Er wurde geliebt und gehasst: der Trabant 601, jenes Auto, das für viele sinnbildlich für die DDR steht. Das erste Modell rollte im Jahr 1964 vom Band. Es war auf der Höhe der Zeit, war keine schwere Blechkiste, sondern wurde wegen seiner Kunststoffkarosse „Rennpappe“ genannt.

Doch in den 25 Jahren danach änderte sich nicht mehr viel: Der Trabi wurde zum Symbol des gesellschaftlichen Stillstands. Der Zweitakter sorgte auch für den typischen Gestank auf den DDR-Straßen: Fast 50 Prozent aller Autofahrer fuhren den kleinen Stinker. Die meisten hätten sich viel lieber einen Wartburg gekauft oder einen Lada oder Skoda, aber in der sozialistischen Gesellschaft des Schlangestehens war so viel Luxus nicht vorgesehen. Als 1991 und drei Millionen Stück später der letzte Trabi in Zwickau das Werk verließ, interessierte sich kaum noch jemand für den „Volkswagen des Ostens“.

Anfang März 1964 war das Modell 601 offiziell vorgestellt worden, drei Monate später ging das Auto in Serie. 60 Jahre später folgen hier nun sechs ganz persönliche Erinnerungen an das meiste Auto der DDR.

Happy Birthday, Trabi

04.03.2024

20 Jahre DDR-Museumswohnung in Hellersdorf: „Einmal kam einer von Take That vorbei“

16.02.2024

Ein himmelblauer Trabant – mein allererstes Auto war ein Trabi 601 de Luxe. Ich habe mir weder die Farbe noch das Auto ausgesucht, hätte ich auch gar nicht gekonnt. Ich war 23 Jahre alt und ein armer Student, der weder Geld für ein Auto übrig gehabt hätte, noch hatte ich Interesse an Autos. Ich interessierte mich für Indierock und Konzerte, für Partys und Mädchen. Trotzdem hatte ich mich natürlich im Alter von 16 Jahren brav für einen Trabi angemeldet, denn die Wartezeit betrug zwölf Jahre – und woher sollte ich mit 16 wissen, ob ich mit 28 nicht doch ein Auto brauchen würde, etwa um eine Frau für mich zu gewinnen.

Wenn ich mir damals hätte ein Auto aussuchen dürfen, wäre es der Wagen von dem coolen jungen Mann oben im Plattenbau meiner Eltern gewesen: ein Wartburg 311/2 Cabriolet, schnittiger 50er-Jahre-Style, so etwas wie die Babyvariante eines Ami-Schlittens. Der junge Mann war ein begnadeter Autoschrauber, und von den Wagen waren nur 2670 Stück gebaut worden, also verschwendete ich keinen Gedanken an diesen Oldtimer, aber an die Lederjacke, die der Mann immer trug, wenn er mit offenem Verdeck fuhr.

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06.03.2024

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07.03.2024

Sie war schwarz und sah fast so aus wie die von Marlon Brando. Auch die Jacke stammte aus den 50er-Jahren und auch noch aus Paris. Er wollte sie mir nicht verkaufen, aber nach drei Monaten Bettelei war sie mein. Er ließ sich eine passende neue Jacke zum Cabrio von den Westverwandten schicken.

Damit war das Thema Auto für mich abgeschlossen. Bis die Mauer fiel. Mit der großen Freiheit kam auch die Möglichkeit, sich endlich schöne Autos zu kaufen. Für meinen Vater wären im Jahr nach dem Mauerfall die zwölf Jahre Wartezeit auf den nächsten Trabi vorüber gewesen. Er kaufte sich einen weißen Ford, ich bekam seinen himmelblauen Trabi.

Unsere größte Fahrt führte nach Wiesbaden zu einem Freund, der im legendären Sommer 1989 über Ungarn in den Westen geflohen war, ein Mann mit exquisitem Musikgeschmack, der dafür gesorgt hatte, dass die spätere Kultband Pixies schon vor dem Mauerfall unsere Lieblingsband war.

