Emilia ist 17 Jahre alt. Sie kommt aus dem Bezirk Pankow, Ortsteil Prenzlauer Berg, und die Geschichte, die sie erzählt, passt so gar nicht zum Image dieser Ecke Berlins. Emilia hat Freunde, denen Bedrohung und Raub widerfahren sind.

Als häufigsten Tatort nennt sie den Volkspark Friedrichshain: „Es geht in erster Linie um Markenklamotten, vor allem Schuhe oder Pullis von Nike.“ Die Masche ist immer dieselbe. Es wird nach Feuer oder einer Zigarette gefragt, um die Opfer in ein Gespräch zu verwickeln. „Das schlägt dann oft um in aggressives Verhalten, und plötzlich fordern sie die Sachen, wollen ein Handy oder den Geldbeutel“, erzählt die Jugendliche.

Vor zwei Jahren wurde ein Freund von ihr im Volkspark Friedrichshain mit Schlagstock bedroht. Er und sein Kumpel mussten die Täter an den Rand des Parks begleiten. Dann hieß es: „Zeig uns erst mal alles, was du dabei hast.“ Sie folgten den Anweisungen, Schläge mussten sie trotzdem einstecken. Sie nahmen ihm wörtlich sein letztes Hemd, denn mit dem Handy und seinem Geldbeutel kassierten sie auch sein T-Shirt ein. „Am Ende musste er ohne sein Shirt verblutet nach Hause laufen“, erzählt Emilia.

Yoga-Cafés, Bioläden und horrende Mietpreise. Das stellen sich die Leute unter Prenzlauer Berg vor. Ganz weit vorne ist der Ortsteil von Pankow allerdings auch, wenn es um Gewalt von Jugendgruppen geht. Wie eine Statistik der Berliner Polizei zeigt, passieren die meisten Raubüberfälle zwischen Kindern und Jugendlichen in Prenzlauer Berg. Die Zahl der Fälle von Bedrohung und Raub durch Jugendgruppen ist mit bedenklichem Abstand die höchste in ganz Berlin. Woran liegt das?

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Die Jugendgewalt nimmt in Berlin zu. 2021 waren es 349 Fälle von Raub und Bedrohung im Zusammenhang mit Jugendlichen. Die Statistik zeigt, dass die Zahl rasant ansteigt. Im vergangenen Jahr waren es bereits 591 Fälle. So auch in Prenzlauer Berg. 2021 wurden 47 Fälle von Raub und Bedrohung durch Jugendliche gemeldet. Zwei Jahre später sind es schon 84. Die Jugend in Prenzlauer Berg dreht frei. Kein anderer Ortsteil weist annähernd so hohe Zahlen auf. Zum Vergleich: Der Ortsteil mit den zweitmeisten Fällen im Jahr 2023 ist Pankow – mit 25.

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Ein Grund für die vielen Delikte könnte die Altersstruktur sein. Eine Statistik von Berlin-Brandenburg für das vergangene Jahr zeigt, dass der Anteil von Kindern und Jugendlichen im Bezirk Pankow der höchste ist. 57.000 Menschen im Alter von sechs bis 20 Jahren leben in Pankow. Im Ortsteil Prenzlauer Berg sind 18.000 im Alter von sechs bis 18 Jahre zu Hause. Das ist berlinweit, nach Pankow insgesamt, der Höchstwert. In Mitte lebt gerade einmal die Hälfte, und auch in Kreuzberg sind es im Vergleich zu Prenzlauer Berg weniger Einwohner im Alter von sechs bis 18 Jahre (16.000). Auch für die Polizei Berlin ist das ein möglicher Grund.

Ein Pressesprecher der Polizei nennt gegenüber der Berliner Zeitung noch eine weitere mögliche Ursache: „Es ist festzustellen, dass der Ortsteil Prenzlauer Berg aufgrund seiner städtebaulichen Struktur mit unzähligen Lokalitäten, attraktiven Parkanlagen (Mauerpark et cetera) und weiteren Kulturstätten (beispielsweise Kulturbrauerei) einen Anziehungspunkt für Jugendliche und Heranwachsende darstellt.“ Schriftlich teilt die Polizei weiter mit: „Dies gilt sowohl für Anwohnende aus Berlin und dem Berliner Umland als auch für Touristen und Touristinnen. Zudem enthält der Bevölkerungsdurchschnitt im Ortsteil Prenzlauer Berg einen deutlich höheren Anteil an Jugendlichen und Heranwachsenden als andere Ortsteile.“

Der 17-jährige Finn glaubt nicht, dass es die Jugendlichen aus Prenzlauer Berg sind, die für die Bedrohung bis hin zu Raub- und Gewalttaten verantwortlich sind. „Es begann, als der James-Simon-Park in Moabit geschlossen wurde, dann sind die ganzen Jugendlichen aus Moabit rüber in den Prenzlauer Berg gekommen.“ Im Mauerpark haben er und seine Freunde die Jugendgewalt erfahren müssen. Im ersten Fall wurde einer aus der Gruppe von zehn, 15 Leuten umkreist und geschlagen, geklaut wurde ihm nichts.

Dieselbe Gruppe fand an dem Abend aber noch ein weiteres Opfer. „Mein Kumpel wurde von den zehn Leuten angegangen und musste seinen Geldbeutel abdrücken. Er ist daraufhin zur Polizei, die den Park nach den Tätern abgesucht hat, aber ohne Erfolg.“ Sie waren damals 15 Jahre alt. Finns Vermutung, dass es sich um Leute aus anderen Ortsteilen handelt, kann die Polizei nicht bestätigen. „Der Wohnort von tatverdächtigen Personen ist nicht statistisch auswertbar“, sagt der Pressesprecher gegenüber der Berliner Zeitung.

QOSHE - Jugendgewalt in Prenzlauer Berg: „Es geht in erster Linie um Markenklamotten“ - Ferdinand Hübner
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Jugendgewalt in Prenzlauer Berg: „Es geht in erster Linie um Markenklamotten“

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29.03.2024

Emilia ist 17 Jahre alt. Sie kommt aus dem Bezirk Pankow, Ortsteil Prenzlauer Berg, und die Geschichte, die sie erzählt, passt so gar nicht zum Image dieser Ecke Berlins. Emilia hat Freunde, denen Bedrohung und Raub widerfahren sind.

Als häufigsten Tatort nennt sie den Volkspark Friedrichshain: „Es geht in erster Linie um Markenklamotten, vor allem Schuhe oder Pullis von Nike.“ Die Masche ist immer dieselbe. Es wird nach Feuer oder einer Zigarette gefragt, um die Opfer in ein Gespräch zu verwickeln. „Das schlägt dann oft um in aggressives Verhalten, und plötzlich fordern sie die Sachen, wollen ein Handy oder den Geldbeutel“, erzählt die Jugendliche.

Vor zwei Jahren wurde ein Freund von ihr im Volkspark Friedrichshain mit Schlagstock bedroht. Er und sein Kumpel mussten die Täter an den Rand des Parks begleiten. Dann hieß es: „Zeig uns erst mal alles, was du dabei hast.“ Sie folgten den Anweisungen, Schläge mussten sie trotzdem einstecken. Sie nahmen ihm wörtlich sein letztes Hemd, denn mit dem Handy und seinem Geldbeutel kassierten sie auch sein T-Shirt ein. „Am Ende musste er ohne sein Shirt verblutet nach Hause laufen“, erzählt Emilia.

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