Diese unzähligen Bäume hier, direkt vor den Toren Berlins, sind so etwas wie junges Gemüse: Die dünnen Stämme der Pappeln sind gerade mal vier Jahre alt. Der älteste Baum der Welt hingegen zählt 9500 Jahre, eine ziemlich zerzauste Fichte im Fulugebirge in Schweden. Der älteste Baum Deutschlands wurde vor 1264 Jahren in Hessen gepflanzt, eine Sommerlinde. Den ältesten Berliner Baum haben die Humboldt-Brüder „Dicke Marie“ getauft; eine 831 Jahre alte Eiche. Fünf Männer müssen ihre Arme ausstrecken, um den mächtigen Stamm zu umfassen. Für die dünnen Pappelstämme in Stahnsdorf reichen zwei Hände völlig aus.

Bäume sind höchst unterschiedlich: majestätisch wie die hessische Sommerlinde mit einer Krone von 25 Metern Durchmesser oder unscheinbar wie die dürren Pappeln hier, die keinen dicken Stamm haben und damit gar nicht wie richtige Bäume aussehen, sondern wie groß geratene Büsche.

Das Ganze hier ist auch gar kein Wald, obwohl hier abertausende Bäume stehen. Wäre es ein Wald, würden die Bäume im Regelfall mindestens 100 Jahre lang wachsen, würden groß und dick werden, um lange Bretter zu liefern. Ganz anders ist es bei diesen dünnen Pappeln. Bei ihnen ist die Holzqualität egal, weil sie nur verbrannt werden. Es sind reine Energiepflanzen, und das hier ist ein Feld. Nur stehen da eben keine Getreidehalme drauf, sondern Bäume.

Neben dem Energiefeld – auch Schnellwuchsplantage genannt – wird an diesem Vormittag die Ernte vorbereitet. Und dafür steht nicht etwa wie in einem Wald ein Trupp von Holzfällern mit Kettensägen bereit, sondern eine Erntemaschine: Der riesige Feldhäcksler ist so groß wie ein Mähdrescher. „Gleich geht’s los“, sagt Jan Grundmann, der Chef der Firma Energy Crops, übersetzt Energie-Ernter. „Die meisten Leute staunen immer, wie schnell die Ernte geht.“

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03.03.2024

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02.03.2024

Holz ist ein nachwachsender Rohstoff: Bäume werden gefällt, verbaut oder verbrannt und neue Bäume wachsen nach. In heimischen Wäldern gilt die Regel, dass jedes Jahr nur so viel gefällt werden darf, wie nachgewachsen ist. So wurde der Wald zum Inbegriff der Nachhaltigkeit. Das macht Holz für die Energiewirtschaft so interessant, gerade in Zeiten des Klimawandels und des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Öl.

Doch so einfach ist es auch nicht. Umweltverbände kritisieren den Ansturm auf Feuerholz; sie fürchten, dass für den Energiehunger der Menschen ganze Wälder abgeholzt werden, dass damit Lebensraum für Tiere und Pflanzen zerstört wird und das Artensterben schneller voranschreitet. Vor allem aber wird das Holz verbrannt – damit wird Kohlendioxid freigesetzt.

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Ist Holz also doch nicht so gut? „Doch, wir gehören zu den Guten“, sagt Jan Grundmann von Energy Crops, einer Tochter des Energiekonzerns Vattenfall. „Grundsätzlich holzen wir keine Wälder ab. Für Energieholz werden keine Bäume im Wald gefällt, die Pflanzen werden extra auf dem Feld angepflanzt. Es heißt nicht umsonst Agrarholz.“

Die Holzplantage bei Stahnsdorf ist so groß wie vier Fußballfelder: Die Pappeln sind acht Meter hoch und stehen in geraden, langen Reihen. Nach jeweils zwei Metern folgt die nächste Reihe. Das Ganze hat wenig Ähnlichkeit mit einem Wald, sieht eher aus wie eine Kautschukplantage in Asien. Der Vorteil der streng geordneten Reihen: Die Ernte geht extrem schnell. Die Erntemaschinen können die Pappeln umsägen wie Mähdrescher.