Auf der Fahrt in den Westen qualmten in Thüringen die Bremsen am Trabi, auf der Rückfahrt fiel mitten in Brandenburg der Motor aus. Meine Freundin und ich übernachteten im Trabi. Es war ein Kombi, trotzdem war es sehr eng, denn hinten drin stand mein erster Westfernseher, den ich in Wiesbaden geschenkt bekommen hatte. Am nächsten Morgen kam mein Bruder aus Berlin und schleppte uns ab.

Dann stand der kaputte Trabi monatelang hinter unserem Studentenwohnheim, weil ich kein Geld für eine Reparatur hatte. Die Sache mit der Entsorgung wurde zu einem Drama. Doch das ist eine andere Geschichte. Übrigens: Die Lederjacke habe ich noch immer.

Jens Blankennagel

DDR-Arbeitsbiografien: Wir wollen Anerkennung unserer Lebensleistung

27.12.2023

Der geheime SEZ-Architekt: „Mir blutet das Herz, wenn ich mein Werk heute sehe“

14.01.2024

Noch bevor das erste Auto mit der unhandlichen Bezeichnung AWZ P50 gebaut war, sah Volkes Stimme voraus, was aus dem kleinen Fahrzeug drei Jahrzehnte lang werden sollte: ein Begleiter, ein Weggefährte – so wie der Mond als Trabant die Erde umkreist. Aus einer Umfrage soll der nette Name hervorgegangen sein, in Internetforen von Trabi-Freaks gibt es Hinweise: Demnach gab es 1957, kurz bevor der Urtrabi, der rundliche 500, in Serie ging, eine betriebliche Umfrage im Zwickauer Werk zur Namenswahl, im Zusammenhang mit einem Preisausschreiben. Ursprünglich war der drabant (aus dem Alttschechischen) ein Fußsoldat der Hussiten.

Immer wieder liest man, die Namensgebung habe etwas mit dem 1957 ins All geschossenen sowjetischen Sputnik zu tun – das russische Wort bedeutet ebenfalls Begleiter. Wollte die DDR kosmische Spitzentechnik in die Nähe des irdischen Vehikels rücken? Ein Beleg für diese Story ist nicht zu finden.

Aber ein treuer Begleiter war er allemal. Meine Eltern – er Schuster, sie Verkäuferin – kauften sich schon 1959 einen giftgrünen 500er. Sie müssen sich das Auto abgehungert haben.

Mein erster und einziger sehr geliebter Trabant 601 war schlüpferblau, hatte ein Dach in der Lackfarbe „Champagner“, verchromte Stoßstangen (sehr wichtig!), ein Autoradio und Kunstledersitze in einem Ton, der als durchfallfarben bezeichnet werden kann. Der mit diesen Extras ausgestattete Trabant S de Luxe kam 1978 auf den Markt – und ich gelangte 1980, mit 24 Jahren, in den Besitz eines fabrikneuen Exemplars.

Dieses Glück hatte ich einem Offizier der Staatssicherheit zu verdanken, dem Nachbarn einer Friedrichshagener Verwandten. Der verkaufte einen weißen Lada, den er Jahre zuvor aus MfS-Dienstbeständen gebraucht hatte kaufen dürfen und nun zum unglaublichen Preis von 12.000 DDR-Mark abgab. Der wäre auf dem Gebrauchtwagenmarkt unter der Hand auch für 35.000 weggegangen. Doch das wagte der MfS-Offizier nicht, er wollte kein Gerede.

