Neulich sollte ich drei betrunkene Männer rauswerfen. Das ist für einen Türsteher jetzt nicht wahnsinnig ungewöhnlich, aber ich kann nicht sagen, dass mir das Spaß macht. Ich machte es also wie immer, rief einen Kollegen dazu und ging auf die drei Typen zu: „Jungs, wir müssen mal draußen miteinander reden.“ Auf dem Weg zur Tür griff mich einer der drei an, ging mir an die Gurgel und schrie: „Du Hurensohn!“. Ich wehrte mich, er ging zu Boden. Dann kam die Polizei.

In solchen Momenten, wenn das Adrenalin in meinen Kopf schießt, handle ich aus dem Bauch heraus. Alles geht dann sehr schnell, aber ich kann mich inzwischen auch in solchen Situationen auf meinen Körper verlassen.

Ich bin jetzt seit mehr als zwei Jahren Türsteher in einem Berliner Club; aber um es gleich vorwegzunehmen, Abende wie der oben beschriebene sind selten, 90 Prozent der Zeit läuft alles entspannt. Es gibt sogar Partys, auf denen ich mich langweile, an der Tür stehe und eine Zigarette nach der anderen rauche. Dabei schaue ich auf meinem Handy die Champions League.

Der Club, in dem ich arbeite, ist keiner, in dem es oft knallt. Ich weise Leute ab, die zu betrunken sind. Ich schmeiße Leute raus, die schlafen. Das läuft alles friedlich ab. Unsere Konzerte sind nicht wirklich dafür bekannt, besonders gewaltbereite Menschen anzuziehen. Zwei- bis dreimal die Woche stehe ich an der Tür. Ich arbeite unweit des Görlitzer Parks, doch wenn die Musik angeht, hört man den U-Bahn-Verkehr nicht mehr: knalliger Sound von Indie bis Drum ’n’ Bass und Techno. Drinnen wird gefeiert. Der Einzige, der an den Abenden draußen steht, bin ich.

Ich liebe meinen Job. Als Türsteher lerne ich Menschen kennen: die Veranstalter, die mir ihre Gästelisten geben, die Künstler, die auftreten. An meine Tür kommen Leute, die komplett verschieden sind, aber doch zu denselben Partys und Konzerten gehen. Durch die Kontakte bin ich selbst schon auf Gästelisten zu anderen Partys oder Konzerten in der Stadt gekommen. Ich lerne neue Musik kennen, sogar solche, auf die ich sonst durch meinen Algorithmus nie gestoßen wäre. Einige Indie-Bands hätte ich sonst nie kennengelernt. Einmal im Monat arbeite ich bei der Cumbia-Party, jetzt habe ich spanische Salsamusik in meiner Playlist.

•gestern

•vor 8 Std.

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Aber generell ist dieser Job eben auch einer, den viele machen, weil er Macht verspricht: Ich darf entscheiden, wer reinkommt oder nicht. Oder anders ausgedrückt: Wer in den Club will, muss auf jeden Fall erst an mir vorbei, auch wenn der erste Satz, den ich dann sage, meist lautet: „Guten Tag, einmal die Tasche aufmachen.“ Diesen Satz sage ich sicherlich über hundertmal am Abend.

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Hier die Regeln: Es dürfen keine Waffen, Drogen und Getränke mit in den Club gebracht werden– auch keine Edding-Stifte, weil sonst damit die Toiletten vollgeschmiert werden. Meistens ist in den Taschen nichts, aber es kommt vor, dass vor allem jüngere Frauen Pfefferspray dabei haben. Ich erkläre ihnen höflich, dass so etwas hier nichts zu suchen hat. Sie schauen mich dann ängstlich an und wollen das Spray zurückhaben. Ich möchte nicht wissen, wie es ist, in ihrer Rolle zu stecken. Ich sage ihnen, dass ich für sie da sei, wenn sich jemand falsch verhält im Club. Das Spray bekommen sie am Ende der Nacht wieder.

Gerade bei Events mit testosterongeladenem Publikum mit Lust sich zu besaufen muss ich oft auch Körper und Kleidung abtasten. Junge Männer haben ab und an ein Messer in der Tasche, das ich selbstverständlich konfisziere – ich frage sie nicht, warum sie das Messer dabeihaben. Aber gefährlich ist mein Job eher nicht.

Bekommen habe ich ihn durch Zufall. Ich hatte mich im Sommer 2021 in dem Club für einen Job beworben und dachte, ich würde an die Bar geschickt. Im Bewerbungsgespräch sagte mein Chef: „Du bist groß und breit gebaut, dich stelle ich an die Tür.“ Damals ging ich noch zur Schule. Am Anfang befürchtete ich, dass mein Nachtleben nun zu Arbeit werden würde. Aber heute, mehr als zwei Jahren später, bin ich fast lieber Türsteher als Gast. Seit mehr als zwei Monaten gehe ich kaum noch feiern und trinke wenig Alkohol.

