Die Schuldfrage ist an diesem Ort für die allermeisten geklärt: Die Russische Botschaft in Berlin am Boulevard Unter den Linden ist auch am Sonntag ein Ort der Trauer. Der breite Fußweg vor der diplomatischen Vertretung ist weiterhin auf der gesamten Länge mit rot-weißen Gittern abgesperrt. Aber auf dem Mittelstreifen liegen sehr viele Blumen. Abgelegt von Russen, Deutschen und Ukrainern, von Berlinern und Touristen, die um den verstorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny trauern. Auf der Bank auf der Höhe des Haupteingangs der Botschaft sind zwei handgeschriebene Zettel angeklebt. Auf dem einen steht: „Putin ist ein Mörder“, auf dem Zettel daneben steht: „Putin ist ein Feigling.“

Neben der Bank steht ein grimmig schauender Mann, vielleicht 40 Jahre alt. Er will nicht über die Sache an sich sprechen. „Ich bin Ukrainer“, sagt er. „Wir protestieren hier seit Beginn von Putins Überfall auf unser Land. Aber heute schweigen wir erst mal. Jetzt sollen die Russen reden.“ Für Sonntag ist an diesem Ort ab 14 Uhr eine Gedenkkundgebung geplant.

Den Tod des international bekanntesten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny hatten russische Behörden am Freitag bekannt gegeben. Sie teilten mit, er sei am Freitag in der Strafkolonie in Charp in der Polarregion zusammengebrochen und gestorben. Nach offiziellen Angaben starb er „am 16. Februar um 14.17 Uhr“ (Ortszeit, 10.17 Uhr MEZ). Nawalnys Team hat den Tod inzwischen bestätigt. Die Leiche des 47-Jährigen wurde aber den Hinterbliebenen noch nicht übergeben, nach Angaben seines Teams auch noch keine offizielle Sterbeurkunde. Bei spontanen Traueraktionen in Russland sollen Hunderte Menschen festgenommen worden sein.

Auch in Berlin gab es gleich nach Bekanntwerden der Todesnachricht spontane Trauerkundgebungen vor der Russischen Botschaft. Einige Hundert Menschen fanden sich Unter den Linden ein. Auch für Sonntag sind wieder Demonstrationen in einigen deutschen Städten geplant. Die größte soll um 14 Uhr vor der Botschaft beginnen. Die Kampagne FreeNavalny in Deutschland rechnet als Veranstalter mit 500 oder mehr Teilnehmern.„Wir geben allerdings nicht auf“, teilte die Kampagne mit. „Denn, wie Alexej Nawalny betonte, wenn er ermordet wird, sind wir unglaublich stark.“

Nawalny war ein russischer Jurist und Dissident, der sich mit Dokumentarfilmen im Internet vor allem gegen die Korruption in Putins Russland wandte. Er wurde 2020 bei einem Giftanschlag lebensgefährlich verletzt, dann wurde er nach Berlin gebracht und in der Charité behandelt. Als er Anfang 2021 zurückkehrte, wurde er noch auf dem Flughafen festgenommen und war seither in Haft. Er wurde wegen angeblicher Veruntreuung, Verleumdung und Extremismus zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

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Am Sonntag vor der Kundgebung legt auch eine Frau aus dem Raum Stuttgart Blumen vor der Botschaft nieder. Sie will ihren Namen nicht nennen, weist nur mit der Hand auf die Russische Botschaft und erzählt, dass sie mit ihrem Mann einen Wochenendbesuch in Berlin macht, um ihre Tochter und ihre Enkel zu besuchen. „Als wir von dem Todesfall gehört haben, wollte ich hierher“, sagt sie. „Meine Tochter hat Blumen besorgt und die habe ich hier abgelegt. Ich will einfach nur trauern um diesen mutigen Mann.“

Inmitten der vielen Blumen liegen auch viele Bilder von Nawalny, aber auch klare Botschaften. Auf einem Zettel zwischen zwei Sträußen weißer Tulpen steht: „Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit kann von allein aufrecht stehen.“ Ein Stück weiter liegt eine Fotomontage: In ein Bild vom Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg, wo nach dem Zweiten Weltkrieg führende Nazis von den siegreichen Alliierten abgeurteilt wurden, wurde Wladimir Putin als Angeklagter hineinmontiert. Darunter steht: „Jeder Führer kriegt sein Nürnberg.“ Jemand hat auch eine längere Botschaft geschrieben, die Nawalny als Held feiert. Dort steht: „Er hat gezeigt, dass auch Menschen, die keine Macht haben, die Welt verändern können.“ Und immer wieder findet sich dieselbe Botschaft: Putin ist ein Mörder.

QOSHE - Nach Nawalnys Tod: Neuer Protest vor Russischer Botschaft in Berlin - Jens Blankennagel
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Nach Nawalnys Tod: Neuer Protest vor Russischer Botschaft in Berlin

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18.02.2024

Die Schuldfrage ist an diesem Ort für die allermeisten geklärt: Die Russische Botschaft in Berlin am Boulevard Unter den Linden ist auch am Sonntag ein Ort der Trauer. Der breite Fußweg vor der diplomatischen Vertretung ist weiterhin auf der gesamten Länge mit rot-weißen Gittern abgesperrt. Aber auf dem Mittelstreifen liegen sehr viele Blumen. Abgelegt von Russen, Deutschen und Ukrainern, von Berlinern und Touristen, die um den verstorbenen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny trauern. Auf der Bank auf der Höhe des Haupteingangs der Botschaft sind zwei handgeschriebene Zettel angeklebt. Auf dem einen steht: „Putin ist ein Mörder“, auf dem Zettel daneben steht: „Putin ist ein Feigling.“

Neben der Bank steht ein grimmig schauender Mann, vielleicht 40 Jahre alt. Er will nicht über die Sache an sich sprechen. „Ich bin Ukrainer“, sagt er. „Wir protestieren hier seit Beginn von Putins Überfall auf unser Land. Aber heute schweigen wir erst mal. Jetzt sollen die Russen reden.“ Für Sonntag ist an diesem Ort ab 14 Uhr eine Gedenkkundgebung........

© Berliner Zeitung


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