Ich übernahm eine Rostlaube (die Kotflügel!), merkte bald an Sprit- und Reparaturkosten, dass ich mich übernommen hatte – und fand schnell einen Tauschpartner, einen Herrn, der unbedingt ein größeres Auto wollte und wohl auch Zugang zu Ersatzteilen und Handwerkern hatte. Der Wahnsinnsdeal war geeignet, Hans im Glück neidisch zu machen: zehn Jahre alter Lada gegen neuen Trabi de Luxe. Fortan fuhr die Besitzerin im himmelblauen Trabant über das Land. Was für eine Freiheit. An Wochenenden erschloss sich das Berliner Umland, die Ostsee, die Datsche von Freunden …

Was störte es, dass man unters Lenkrad tauchen musste, um den Benzinhahn auf- und zuzudrehen, beziehungsweise den Reservetank zu öffnen? Das Auto tuckerte zuverlässig, transportierte, gut gepackt, sechs Leute. Oder einen großen Papageienkäfig, Kinderwagen, selbst ein Kühlschrank passte durch die Beifahrertür.

Das Fahrzeug war gut handhabbar: Die zwei Zündkerzen selber auswechseln, Batterie vor Eisnächten rasch ausbauen und am Morgen mit klammen Fingern wieder einsetzen, den gerissenen Keilriemen zur Not mit einer Strumpfhose ersetzen – jede dieser Storys stimmt. In meinem Kleiderschrank ruhte eine Auspuffanlage, die ich mal durch Vitamin B direkt aus dem Zwickauer Werk bekommen und vorsichtshalber eingelagert hatte. Irgendwann brauchte ich neue Bremsbacken – da hatte ich was zum Tausch zu bieten.

Was auch immer tollere Autos mehr konnten als fahren – der Trabi war die erste Liebe. Keiner der vielen billigen Trabi-Witze kann die Erinnerung trüben. Schon gar kein „Westauto“. Ich hatte nie eines, seit 1994 lebe ich ohne Kfz. Wenn ich mal eines ausleihe, verzichte ich gern auf Schnickschnack. Es heißt, die Chinesen bauen kleine E-Autos – so eine Art Mobiltelefon auf Rädern. Interessant. Klingt nach Trabi 6.0.

Maritta Tkalec

Ich musste noch mal anrufen bei meinen Eltern, wie das genau war damals mit unserem Trabant. Schließlich ist es locker 35 Jahre her, dass ich zuletzt in unserem Trabi saß, und die Erinnerungen daran sind ehrlich gesagt verschwommen. Ich weiß, dass ich das kleine blaue Auto sehr mochte, Bilder von Urlaubsfahrten sind in meinem Kopf, von knatternd-rumpeligen Reisen an die Ostsee und ins Elbsandsteingebirge.

Mein Vater weiß es genauer: „Der Trabi hat uns überall hingebracht“, sagt er lobend ins Telefon. Nie würde er etwas Schlechtes über sein und unser erstes Auto sagen. Wieso auch? Der Trabi gehörte zur Familie. Man musste lange auf ihn warten, und als man ihn endlich abholen durfte, war man stolz wie Hupatz. So jedenfalls drückt es Papa aus.

Unsere Trabi-Geschichte begann 1979, im Jahr meiner Geburt. Damals meldete mein Vater bei einer Verkaufsstelle in Ost-Berlin seinen Autowunsch an. Sechs Jahre lang passierte rein gar nichts an der Pkw-Front, wir fuhren Straßenbahn, Bus oder gingen zu Fuß. Dann, 1985, tat sich eine seltene Gelegenheit auf.

Über innerfamiliäre Kontakte bekamen wir die Gelegenheit, einen gebrauchten Trabant 601 zu erwerben. Zum Freundschaftspreis von 8500 Mark, wie mein Vater aus dem Stand zu berichten weiß. Da schlug man natürlich zu, auch wenn es eine Menge Geld war. Wer weiß, wann der angemeldete Wagen kommen würde!

Unser Interims-Trabi war grau, was eher dreckig aussah, daher ließen meine Eltern ihn blau umlackieren und ein paar Reparaturen durchführen. Am Ende kostete die Anschaffung uns einen fünfstelligen Betrag; dafür, dass wir den Trabi nur drei Jahre fuhren, recht üppig. Nur einmal, im Ostseeurlaub, ging die Lichtmaschine kaputt.