Die Frage ist, ob Energieholz nur eine Mode ist oder ob es helfen kann, fossile Brennstoffe zu ersetzen. Bei der Energiegewinnung geht es heute schnell ums Grundsätzliche, um Gut und Böse. Die Zeiten, in denen Deutschland Exportweltmeister war, auch weil die Wirtschaft mit billigem Öl und Gas aus Russland angefeuert wurde, sind vorbei. Bei Energiefragen geht es nicht nur um Putins aktuellen Krieg oder darum, dass die Volkswirtschaften meist auf Energieträger aus Ländern angewiesen sind, die keine Demokratien sind. Es geht nicht nur um Macht und Moral, auch um Klimaschutz und vor allem um ganz viel Geld, um Milliarden. Und es geht um ein möglichst gutes Image.

So wie auf diesem Acker. Schon jetzt ist Energy Crops Marktführer in Deutschland, und bis 2030 will das Unternehmen achtmal mehr Energieholz anbauen.

Frank Lindemann klettert auf den Feldhäcksler und steuert auf die erste Pappelreihe zu. Vorn an der Maschine sind kurz über dem Boden zwei Sägeblätter angebracht, die sich schnell drehen wie horizontale Kreissägen. Lindemanns Häcksler sägt die Pappeln um wie Streichhölzer.

Die Geschwindigkeit ist beeindruckend: Wenn ein Holzfäller mit der Motorsäge arbeitet, benötigt er pro Baum etwa 20 Minuten. Ein Harvester, eine vollautomatische Erntemaschine, benötigt vielleicht zwei Minuten, um einen Baum abzusägen, die Äste zu entfernen und den Stamm zuzuschneiden. Doch Frank Lindemann ist schneller. Nach genau zwei Minuten und 19 Sekunden ist die gesamte erste Reihe Pappeln gefallen. Die Reihe ist 200 Meter lang.

Die Kritiker sagen auch, dass Energieholz den Bauern viel Platz wegnehme, auf dem sie Lebensmittel anbauen könnten. Diese Kritik wird ernst genommen. Die Vattenfall-Tochter kauft die Flächen nicht etwa oder pachtet sie. Nein, sie schließt Kooperationsverträge mit den Landwirten. „Wir haben 180 Flächen von 120 Landwirten“, sagt Jan Grundmann. Die allermeisten befinden sich in Brandenburg. Dass hier so viele Landwirte mitmachen, liegt sicher auch daran, dass die Böden in der märkischen Streusandbüchse so „arm“ sind, dass sie nicht viel Ertrag abwerfen. Da bringt Energieholz mehr Geld als Getreide. Anders wäre es in der Magdeburger Börde mit ihrer satten Muttererde, dort kann mit anderen Pflanzen ordentlich verdient werden.

Zurzeit erstrecken sich überall in Brandenburg oft kilometerlange Felder mit genügsamem Mais; höchst langweilige Monokulturen. Im Jahr 1960 spielte Mais in Deutschland kaum eine Rolle, inzwischen steht bundesweit auf 21 Prozent der Felder Mais – größer ist nur der Anteil von Getreide. Der Mais wird allerdings nicht für Lebensmittel angebaut. Ein Teil wird Tierfutter, aber der übergroße Anteil sind Energiepflanzen, Futter für Biogasanlagen. Und schon stellt sich die Frage: Was ist besser für die Umwelt – Mais oder Agrarholz?

Am Rand des Energiefeldes stehen Dutzende Leute, die Lindemann bei der Ernte zuschauen: Landwirte, die vielleicht ihre Flächen bereitstellen wollen, Imker, deren Bienen von den Blühstreifen am Rand der Felder profitieren könnten, oder Lobbyisten der Energiewende und Wissenschaftler, die die Folgen der Energiefelder für die Umwelt untersuchen. Sie debattieren und schauen zu, wie die nächste Reihe Pappeln fällt.

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Dort steht auch Ernst Kürsten, promovierter Forstwissenschaftler aus Niedersachsen. „Ich bin hier für 3N“, sagt er und lächelt, als er den fragenden Blick sieht. 3N steht für einen typisch deutschen Namen: Kompetenzzentrum Niedersachsen, Netzwerk nachwachsende Rohstoffe und Bioökonomie. Der 67-Jährige erzählt, dass sie auf Versuchsflächen verschiedene Energiebäume und deren Auswirkungen auf die Artenvielfalt getestet haben. Das Ergebnis: Agrarhölzer sind besser als Mais. „Der Grund ist recht einfach“, sagt er. Bei Mais wird jedes Jahr gesät und geerntet, da ist fast immer etwas los auf dem Acker. Insekten, Eidechsen oder Brutvögel haben kaum Ruhephasen. Ganz anders bei Pappeln.