Die Gegend, in der ich arbeite, ist nicht gerade dafür bekannt, besonders aufgeräumt zu sein: Der Görlitzer Park ist einer von Berlins schlimmsten Drogenumschlagplätzen und wird vor allem nachts von vielen Menschen gemieden. In der Shishabar gegenüber durfte ich schon mehrere Razzien miterleben. Von härterer Gewalt ist mein Club bis heute zum Glück verschont geblieben. Die meisten Leute sind friedlich und wollen einfach nur Spaß haben.

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Während der Pandemie hatte ich kaum noch Lust, Türsteher zu sein. Plötzlich bestand mein Job nur noch darin, Impfpässe zu kontrollieren. Leute, die nicht geimpft waren, musste ich abweisen. Es war nicht mehr meine Entscheidung, sondern die des Staates. Ich selbst war geimpft und hatte auch wenig Lust auf die Diskussionen an der Tür. Doch als die Menschen begannen, mir Vorwürfe zu machen, änderte sich meine Einstellung. Der Club wurde auch immer leerer. Seine Existenz stand auf dem Spiel, und ich machte mir Sorgen um meine Arbeitsstelle.

Aber irgendwann kam die Normalität zurück, das heißt aber auch: Vor einem Abend weiß ich nie, was mich erwartet, ich kann nichts steuern. Es kann vorkommen, dass bei einer Gothic-Party auf einmal Hippies auftauchen oder andersherum, der Ablauf ist nie derselbe. Auch an dem Abend neulich, als ich die drei Typen rauswerfen musste, war das Publikum am Einlass zunächst sehr unauffällig. Für mich gilt deshalb eigentlich jeden Abend: Sei vorbereitet!

Laut wurde es erst im Laufe des Abends. Die Gäste beschwerten sich über die drei Männer. Der Sänger unterbrach das Konzert und erzählte von seinem verstorbenen Drummer. Die Typen interessierte das nicht, und sie störten die Rede mit Gebrüll. Ich wurde in den Club gerufen und musste meinen Job machen: die drei Typen rauswerfen.

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Nach dem Einsatz passierte etwas, was mich bis heute weiter motiviert, diesen Job zu machen: Gäste kamen zu mir, um sich zu bedanken, was ich für einen tollen Job gemacht habe. Das hat sich für mich gut angefühlt. Die Wertschätzung bedeutet mir viel; sie ist selten.

An einem anderen Abend kam ein bekannter Berliner HipHopper an die Tür und drückte mir nach seiner Show fünfzig Euro in die Hand: „Danke fürs Aufpassen!“ Solche Aktionen beflügeln mich immer wieder und lassen mich wissen, warum ich Türsteher bin. Natürlich bin ich für viele auch erst einmal eher unsympathisch: Ich schaue auch wirklich grimmig. Aber glaubt mir: Ich bin ein freundlicher Kerl.

QOSHE - Geständnis eines Berliner Türstehers: Warum man Gäste manchmal rauswerfen muss - Ferdinand Hübner
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Geständnis eines Berliner Türstehers: Warum man Gäste manchmal rauswerfen muss

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18.03.2024

Neulich sollte ich drei betrunkene Männer rauswerfen. Das ist für einen Türsteher jetzt nicht wahnsinnig ungewöhnlich, aber ich kann nicht sagen, dass mir das Spaß macht. Ich machte es also wie immer, rief einen Kollegen dazu und ging auf die drei Typen zu: „Jungs, wir müssen mal draußen miteinander reden.“ Auf dem Weg zur Tür griff mich einer der drei an, ging mir an die Gurgel und schrie: „Du Hurensohn!“. Ich wehrte mich, er ging zu Boden. Dann kam die Polizei.

In solchen Momenten, wenn das Adrenalin in meinen Kopf schießt, handle ich aus dem Bauch heraus. Alles geht dann sehr schnell, aber ich kann mich inzwischen auch in solchen Situationen auf meinen Körper verlassen.

Ich bin jetzt seit mehr als zwei Jahren Türsteher in einem Berliner Club; aber um es gleich vorwegzunehmen, Abende wie der oben beschriebene sind selten, 90 Prozent der Zeit läuft alles entspannt. Es gibt sogar Partys, auf denen ich mich langweile, an der Tür stehe und eine Zigarette nach der anderen rauche. Dabei schaue ich auf meinem Handy die Champions League.

Der Club, in dem ich arbeite, ist keiner, in dem es oft knallt. Ich weise Leute ab, die zu betrunken sind. Ich schmeiße Leute raus, die schlafen. Das läuft alles friedlich ab. Unsere Konzerte sind nicht wirklich dafür bekannt, besonders gewaltbereite Menschen anzuziehen. Zwei- bis dreimal die Woche stehe ich an der Tür. Ich arbeite unweit des Görlitzer Parks, doch wenn die Musik angeht, hört man den U-Bahn-Verkehr nicht mehr: knalliger Sound von Indie bis Drum ’n’ Bass und Techno. Drinnen wird gefeiert. Der Einzige, der an den Abenden draußen steht, bin ich.

Ich liebe meinen Job. Als Türsteher lerne ich Menschen kennen: die Veranstalter, die mir ihre Gästelisten geben, die Künstler, die auftreten. An meine Tür........

© Berliner Zeitung


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