Und, na gut, schiebt mein Vater nach kurzem Zögern hinterher, wenn es regnete, nässte es durch. Er legte dann immer Zeitungspapier im Wagen aus. 1988 verkauften wir den Trabi wieder, für immerhin noch 9000 Mark. Er war zu diesem Zeitpunkt fast ein Vierteljahrhundert alt – Nachhaltigkeit muss ganz neu definiert werden!

Der Grund für den Verkauf war, dass 1988 endlich unser ursprünglich angemeldeter Trabant in Rummelsburg für uns bereitstand. Zweifarbig war der Neuwagen, blau mit weißem Dach. 11.800 Mark mussten meine Eltern dafür hinblättern. Ein Jahr später fiel die Mauer, und plötzlich wollten alle VW Golf fahren, Opel Kadett oder Nissan Primera. Als wir unseren Trabi 1991 verkauften, brachte er noch popelige 500 (West-)Mark ein. Die Anmeldung für den Wartburg, die mein Vater bei der Trabi-Abholung in Rummelsburg abgegeben hatte, verfiel.

Anne Vorbringer

Als ich zehn Jahre alt war, Anfang der 1980er, ging Reisen so: Wir klauten im Bahnhofskonsum von Dolgen Süßigkeiten, sprangen auf den Bummelzug nach Feldberg, rissen im Gepäckwagen die Tür auf, ließen die Beine baumeln. Die Gräser und Ähren peitschten die Füße, die heiße Luft blies uns Tränen in die Augen, Finger und Gesicht klebten von Schweiß und Zucker.

Heute friert man im klimatisierten ICE und kann nicht einmal ein Fenster aufklappen. Na gut, er ist auch zehnmal schneller unterwegs.

Ebenso kategorisch unterscheidet sich das Reisegefühl in einem heute üblichen Personenkraftwagen von dem in einem Trabant 601. Man bekam durch die notdürftige Pappmembran der Fahrgastzelle einen Sinneseindruck von der Welt, die man durcheilte. Die nicht immer ebenen Straßen und die sportliche Federung komplettierten das Erlebnis zu etwas, das einer Kutschfahrt oder einem Ritt ähnlicher war als die öde, kaltherzige und abgekapselte Personenverschickung heutigentags.

Der Duft von unvollständig verbrannten Benzolen und verpufften Gasen mischte sich mit dem von Teer, gut durchtränkten Leberwurstklappstullen und verbranntem Insektenfleisch. Klar brauchte man Geduld, mein Vater trat das Gaspedal durch, und die Tachonadel zitterte zwischen 105 und 110 Kilometern pro Stunde. Nicht selten blieben wir auf der Strecke liegen, einiges konnte man selbst reparieren. Die Elektrode der Zündkerze verbiegen, den Keilriemen durch eine Feinstrumpfhose ersetzen (die es allerdings nicht immer gab), und ich glaube mich zu erinnern, dass sich das Kühlmittel nötigenfalls auffüllen ließ, indem man zugleich die Blase leerte – dann rundeten weitere Gerüche das Reiseerlebnis olfaktorisch ab.

Unsere vierköpfige Familie kam durch weitschweifende Anmeldungsrochaden in den Besitz eines Trabants Kombi in „Persisch Orange“. Für einen Sommerurlaub zur Ostsee demontierte mein Vater die Rückbank und breitete Schlafsäcke und Luftmatratzen aus, auf denen wir Kinder uns langmachten wie in einem Camper. Auf den Dachgepäckträger kamen die Säcke mit dem Hauszelt samt Gestänge: ein Steilwandzelt mit dem schönen Namen Venedig II. Im Kofferraum klapperten Kocher, Geschirr, Propangasflaschen, Wasser- und Benzinkanister. Auf der Rückreise ging unserem Trabi die Kraft aus, er wurde immer langsamer, obwohl er vollgetankt war. Also rechts ran.

Ich bin mir nicht sicher, ob mein Vater über Grundkenntnisse der Automechanik verfügte, aber er hatte ein abgeschlossenes Medizinstudium und führte, wie jeder DDR-Bürger, Blumendraht und Heftpflaster mit für provisorische Reparaturen aller Art. Er tippte auf den Luftfilter. Das Ding befand sich in einem Gehäuse, das mit zwei Klammern verschlossen war wie ein Feldgeschirr.

