Ein kleiner Ort im Osten der Republik – genau 50 Kilometer Luftlinie von der Grenze zu Polen entfernt – könnte nun zu einem Dauergast in den bundesweiten Schlagzeilen und zum neuen Symbol der Klimabewegung werden.

Denn schon seit Tagen wird ausführlich über Grünheide berichtet, den Standort der ersten europäischen „Gigafactory“ des amerikanischen Autobauers Tesla.

Die Meldungen überschlagen sich geradezu: Tesla will sein Fabrikgelände deutlich erweitern. Doch in einer Bürgerbefragung stimmten zwei Drittel dagegen. Da die Gemeindevertreter nicht an das Votum gebunden sind, fürchten viele Kritiker, dass die Politik wieder teslafreundlich abstimmt.

Sogleich wurde in den Medien diskutiert, ob eine solche Ignoranz mit der Demokratie vereinbar wäre. Dann besetzten etwa 100 Jugendliche jenen Wald, der für die Fabrikerweiterung abgeholzt werden soll. Wieder gab es überall Schlagzeilen, denn besetzte Baumhäuser und umweltbewegte Jugendliche klingen doch sehr nach Lützerath.

Nach Anschlag auf Tesla-Fabrik: Bislang größte Demonstration für Sonntag geplant

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Dann folgte der Brandanschlag auf die Energieversorgung von Tesla – das gab noch mehr Schlagzeilen. Damit ist der Ort nun der Hotspot der Aufmerksamkeit, zumindest wenn es um Klimaproteste geht.

Genau wie einst Lützerath, jener Weiler, den der Energiekonzern RWE tief im Westen für den Tagebau Garzweiler II wegreißen lassen wollte. Die Bewohner waren längst ausgezogen, dann besetzten Aktivisten die leeren Häuser. Als die Polizei das Camp Anfang 2023 gewaltsam räumte, gingen die Bilder um die Welt.

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Da Protest immer auch von Symbolorten lebt, könnte Grünheide nun zum Lützerath des Ostens werden. Vier Jahre lang kämpften die Tesla-Kritiker vor Ort recht einsam, weitgehend ignoriert von der bundesweiten Klimabewegung, die sowieso einen starken Westblick hat. Die Bewegung ist zwar in Berlin stark, aber die halbstündige Bahnfahrt zu Tesla war selbst der agilen Kreuzberger Protestszene zu weit.

Bislang, doch nun kommen die meisten Besetzer aus Berlin und dem Rest der Republik. Es ist eine späte Entdeckung des Ostens. Und für eine Demo am Sonntag wird bundesweit mobilisiert. Örtliche Tesla-Kritiker berichten, dass sich einige sogar dafür entschuldigt hätten, dass sie den Problemfall Tesla so lange ignorierten.

Ein Grund ist, dass für viele Klimaaktivisten E-Autos besser sind als Benziner und Diesel. Nun aber wird vielen klar, dass auch Elektroautos mit ihren schweren Batterien bewegt werden müssen, notfalls mit Atomstrom.

Ein weiterer Grund ist, dass Musk nicht mehr, wie noch vor zwei Jahren, als Person des Jahres und Öko-Heilsbringer bewundert wird. Der Wirtschaftswunderknabe war lange der Liebling der Börsen – auch als er noch gar kein Auto vorweisen konnte. Inzwischen steckt Tesla in einer Krise. Denn noch immer steht und fällt bei dem Konzern alles mit dem Aktienwert: Den Höchstwert erreichte das Papier im November 2021 mit 356 Euro, seither geht es im Zick-Zack-Kurs bergab. Im vergangenen Sommer waren es noch 266 Euro, aktuell sind es 160 Euro.

Tesla war der Vorreiter bei E-Autos. Da deutsche Autobauer den neuen Trend verschliefen, baute Musk seine erste europäische Fabrik in Grünheide überschnell, weil er seinen Vorsprung ohne Verzug auf den Markt bringen wollte. Doch VW, Mercedes & Co. wurden wach, und inzwischen muss Tesla Rabatte gewähren, um seine teuren Autos loszuwerden. Über eine schlechte Nachfrage klagt auch die Konkurrenz. BMW meldet, dass nur 15 Prozent der Kunden E-Autos kaufen. Und Tesla hat kein Alternativprodukt, da der Konzern nur auf E-Mobilität setzt.

Dazu kommt für Tesla das Problem in China, dem größten Automarkt überhaupt. Dort haben die teuren Teslas gegen die einheimische Billig-Konkurrenz kaum Chancen. Und bald sind wieder die Quartalszahlen fällig, auch aus Grünheide. Da stört der Produktionsausfall durch den Brandanschlag nicht so sehr, da Tesla nun als Opfer dasteht.

Doch der Konzern braucht keine Schlagzeilen. Die könnte es aber geben, wenn die Lage in Grünheide eskaliert. Entscheidend ist nicht, was am Sonntag bei der Demo passiert, sondern am Freitag: Dann endet die Erlaubnis für die Baumbesetzungen, einige Politiker fordern bereits die Räumung. Das hat einmal mehr enormes Schlagzeilenpotenzial, und Protest ist heutzutage schnell mobilisiert – selbst wenn der Ort weit im Osten liegt.

QOSHE - Tesla-Protest am Sonntag: Grünheide könnte zum Lützerath des Ostens werden - Jens Blankennagel
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Tesla-Protest am Sonntag: Grünheide könnte zum Lützerath des Ostens werden

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10.03.2024

Ein kleiner Ort im Osten der Republik – genau 50 Kilometer Luftlinie von der Grenze zu Polen entfernt – könnte nun zu einem Dauergast in den bundesweiten Schlagzeilen und zum neuen Symbol der Klimabewegung werden.

Denn schon seit Tagen wird ausführlich über Grünheide berichtet, den Standort der ersten europäischen „Gigafactory“ des amerikanischen Autobauers Tesla.

Die Meldungen überschlagen sich geradezu: Tesla will sein Fabrikgelände deutlich erweitern. Doch in einer Bürgerbefragung stimmten zwei Drittel dagegen. Da die Gemeindevertreter nicht an das Votum gebunden sind, fürchten viele Kritiker, dass die Politik wieder teslafreundlich abstimmt.

Sogleich wurde in den Medien diskutiert, ob eine solche Ignoranz mit der Demokratie vereinbar wäre. Dann besetzten etwa 100 Jugendliche jenen Wald, der für die Fabrikerweiterung abgeholzt werden soll. Wieder gab es überall Schlagzeilen, denn besetzte Baumhäuser und umweltbewegte Jugendliche klingen doch sehr nach Lützerath.

Nach Anschlag auf Tesla-Fabrik: Bislang größte Demonstration für Sonntag geplant

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Dann........

© Berliner Zeitung


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