Ein Berliner Diskurs-Highlight: Der unter der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 ins Leben gerufene Global Solutions Summit tagte soeben in Berlin.

Die internationale Konferenz hat sich in den vergangenen sieben Jahren als wichtiges Format zur Diskussion weltweiter Herausforderungen etabliert.

Es sind anerkannte Experten aus Forschungsinstitutionen, Industrie und Zivilgesellschaft, die hier einmal jährlich zusammenkommen. Ihr Ziel ist es, globale Herausforderungen ergebnisoffen zu diskutieren und konkrete Empfehlungen für die Politik zu entwerfen. Das Themenspektrum deckt die Herausforderungen einer sich vielfältig wandelnden Welt, das Bevölkerungswachstum, die klimatischen Veränderungen ab.

Diskutiert wurde diesmal unter anderem die private und öffentliche Finanzierung von Klimaschutz und Klimaanpassung sowie die Lastenverteilung zwischen verursachenden und betroffenen Ländern. Auch der Einsatz neuer Technologien, die damit verbundenen ethischen Herausforderungen und mögliche Regulierungen wurden auf offener Bühne verhandelt.

Der Summit umfasste 50 Sessions mit 500 Partizipierenden vor Ort und Tausenden online: Experten, deren Erfahrungen und übergeordneten Perspektiven, deren Inspiration und Motivation auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen das Forum bündelt.

09.05.2024

•gestern

09.05.2024

2024 wurde dieser weltweite Lösungsgipfel von drei fachlichen Autoritäten ohne autoritären Anspruch gestaltet: Schwerpunkt von Denis Snower, Amerikaner mit deutscher Staatsbürgerschaft, hierzulande bekannt als ehemaliger Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, ist die Steigerung des sozialen Wohlergehens und die Gestaltung nichtmonetärer Kriterien zur Stimulanz von Kooperation auch in der internationalen Zusammenarbeit. Mit leiser Stimme weiß er starke Botschaften zu vermitteln.

Christian Kastrop ist Mastermind im Hintergrund und ordnende Hand in der Geschäftsführung. Kastrop ist nicht nur als fiskalpolitischer Architekt der deutschen Wiedervereinigung und der Schuldenbremse bekannt, sondern auch als Treiber innovativer Regulierungen im Verbraucherschutz, insbesondere digitaler Plattformen.

Schließlich Claudia Brünnighaus: souveräne Moderatorin mit einer auch international seltenen, weltläufigen Offenheit für kontroverse Positionen. Das Publikum und die Auftretenden ließen sich gerne von ihr führen – trotz der hohen Dichte adulter Alphatiere jedweden Geschlechts.

Olaf Scholz, leicht verbeult: Unsere Stilkritik zum Global Solutions Summit

vor 1 Std.

Hervorzuheben ist auch Jörg Rocholl, der langjährige Chef der Berliner European School of Management and Technology ESMT, Deutschlands führender Business School. Sie ist fest angesiedelt in der Spitzengruppe europäischer Schwergewichte in London, Paris oder St. Gallen und Gastgeberin des Global Solutions Summit.

Im weltweit umkämpften Markt der Business Schools zeichnet sich die ESMT (abgesehen von edukativer Reputation, stetig wachsenden Budgets und einhergehender Bedeutung) durch den gelassenen und respektvollen Umgang mit der Hinterlassenschaft eines vergangenen Landes aus. In seiner Eröffnungsrede erinnerte Rocholl an die Historie des Ortes, des ehemaligen DDR-Staatsratsgebäudes. Die meisten der internationalen Gäste waren sich dessen nicht gewahr, blickten sich kurz um und gingen zur Tagesordnung über. So souverän wird deutsch-deutsche Geschichte selten verhandelt.

Die Experten auf den Podien ließen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Die einen versuchen die Herausforderungen in ihren Ursachen zu verstehen und suchen nach Lösungen, die anderen arbeiten sich weiterhin an Symptomen und Demonstrativhandlungen ab. Zur ersten Gruppe zählen der wissenschaftliche Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, und Izabella Teixeira, ehemalige brasilianische Umweltschutzministerin und Mitglied des Advisory Boards der UN-DESA, die mit strengem Ton jeden noch so leisen Versuch der Relativierung der Verantwortung der G7-Staaten unterband.

Ebenso Margrethe Vestager, Kommissarin für Wettbewerb der Europäischen Union, die deutlich die nach wie vor ungelösten regulatorischen Herausforderungen im Verbraucherschutz für größere digitale Plattformen ansprach, unabhängig ob aus den USA oder aus China. Gleiches gilt für den deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck, der die großen Linien erkennt und vernünftige Handlungsimperative ableitet. Wobei man sich fragt, warum er den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der sicher für vieles verantwortlich gemacht werden kann, auch für Verwaltungsversagen der deutschen Bundesrepublik haftbar machen will.

