Die europäische Ausrichtung ist eindeutig: Die ganze Wirtschaft soll auf erneuerbare Energien setzen. Ziel ist es, die CO₂-Emissionen dramatisch zu reduzieren. Doch welchen Preis müssen wir Verbraucher für diese Umstellung zahlen? Wer trägt die Kosten?

Seit längerer Zeit herrscht in Deutschland Proteststimmung. Landwirte gehen gegen steigende Ausgaben auf die Straße, Mitarbeiter von führenden Technologieunternehmen wehren sich gegen einen massiven Stellenabbau.

So wie die rund 25.000 Mitarbeiter des Automobilzulieferers Bosch, die sich vor Tagen bundesweit gegen den geplanten Abbau von international über 7000 Arbeitsplätzen stellten. Viele Arbeitsplätze, die betroffen sind, befinden sich in Deutschland. Das Unternehmen begründete die Entscheidung damit, dass es bei sinkender Nachfrage wettbewerbsfähig bleiben will. Der Übergang zur Elektromobilität spiele zudem eine bedeutsame Rolle, sagte eine Unternehmenssprecherin der Berliner Zeitung. Doch ist der Stellenabbau unvermeidlich?

„Wir werden weltweit und auch in Deutschland immer weniger Verbrenner-Autos sowie Öl- und Gasheizungen verkaufen können“, kommentiert der Berliner Ingenieur und Professor für erneuerbare Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Dr. Volker Quaschning, die Entscheidung von Bosch im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Unternehmen würden ihm zufolge in Zukunft Probleme haben, wenn sie sich nicht anpassen.

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22.03.2024

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Wobei zum Beispiel die Nachfrage nach E-Autos in Deutschland momentan sinkt, während Benzin- und Dieselmotoren wieder boomen. Der Anteil der Elektro-Pkw liegt nach den Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts zum 1. Januar 2024 bei unter drei Prozent.

Darin sieht Quaschning keine großen Probleme. Der deutsche Automarkt sei relativ unbedeutend, sagt der Experte, der asiatische Markt sei dagegen entscheidend. 40 Prozent der deutschen Autos werden nämlich nach China exportiert. Und hier gibt es sehr wohl ein Problem. Denn: Deutsche E-Autos sind in China nicht besonders konkurrenzfähig. „Da ist es wenig hilfreich, wenn die Deutschen mit dem Elektroauto fremdeln“, sagt Quaschning.

Seiner Ansicht nach nimmt die Kritik am Elektroauto der deutschen Autoindustrie auf dem Heimatmarkt den nötigen Rückenwind, um beim Wettrennen um Zukunftstechnologien den Anschluss nicht zu verlieren und besser abzuschneiden. Der Wettbewerb in diesem Bereich sei für europäische Länder besonders hart.

Mächte wie China entwickeln sich in beeindruckender Weise. Deutschland würde Arbeitsplätze verlieren, die in China entstünden, erklärt der Experte. „Das liegt aber nicht an der Energiewende an sich, sondern daran, dass wir zu spät in die Energiewende gestartet sind“, sagt Quaschning.

Der Strommarkt zeigt jedoch eine positive Tendenz. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 449,9 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt und in das Netz eingespeist. Die erneuerbaren Energien machten einen Anteil von 56 Prozent aus. Im Vorjahr waren es noch 46,3 Prozent. Die Einspeisung von Strom aus konventionellen Energien sank dagegen auf einen Anteil von 44 Prozent (2022: 53,7 Prozent).

„Diese Ziele wurden durch eine 20 Jahre alte Energiepolitik erreicht“, sagt Mario Pagliaro, Forschungsdirektor beim italienischen Nationalen Forschungsrat (CNR), der Berliner Zeitung. Er verfolgt die deutsche Energiepolitik sehr genau. Der Energiewissenschaftler findet nicht, dass Deutschland zu spät in die Energiewende gestartet sei. Pagliaro bezieht sich dabei auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das erstmals am Anfang des Jahrtausends in Deutschland eingeführt und danach weltweit nachgeahmt wurde.

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Das EEG, initiiert vom Sozialdemokraten Hermann Scheer im Jahr 2000, etablierte ein wegweisendes Modell zur Förderung erneuerbarer Energien. Es verpflichtete Energieversorger, Strom aus Windkraft, Sonnenenergie und Biomasse zu einem festen Preis abzunehmen, der über lange Zeiträume garantiert wurde. Diese Einspeisevergütung ermöglichte Investoren eine sichere Rendite, was zu einem deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland führte. Ein wichtiger Anreiz für den Ausbau von grüner Energie.

Laut Pagliaro ist es jetzt an der Zeit, erneuerbare Energien zu verstaatlichen und an einer richtigen Industriepolitik festzuhalten. Bald könnte es nämlich zu spät sein, mahnt der Energieexperte: „Wenn sich die Industrie nicht entsprechend entwickelt, könnte uns das tatsächlich in eine Deindustrialisierung stürzen“, sagt Pagliaro.

Eine große offene Frage ist die der Energiespeicherung. „Man kann so viel erneuerbare Energie herstellen wie möglich, aber was nützt sie ohne Akkumulationsmöglichkeiten?“, fragt Pagliaro. Bei der Herstellung von Lithiumbatterien stecke Europa noch in den Kinderschuhen.

Nur stufenweise und mit einer „ordentlichen“ Wende könne Europa vielleicht eines Tages die begehrte energetische Souveränität erreichen, meint der Experte. Impulsive Entscheidungen würden jedoch das Risiko in sich tragen, den Kontinent noch abhängiger von anderen Mächten zu machen. Es könnte temporäre Lösungen geben, die nicht nachhaltig sind. Als Beispiel seien die Importe von Erdflüssiggas genannt.

Auch wenn erneuerbare Energien bereits mehr als die Hälfte der deutschen Stromversorgung decken, stammt noch mehr als 40 Prozent Strom aus konventionellen Energiequellen. Mitglieder der EU müssen jetzt entscheiden, entweder etliche Klimaziele und Verbote zu verfolgen oder die Industrie anzukurbeln. Wie in Brechts „Dreigroschenoper“ sollte gelten: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral.“

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So wie die rund 25.000 Mitarbeiter des Automobilzulieferers Bosch, die sich vor Tagen bundesweit gegen den geplanten Abbau von international über 7000 Arbeitsplätzen stellten. Viele Arbeitsplätze, die betroffen sind, befinden sich in Deutschland. Das Unternehmen begründete die Entscheidung damit, dass es bei sinkender Nachfrage wettbewerbsfähig bleiben will. Der Übergang zur Elektromobilität spiele zudem eine bedeutsame Rolle, sagte eine Unternehmenssprecherin der Berliner Zeitung. Doch ist der Stellenabbau unvermeidlich?

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