Gerade kommt wieder der Feldhäcksler an den Feldrand gefahren, wieder ist eine Reihe Pappeln gefallen. Ernst Kürsten zeigt auf das, was von den Bäumen übrig ist: eine lange Reihe dünner Baumstümpfe am Boden. Im Wald würden sie vermodern, im Garten müssten die Wurzeln ausgegraben werden. Hier treiben die Pappeln bald wieder aus und schon ist die Plantage wieder voller Bäume.

„Das ist der große Vorteil“, sagt Kürsten. Die Pappeln werden nur ein einziges Mal gepflanzt, sie müssen nicht gedüngt oder bearbeitet werden, sie wachsen 20 Jahre lang und werden alle vier Jahre geerntet. „Anders als bei Mais werden die Tiere nicht ständig gestört, sondern haben vier Jahre lang ihre Ruhe“, sagt er. „Wir sehen Felder mit Energieholz als ein Modell für die Zukunft, mit dem die Landwirtschaft zur Energiesicherheit beitragen kann und auch noch die Artenvielfalt erhöht wird.“

Das Holz der Pappeln wird später in einem Biomasseheizkraftwerk in Berlin verbrannt und sorgt für Strom und Wärme für 40.000 Menschen im Märkischen Viertel. Das Holz hilft, dem lange von Umweltschützern massiv angefeindeten Energiekonzern ein grüneres Image zu verschaffen. Vattenfall betrieb nach dem Ende der DDR zwei Jahrzehnte lang die Braunkohlegruben und Kraftwerke in der Lausitz. Nun will der Konzern, der auch in Berlin 1,4 Millionen Haushalte mit Fernwärme versorgt, eine grüne Wende. Die Fernwärme soll in zwei Jahrzehnten weitgehend klimaneutral erzeugt werden. Ein Teil davon ist der Umstieg auf Agrarenergieholz.

Mit Holz und Heizen kennt sich Jan Grundmann aus: Der Chef von Engergy Crops wurde in Schleswig-Holstein geboren, studierte in Stuttgart Landwirtschaft, promovierte in Göttingen zur Bioabfallkompostierung und kam so zu den Hamburger Elektrizitätswerken, die von Vattenfall gekauft wurden. Dort wurde er Chef für Energieholz. „So bin ich zu meiner Urprofession zurückgekehrt, der Landwirtschaft.“

Dieser Satz ist kaum zu verstehen, denn der Häcksler ist zurück. Nun fahren wir im Cockpit mit. Die Maschine ist groß und laut, aber sobald Lindemann die Tür schließt, ist es ruhig. Der 45-Jährige hat den vollen Überblick, ringsum große Scheiben, dazu zwei Bildschirme. Mit der linken Hand steuert er das Lenkrad, mit rechts bedient er eine Art Joystick wie beim Computerspiel. Sonst erntet er meist Mais oder Luzerne, Pflanzen, die nicht so starke Stämme haben. „Holz ist ein harter Gegner, die Ernte ist anspruchsvoll“, sagt der 45-Jährige, der aus der Region östlich von Bremen stammt und vor 20 Jahren der Arbeit wegen in den Osten kam.

Vor seinem Fenster werden die dünnen Pappeln von einem Stahlarm am Häcksler nach vorn gebogen, sodass sie unter Spannung stehen, dann werden sie abgesägt. Dabei werden sie unter die Maschine gezogen, wo die Stämme zusammengepresst und dann in die Häckseltrommel geschoben werden. Das Holz wird, wie im Fleischwolf, in sechs Zentimeter große Stücke gehackt. Neben Lindemann fährt ein Traktor mit Hänger, auf den die Hackstücke fliegen.