Zur zweiten Gruppe zählt wohl Svenja Schulze, die deutsche Entwicklungshilfeministerin, die allen Ernstes vom traurig-starken Schicksal einer achtfachen indischen Mutter berichtete. Angesichts der Tatsache, dass indische Superreiche an den teuersten Flecken der Erde die Filetstücke des Immobilienmarktes sammeln, finden die globale Realität und die deutsche Politik noch nicht recht zueinander.

Auch die Redenschreiber des Bundeskanzlers scheinen blind für die Chancen der globalen Herausforderungen. Den an sich richtigen Gedanken global harmonisierter Standards, basierend auf humanistischen Werten, diskreditieren sie mit dem Verweis, es sei nötig, sich gegenseitig doppelte Standards vorzuwerfen, wo doch ein Standard verfügbar sei: die UN-Charta. Damit ignorieren sie, wie sehr das westlich geprägte Wertegerüst der Sieger des Zweiten Weltkrieges mittlerweile unter Druck gerät – nicht nur quantitativ durch die schiere Anzahl der Menschen, die nicht mit diesen Werten leben, sondern auch qualitativ durch die immer weitere Ablösung von unseren kritischen Infrastrukturen. Das zeigt sich exemplarisch in eigener Chipentwicklung und ihrer Massenproduktion, in unabhängigen Logistikstrecken oder grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrssystemen in Abgrenzung zum Swift-System der G7. Für den Haushaltsgebrauch erfahrbar beim Kauf von Tickets für die bald stattfindende Fußball-Europameisterschaft, für die mit Master ein amerikanisches sowie mit WePay ein chinesisches Zahlungsverkehrssystem zur Verfügung stehen. Die EU besitzt auch im Jahr 2024 kein eigenständiges Zahlungsverkehrssystem.

Dies alles erklärt die Sanktionsanstrengungen beispielsweise gegen chinesische Hightech-Konzerne. Die eher durchsichtigen Begründungen – Sklavenarbeit oder mutmaßlich unzulässige Subventionen – können nicht darüber hinwegtäuschen, dass asiatische Produkte wettbewerbsfähiger werden. So transformieren sich globale und einheimische Märkte. Wir haben es in der Hand, uns diesem Wettbewerb mit fairen oder weniger feinen Methoden zu stellen.

Wer den Vortrag des Bundeskanzlers als Ostdeutscher hörte, fühlte sich nebenbei an die Verblendung westdeutscher Politiker erinnert, die 1989/90 allen Ernstes glaubten, nur die untergehende DDR müsse sich transformieren – und diesen Glauben ohne Rücksicht auf moralische und materielle Verluste exekutierten. Die Folgen solcher Ignoranz sehen wir in der tagesaktuellen Qualität des politischen Diskurses und in der sich beschleunigenden wirtschaftlichen Erosion des gegenwärtigen Deutschlands.

Die Redenschreiber des Bundeskanzlers hätten gut daran getan, in den Sessions des Summits genau mitzuhören. Die jüngeren und vorausschauenden Teilnehmer beschränken sich nicht mehr darauf, eine Transformation zu fordern. Mittlerweile gestalten sie sie – mit neuen Partnern. Ob wir es mögen oder nicht, und auch wenn wir trotzig alte Fregatten in die Straße von Taiwan senden: Nicht einmal mehr unter vorgehaltener Hand wird über die Unsouveränität deutscher Politik gelächelt, auch auf diesem Forum.

In den Pausengesprächen (und nicht nur dort) etabliert sich eine leise Ahnung. Man weiß, dass die Entwicklung der globalisierten Welt ein Ergebnis haben wird. Man weiß aber auch, dass es bessere Ergebnisse gäbe – würde der Dialog offen, fair und respektvoll geführt. Leider sind die Mächtigen des Westens von ihrer Macht korrumpiert, unkritisch bestätigt von ihren Assistenten und abhängigen Think Tanks. Nicht in der Lage, neue, nachhaltigere Lösungen zu forcieren. Entsprechend hoch wird der künftige Preis ausfallen – so wie wir in unserer Gegenwart einen hohen Preis für die mangelnde innerdeutsche Reflexion in der Vergangenheit zahlen.

Man kann Snower und Kastrop nicht dankbar genug sein für diesen Summit in der Mitte Berlins. Ort, Hausherr und Format sind Avantgarde. Es wäre zu wünschen, dass die Industrie sich solche Formate stärker zu eigen macht. Dort werden gesellschaftliche und strategische Themen kompetenter, genauer und zudem weithin abseits ideologischer Grabenkämpfe verhandelt. Intellektuelle Brillanz und operative Umsetzungsstärke – ein in Deutschland eher seltenes Paar.

