen Physiker, der erfahren musste, wie politisch Wissenschaft sein kann, erzählt eine historische Geschichte mit Auswirkungen bis heute. Als Cillian Murphy, der den J. Robert Oppenheimer spielt, den Oscar als bester Hauptdarsteller entgegennahm, sagte er: „Wir haben einen Film über den Mann gedreht, der die Atombombe entwickelt hat, und wir alle leben wohl oder übel in Oppenheimers Welt. Deshalb möchte ich diesen Film den Friedensstiftern überall widmen.“

Die Friedensstifter saßen mit im Saal. Vielfach sichtbar an Smokingjacken und an manchem edlen Kleid war ein roter Button. Es ist das Symbol der Initiative Artists4Ceasefire (Künstler für den Waffenstillstand), die von der US-Regierung und dem Kongress fordert, darauf hinzuwirken, dass die Bombardierung des Gazastreifens endet und die israelischen Geiseln freigelassen werden.

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Der Schauspieler Swann Arlaud, der öfter von den Kameras mit eingefangen wurde, wenn sie die Deutsche Sandra Hüller zeigen wollten, trug sogar eine Palästina-Fahne als Anstecker. In „Anatomie eines Falls“ ist er der Anwalt und alte Freund der des Totschlags verdächtigten Schriftstellerin, die Hüller spielt. Sie war für die Rolle als beste Hauptdarstellerin nominiert. Die Auszeichnung ging allerdings an Emma Stone für ihre Verkörperung eines Experiments in „Poor Things“ von Giorgos Lanthimos: eine Frau, der das Hirn eines Säuglings implantiert wurde. Emma Stones Rede, so pathetisch und hektisch, so ergreifend und komisch zugleich, tröstete schnell über die Enttäuschung hinweg, dass nicht Hüller den Preis bekam. Zumal eigentlich Lily Gladstone die größten Chancen vorhergesagt wurden, für ihre Hauptrolle in Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“.

Sandra Hüller, in den vergangenen Wochen immer wieder als kühl und unnahbar beschrieben, konnte man tränenüberströmt auf ihrem Platz sitzen sehen, als „The Zone of Interest“ als bester internationaler Film gekürt wurde. Das heißt, die Auszeichnung ging an den britischen Regisseur Jonathan Glazer und sein Team, zu dem sie gehört, und nicht an einen der beiden deutschen Hoffnungsträger dieser Kategorie İlker Çataks „Lehrerzimmer“ oder Wim Wenders‘ „Perfect Days“.

Anders als fast alle anderen Ausgezeichneten holte Jonathan Glazer auf der Bühne eine vorbereitete Rede hervor, die er rasend schnell vortrug. Er hatte eine Botschaft. „Unser Film zeigt, wohin Entmenschlichung im schlimmsten Fall führt“, sagt er. „The Zone of Interest“ erzählt von der Familie des Kommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz und deren kaum erträglicher Gleichgültigkeit gegenüber der fabrikmäßigen Ermordung von Juden und Nazigegnern in unmittelbarer Nachbarschaft. Glazer zog von seiner Geschichte eine Linie in die Gegenwart. Er nannte die Opfer des 7. Oktober – also des Hamas-Terrors – und die Opfer der Angriffe in Gaza – also der israelischen Gegenreaktion – gemeinsam „Opfer von Entmenschlichung“.

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Jimmy Kimmel, der Comedian und Talkmaster, hatte als Gastgeber des Abends schon zu Beginn von besonderen Zeiten gesprochen, die aber auch große Zeiten für Filme seien. Er lobte die Gewerkschaften, die mit ihren 148 Tagen Streik zwar Produktionen verzögert hätten, aber für Regelungen gesorgt hätten, die jetzt und in Zukunft den Einfluss von Künstlicher Intelligenz in der Filmbranche begrenzen könnten. Er forderte Applaus für die Vertreter von Berufen, die für den Film wichtig seien, aber kaum gesehen würden: die Lkw-Fahrer und Caterer zum Beispiel. Er machte einen dunklen Witz über Sandra Hüllers ernste Filme, die in Deutschland als romantische Komödien gelten würden. Er spielte auf die Altersdiskriminierung in der Branche an, als er daran erinnerte, dass die in diesem Jahr als beste Nebendarstellern nominierte Jodie Foster bereits 1976 Oscar-Anwärterin für die weibliche Nebenrolle in „Taxi Driver“ war. Heute allerdings sei sie 20 Jahre zu alt, um Robert de Niros Freundin zu spielen. Nun, ihr damaliger Filmpartner de Niro ist heute 80, Foster 61 Jahre alt. Sehr freundlich begrüßte Jimmi Kimmel Messi, den Hund aus „Anatomie eines Falls“, der wie auf Kommando den Kopf schief legte.