Ein kurzer Blick ergab, dass der Filter – ein Papprohr, das einem Lampenschirm nicht unähnlich sah – hoffnungslos und u-bootdicht verstopft war mit allen Sorten von Dreck und den bereits erwähnten Insektenleichen. Mein Vater riss den Filter aus dem Gehäuse, verklammerte es wieder, startete den Motor, der geradezu aufjubelte. Unser Trabant sprang wie ein spontangeheilter Asthmatiker auf die Autobahn, jagte mit über 120 Sachen Richtung Berlin und sog den selber aufgewühlten Dreck wie den Qualm einer Karo tief in die Lungenbläschen seines Motors. Irgendwie war mehr Rock’n’Roll.

Ulrich Seidler

Im Jahre 1984 zogen meine Eltern nach ihrem Studium in Jena zum Arbeiten nach Berlin. Mein Bruder und ich waren damals fünf und zwei Jahre alt; meine Schwester wurde im Folgejahr geboren. Mit nach Berlin zog unser Trabant 601, den Opa über Umwege besorgt hatte: Baujahr 1967, 26 PS, gebraucht gekauft zum Neupreis von 10.000 Mark. Er war weiß mit einem blauen Dach und stand ziemlich verloren in der Choriner am Bordstein. Wie leer die Straßen damals waren! Wenn ich aus dem Fenster unserer neuen Wohnung schaute, sah ich einen Kohlenhof, mit Wellblech zur Straße abgetrennt. Alles war verkommen und schmutzig. Ich habe Berlin gehasst.

Ich freute mich immer, wenn wir zu Oma und Opa nach Jena fuhren. In unserem Trabi. Heutzutage fährt man die Strecke in knapp drei Stunden, über die Avus raus und dann A9. Damals ging die Fahrt Richtung Osten los, vorbei an den Kränen am Spreeufer, wo jetzt die Hochhäuser der Mediaspree stehen. Dann Adlergestell, Südring und bei Potsdam auf die Transitstrecke. Der Unterschied im Straßenbelag von wubbel-wubbel-wubbel zu brrrrrrrrrr war für mich der Unterschied zwischen Ost und West.

In der Mitte der Strecke der Elbeturm: „Plaste und Elaste aus Schkopau“. Unter fünf Stunden war das alles nicht zu schaffen, mit Maximalgeschwindigkeiten von 100 km/h, bergab mit Rückenwind sogar 105! Meine Mutter hatte nach der Fahrt einen tauben Fuß vom ständigen Gasgeben. Und war das im Winter kalt! Und eng! Wir saßen da zu dritt auf der Rückbank, unangeschnallt und ohne Kindersitze natürlich. Manchmal legten wir uns auch hin: einer auf die Hutablage, einer auf die Sitze, einer in den Fußraum. Ging alles.

Wenn mir heutzutage ein Limousinenfahrer erklärt, dass er für seine Familie einfach ein großes Auto brauche, kann ich nur lachen. Erst 1992 bekamen wir unser erstes West-Auto, einen Fiat Tipo. Wir waren 13, zehn und sieben Jahre alt. Platz ist in der kleinsten Hütte – und im kleinsten Auto: unserem Trabi, dem damals niemand eine Träne nachweinte. Seine Pappe ruhe in Frieden.

Irene Hallof

Achten Sie mal auf den Mann da vorne, der gerade arglos die Straße überqueren will. Wie er plötzlich in seiner Bewegung stockt, nach links und rechts schaut, aber nicht das zu finden scheint, wonach er sucht. Er kann es schon hören, dieses vertraute Geräusch, ein metallisches Knattern und kerniges Hämmern, nur eben noch nichts sehen.