Ein Wort noch zur ESMT und dem Veranstaltungsort, dem Staatsratsgebäude der DDR. Seit meinem ersten Job in einer amerikanischen Firma habe ich das Spezifikum „ostdeutsch“ immer wieder anhand dieses Gebäudes und seiner Nutzung erklärt. Und zwar wie folgt: Stellen wir uns für einen Moment vor, die Moskauer Lomonossow-Universität eröffnete nach dem Sieg Russlands über die USA in einem Kalten Krieg 2.0 eine Zweigstelle in Washington D.C., und zwar im Weißen Haus, dem früheren Sitz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Niemand ist zu Schaden gekommen – U.S. Army, Air Force und Navy wurden konsequent abgewickelt. Stars and Stripes sind noch zu haben, aber nur auf Flohmärkten.

Diese Vorstellung hat meine amerikanischen Kollegen stets schwer ins Grübeln gebracht, heute mehr noch als vor 20 Jahren. Für Ostdeutsche ist das Ganze gelebte Realität. Bis auf zu vernachlässigende Bedeutungsdepressionen leben alle prima damit. Weswegen man die Ostdeutschen wegen ihrer aktuellen Verweigerung konfrontativer Logiken nicht beschimpfen sollte. Sie hatten damals die besseren Ideen und haben sie oft auch heute.

Ein lebendiger Beweis für bessere Ideen sind dieses Gebäude und seine avantgardistische Nutzung für Formate wie den Global Solutions Summit. Einer der Podiumssprecher betonte, derartige Veranstaltungen bewiesen, dass es für einen fairen Interessenausgleich keines dritten Weltkriegs bedürfe. Das stimmt. Die globalen Herausforderungen unserer Zivilisation lassen sich friedlich lösen.

QOSHE - Global Solutions Summit in Berlin: Lehrstunde für deutsche Politiker - Holger Friedrich
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Global Solutions Summit in Berlin: Lehrstunde für deutsche Politiker

13 2
11.05.2024

Ein Berliner Diskurs-Highlight: Der unter der deutschen G20-Präsidentschaft 2017 ins Leben gerufene Global Solutions Summit tagte soeben in Berlin.

Die internationale Konferenz hat sich in den vergangenen sieben Jahren als wichtiges Format zur Diskussion weltweiter Herausforderungen etabliert.

Es sind anerkannte Experten aus Forschungsinstitutionen, Industrie und Zivilgesellschaft, die hier einmal jährlich zusammenkommen. Ihr Ziel ist es, globale Herausforderungen ergebnisoffen zu diskutieren und konkrete Empfehlungen für die Politik zu entwerfen. Das Themenspektrum deckt die Herausforderungen einer sich vielfältig wandelnden Welt, das Bevölkerungswachstum, die klimatischen Veränderungen ab.

Diskutiert wurde diesmal unter anderem die private und öffentliche Finanzierung von Klimaschutz und Klimaanpassung sowie die Lastenverteilung zwischen verursachenden und betroffenen Ländern. Auch der Einsatz neuer Technologien, die damit verbundenen ethischen Herausforderungen und mögliche Regulierungen wurden auf offener Bühne verhandelt.

Der Summit umfasste 50 Sessions mit 500 Partizipierenden vor Ort und Tausenden online: Experten, deren Erfahrungen und übergeordneten Perspektiven, deren Inspiration und Motivation auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen das Forum bündelt.

09.05.2024

•gestern

09.05.2024

2024 wurde dieser weltweite Lösungsgipfel von drei fachlichen Autoritäten ohne autoritären Anspruch gestaltet: Schwerpunkt von Denis Snower, Amerikaner mit deutscher Staatsbürgerschaft, hierzulande bekannt als ehemaliger Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, ist die Steigerung des sozialen Wohlergehens und die Gestaltung nichtmonetärer Kriterien zur Stimulanz von Kooperation auch in der internationalen Zusammenarbeit. Mit leiser Stimme weiß er starke Botschaften zu vermitteln.

Christian Kastrop ist Mastermind im Hintergrund und ordnende Hand in der Geschäftsführung. Kastrop ist nicht nur als fiskalpolitischer Architekt der deutschen Wiedervereinigung und der Schuldenbremse bekannt, sondern auch als Treiber innovativer Regulierungen im Verbraucherschutz, insbesondere digitaler Plattformen.

Schließlich Claudia Brünnighaus: souveräne Moderatorin mit einer auch international seltenen, weltläufigen Offenheit für kontroverse Positionen. Das Publikum und die Auftretenden ließen sich gerne von ihr führen – trotz der hohen Dichte adulter Alphatiere jedweden Geschlechts.

Olaf Scholz, leicht verbeult: Unsere Stilkritik zum Global Solutions Summit

vor 1 Std.

Hervorzuheben ist auch........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play