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Gewinner und Verlierer gibt es immer nach solch einer Nacht. Mit 13 Nominierungen stand „Oppenheimer“ als einer der Favoriten fest, Greta Gerwigs feministische Komödie „Barbie“, die im vergangenen Sommer aus dem Wettstreit an den Kinokassen als Sieger hervorging, war in acht Kategorien nominiert – und bekam nur den Preis für den besten Song (Billie Eilish und ihr Bruder Finneas O’Connell). „Poor Things“ hatte elf Chancen und gewann neben der weiblichen Hauptrolle noch beim Szenenbild, beim Make-up und den Kostümen. „Killers of the Flower Moon“, zehnfach nominiert, ging komplett leer aus. Dabei gehörte neben den beiden „Barbie“-Songs die Aufführung eines Liedes aus diesem Film zu den viel beklatschten Showeinlagen.

Wie auf der Berlinale-Gala sorgte die Auszeichnung des besten Dokumentarfilms für einen ganz besonderen Moment. Der Oscar ging an „20 Tage in Mariupol“ des ukrainischen Journalisten Mstyslav Chernov, eine Dokumentation aus der von russischen Truppen belagerten, beschossenen, weiträumig zerstörten ukrainischen Hafenstadt Mariupol. „Ich wünschte, ich hätte niemals diesen Film machen müssen“, sagte der Regisseur auf der Bühne. „Ich wünschte, dass Russland nie die Ukraine angegriffen hätte.“ Er erinnerte an die toten Zivilisten, die gefallenen Soldaten, an die nach Russland verschleppten Menschen aus der Ukraine. Er schloss mit dem Ruf „Slava Ukraini!“, Ruhm der Ukraine, der heute, seit die Nachrichten aus Israel und Gaza die Tage bestimmen, schon fast vergessen ist.

Und noch eine Mahnung hielt der Abend bereit. Das alljährliche Gedenken an verstorbene Filmemacherinnen und -macher begann mit einem Foto Alexej Nawalnys. Es war ein Standbild aus der Dokumentation über den russischen Oppositionellen, die 2023 den Oscar gewann. Dazu eingeblendet war dieses Zitat: „Das Einzige, was für den Triumph des Bösen notwendig ist, ist, dass die guten Menschen nichts tun.“ Die Filmbranche zeigte sich wachsam gegenüber den Herausforderungen der Zeit.

QOSHE - Oscars 2024: Sieben Trophäen für Oppenheimer, Sandra Hüller tränenüberströmt - Cornelia Geißler
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Oscars 2024: Sieben Trophäen für Oppenheimer, Sandra Hüller tränenüberströmt

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11.03.2024

Sieben Oscars für „Oppenheimer“: Das hat man sich vielleicht vorher ausrechnen können, doch die Show in der Nacht von Sonntag auf Montag verlief nicht erwartbar.

In Berlin ist die Aufregung über den Abend der Preisverleihung der hiesigen Filmfestspiele noch nicht ganz verebbt, da zeigte die Branche in Hollywood, wie Kunst, Kommerz und Politik zusammengehen können und dabei eher Nachdenken provozieren als reflexhafte Aufregung und Ablehnung.

Fast das letzte Wort gehörte der britischen Filmproduzentin Emma Thomas, da war es in Deutschland schon halb vier Uhr früh, sie nahm die Auszeichnung für den besten Film entgegen. Das war nicht lange, nachdem ihr Mann Christopher Nolan bereits für die beste Regie geehrt wurde und ihr als der Produzentin seiner Filme und seiner Kinder gedankt hatte. So wie er über das Kino sprach, nicht nur über „Oppenheimer“, um den er zweieinhalb Jahrzehnte gekämpft hatte, über eine Kunst, die mehr als hundert Jahre alt ist und dabei so aktuell, das verband die Menschen im Saal: „Das bedeutet die Welt für mich.“

Der dreistündige Film über einen Physiker, der erfahren musste, wie politisch Wissenschaft sein kann, erzählt eine historische Geschichte mit Auswirkungen bis heute. Als Cillian Murphy, der den J. Robert Oppenheimer spielt, den Oscar als bester Hauptdarsteller entgegennahm, sagte er: „Wir haben einen Film über den Mann gedreht, der die Atombombe entwickelt hat, und wir alle leben wohl oder übel in Oppenheimers Welt. Deshalb möchte ich diesen Film den Friedensstiftern überall widmen.“

Die Friedensstifter saßen mit im Saal. Vielfach sichtbar an Smokingjacken und an manchem edlen Kleid war ein roter Button. Es ist das Symbol der Initiative Artists4Ceasefire (Künstler für den Waffenstillstand), die von der US-Regierung und dem Kongress fordert, darauf hinzuwirken, dass die Bombardierung des Gazastreifens endet und die israelischen Geiseln freigelassen werden.

Sandra Hüller:........

© Berliner Zeitung


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