Und wenn Sie jetzt bitte das Gesicht des Mannes heranzoomen, seine Nase betrachten, die sich zunächst angewidert kräuselt. Dann die Mundwinkel, die sich jetzt doch allmählich zu einem Lächeln formen – nun, machen wir es nicht unnötig spannend, dieser Mann, das bin ich. War ich vor ein paar Wochen.

In war nämlich in Zwickau, Sachsen, in einer Stadt, die früher vom Steinkohlebergbau lebte, „Ruß-Zwigge“ hieß, weil die Rußpartikel in der Luft die Hausfassaden schwärzten, die Sonne verdunkelten, das Atmen zur Anstrengung machten. In Zwickau lief zudem bis Ende April 1991 auch noch der Trabant über die Fabrikbänder. Die Gegend muss eine Art Zwei-Takt-Mordor gewesen sein. Nicht lachen: Auf meiner unfertigen Was-ich-noch-unbedingt-im-Leben-machen-möchte-Liste steht trotzdem „einmal Trabi-Fahren“ im oberen Drittel.

Es gibt sehr viele Trabi-Witze, gute und schlechte, hier meine drei liebsten: „Wie heißt der Trabi auf Französisch? Carton de blamage!“ „Womit kann man die Beschleunigung eines Trabis messen? Mit einem Kalender!“ Und, weil das am besten beschreibt, was mir in Zwickau auf der Straße passiert ist: „Was ist der Unterschied zwischen einem Trabi und einem Düsenjäger? Den Düsenjäger sieht man, bevor man ihn hört. Beim Trabi ist es umgekehrt.“

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Und da kam er also endlich mit Verspätung ins Bild, ein Trabant 601, mit all dem unvollständig verbrannten Kohlenwasserstoff und Kohlenmonoxid im Schlepptau, extra laut, weil vielleicht ohne Endschalldämpfer, und in Panamagrün. Oh, wie hässlich ist Panamagrün! Aber wie schön der Anblick dieser fahrbaren Duro-Plastik!

Heute sehen die meisten Autos irgendwie gleich aus. Überall prollige Fronten, fließende Übergänge, als wären im Windkanal nicht nur alle Ecken und Kanten weggeweht worden, sondern auch jeder ästhetische Anspruch. Ein Trabi ist unverkennbar. Wie niedlich er einen anguckt aus seinen runden Scheinwerfern! Dazu dieses freche Kühlergrinsen!

Achten Sie auf diesen Mann da vorne, der gerade in einen Trabi steigt. Das könnte eines Tages ich sein.

Paul Linke

QOSHE - Legendäre Rennpappe: Der Trabant 601 wird 60 Jahre alt - Jens Blankennagel
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Legendäre Rennpappe: Der Trabant 601 wird 60 Jahre alt

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09.03.2024

Er wurde geliebt und gehasst: der Trabant 601, jenes Auto, das für viele sinnbildlich für die DDR steht. Das erste Modell rollte im Jahr 1964 vom Band. Es war auf der Höhe der Zeit, war keine schwere Blechkiste, sondern wurde wegen seiner Kunststoffkarosse „Rennpappe“ genannt.

Doch in den 25 Jahren danach änderte sich nicht mehr viel: Der Trabi wurde zum Symbol des gesellschaftlichen Stillstands. Der Zweitakter sorgte auch für den typischen Gestank auf den DDR-Straßen: Fast 50 Prozent aller Autofahrer fuhren den kleinen Stinker. Die meisten hätten sich viel lieber einen Wartburg gekauft oder einen Lada oder Skoda, aber in der sozialistischen Gesellschaft des Schlangestehens war so viel Luxus nicht vorgesehen. Als 1991 und drei Millionen Stück später der letzte Trabi in Zwickau das Werk verließ, interessierte sich kaum noch jemand für den „Volkswagen des Ostens“.

Anfang März 1964 war das Modell 601 offiziell vorgestellt worden, drei Monate später ging das Auto in Serie. 60 Jahre später folgen hier nun sechs ganz persönliche Erinnerungen an das meiste Auto der DDR.