Bleibt das wichtigste Argument der Kritiker: Das Holz wird verbrannt und dabei wird Kohlendioxid frei. Jan Grundmann steht am Feldrand, der Wind pfeift kalt übers Feld. Er sagt: Ja, bei der Verbrennung von Energiebäumen wird so viel Kohlendioxid frei wie bei Kohle. „Aber entscheidend ist doch, woher das Kohlendioxid kommt.“ Auf diesem Feld würden immer Pflanzen stehen, und immer würde Kohlenstoff freigesetzt. Egal ob bei Mais, Getreide oder Pappeln – der ewige Kreislauf aus Wachsen und Vergehen. Aber bei Kohle ist es anders. „Bei der Verbrennung von Kohle wird Kohlendioxid freigesetzt, das tief im Boden gebunden ist und das nun zusätzlich in unsere Atmosphäre gelangt.“

Der Häcksler fährt weiter übers Energiefeld, Baum um Baum fällt, Reihe um Reihe. Die Traktoren bringen die vollen Hänger aufs benachbarte Feld. Die Berge aus Holzstücken wachsen immer höher. Das Holz ist frisch und feucht, duftet nach Leben. Nun trocknet es draußen drei, vier Monate lang. Dann kommen die einstigen Energieholzpappeln ins Kraftwerk und werden zu Strom und Wärme für Berlin.

QOSHE - Macht, Moral und Milliarden: Ist Energieholz wirklich besser als Kohle und Gas? - Jens Blankennagel
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Macht, Moral und Milliarden: Ist Energieholz wirklich besser als Kohle und Gas?

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05.03.2024

Diese unzähligen Bäume hier, direkt vor den Toren Berlins, sind so etwas wie junges Gemüse: Die dünnen Stämme der Pappeln sind gerade mal vier Jahre alt. Der älteste Baum der Welt hingegen zählt 9500 Jahre, eine ziemlich zerzauste Fichte im Fulugebirge in Schweden. Der älteste Baum Deutschlands wurde vor 1264 Jahren in Hessen gepflanzt, eine Sommerlinde. Den ältesten Berliner Baum haben die Humboldt-Brüder „Dicke Marie“ getauft; eine 831 Jahre alte Eiche. Fünf Männer müssen ihre Arme ausstrecken, um den mächtigen Stamm zu umfassen. Für die dünnen Pappelstämme in Stahnsdorf reichen zwei Hände völlig aus.

Bäume sind höchst unterschiedlich: majestätisch wie die hessische Sommerlinde mit einer Krone von 25 Metern Durchmesser oder unscheinbar wie die dürren Pappeln hier, die keinen dicken Stamm haben und damit gar nicht wie richtige Bäume aussehen, sondern wie groß geratene Büsche.

Das Ganze hier ist auch gar kein Wald, obwohl hier abertausende Bäume stehen. Wäre es ein Wald, würden die Bäume im Regelfall mindestens 100 Jahre lang wachsen, würden groß und dick werden, um lange Bretter zu liefern. Ganz anders ist es bei diesen dünnen Pappeln. Bei ihnen ist die Holzqualität egal, weil sie nur verbrannt werden. Es sind reine Energiepflanzen, und das hier ist ein Feld. Nur stehen da eben keine Getreidehalme drauf, sondern Bäume.

Neben dem Energiefeld – auch Schnellwuchsplantage genannt – wird an diesem Vormittag die Ernte vorbereitet. Und dafür steht nicht etwa wie in einem Wald ein Trupp von Holzfällern mit Kettensägen bereit, sondern eine Erntemaschine: Der riesige Feldhäcksler ist so groß wie ein Mähdrescher. „Gleich geht’s los“, sagt Jan Grundmann, der Chef der Firma Energy Crops, übersetzt Energie-Ernter. „Die meisten Leute staunen immer, wie schnell die Ernte geht.“

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Holz ist ein nachwachsender Rohstoff: Bäume werden gefällt, verbaut oder verbrannt und neue Bäume wachsen nach. In heimischen Wäldern gilt die Regel, dass jedes Jahr nur so viel gefällt werden darf, wie nachgewachsen ist. So wurde der Wald zum Inbegriff der Nachhaltigkeit. Das macht Holz für die Energiewirtschaft so interessant, gerade in Zeiten des Klimawandels und des Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Öl.

Doch so einfach ist es auch nicht. Umweltverbände kritisieren den Ansturm auf Feuerholz; sie fürchten, dass für den Energiehunger der Menschen ganze Wälder abgeholzt werden, dass damit Lebensraum für Tiere und Pflanzen zerstört wird und das Artensterben schneller voranschreitet. Vor allem aber wird das Holz verbrannt – damit wird Kohlendioxid freigesetzt.

Die wahre Großstadtförsterin – zwischen Waldidyll und illegalem Müll

01.03.2024

Mein kleines Balkonkraftwerk: Ein Jahr mit eigenem Strom. Das macht glücklich

29.02.2024

Ist Holz also doch nicht so gut?........

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