Happy Birthday, Trabi

04.03.2024

20 Jahre DDR-Museumswohnung in Hellersdorf: „Einmal kam einer von Take That vorbei“

16.02.2024

Ein himmelblauer Trabant – mein allererstes Auto war ein Trabi 601 de Luxe. Ich habe mir weder die Farbe noch das Auto ausgesucht, hätte ich auch gar nicht gekonnt. Ich war 23 Jahre alt und ein armer Student, der weder Geld für ein Auto übrig gehabt hätte, noch hatte ich Interesse an Autos. Ich interessierte mich für Indierock und Konzerte, für Partys und Mädchen. Trotzdem hatte ich mich natürlich im Alter von 16 Jahren brav für einen Trabi angemeldet, denn die Wartezeit betrug zwölf Jahre – und woher sollte ich mit 16 wissen, ob ich mit 28 nicht doch ein Auto brauchen würde, etwa um eine Frau für mich zu gewinnen.

Wenn ich mir damals hätte ein Auto aussuchen dürfen, wäre es der Wagen von dem coolen jungen Mann oben im Plattenbau meiner Eltern gewesen: ein Wartburg 311/2 Cabriolet, schnittiger 50er-Jahre-Style, so etwas wie die Babyvariante eines Ami-Schlittens. Der junge Mann war ein begnadeter Autoschrauber, und von den Wagen waren nur 2670 Stück gebaut worden, also verschwendete ich keinen Gedanken an diesen Oldtimer, aber an die Lederjacke, die der Mann immer trug, wenn er mit offenem Verdeck fuhr.

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06.03.2024

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07.03.2024

Sie war schwarz und sah fast so aus wie die von Marlon Brando. Auch die Jacke stammte aus den 50er-Jahren und auch noch aus Paris. Er wollte sie mir nicht verkaufen, aber nach drei Monaten Bettelei war sie mein. Er ließ sich eine passende neue Jacke zum Cabrio von den Westverwandten schicken.

Damit war das Thema Auto für mich abgeschlossen. Bis die Mauer fiel. Mit der großen Freiheit kam auch die Möglichkeit, sich endlich schöne Autos zu kaufen. Für meinen Vater wären im Jahr nach dem Mauerfall die zwölf Jahre Wartezeit auf den nächsten Trabi vorüber gewesen. Er kaufte sich einen weißen Ford, ich bekam seinen himmelblauen Trabi.

Unsere größte Fahrt führte nach Wiesbaden zu einem Freund, der im legendären Sommer 1989 über Ungarn in den Westen geflohen war, ein Mann mit exquisitem Musikgeschmack, der dafür gesorgt hatte, dass die spätere Kultband Pixies schon vor dem Mauerfall unsere Lieblingsband war.

Auf der Fahrt in den Westen qualmten in Thüringen die Bremsen am Trabi, auf der Rückfahrt fiel mitten in Brandenburg der Motor aus. Meine Freundin und ich übernachteten im Trabi. Es war ein Kombi, trotzdem war es sehr eng, denn hinten drin stand mein erster Westfernseher, den ich in Wiesbaden geschenkt bekommen hatte. Am nächsten Morgen kam mein Bruder aus Berlin und schleppte uns ab.

Dann stand der kaputte Trabi monatelang hinter unserem Studentenwohnheim, weil ich kein Geld für eine Reparatur hatte. Die Sache mit der Entsorgung wurde zu einem Drama. Doch das ist eine andere Geschichte. Übrigens: Die Lederjacke habe ich noch immer.

Jens Blankennagel

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27.12.2023

Der geheime SEZ-Architekt: „Mir blutet das Herz, wenn ich mein Werk heute sehe“

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Noch bevor das erste Auto mit der unhandlichen Bezeichnung AWZ P50 gebaut war, sah Volkes Stimme voraus, was aus dem kleinen Fahrzeug drei Jahrzehnte lang werden sollte: ein Begleiter, ein Weggefährte – so wie der Mond als Trabant die Erde umkreist. Aus einer Umfrage soll der nette Name hervorgegangen sein, in Internetforen........

© Berliner Zeitung


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