Demokratie kann eine feine Sache sein. Das zeigt sich nun in Grünheide bei Berlin: Der kleine Ort direkt östlich des Berliner Rings war bis 2020 nur Eingeweihten bekannt. Doch jetzt wurde dort ein klein wenig Demokratiegeschichte geschrieben. Die Einwohner durften abstimmen, ob die erste europäische Tesla-Gigafactory des Milliardärs Elon Musk erweitert werden darf. Sie sagten: Nein, danke.

Die Klarheit überrascht dann doch, denn lange galt Elon Musk als das Wirtschaftswunderkind des Jahrzehnts. Der reichste Mann der Welt oder der zweitreichste, je nachdem, ob sein Aktienpaket gerade wertvoller war als das des Amazon-Chefs Jeff Bezos. Zwei Amerikaner, die es nicht stört, dass sie als Hyperkapitalisten gelten, als Leute, denen das Soziale nicht annähernd so wichtig ist wie der Gewinn. Macher und Visionäre, die ganze Branchen umkrempeln wollen. Noch 2021 zierte Musk die Titelseite des Time Magazins als „Person of the Year“.

Doch dann geriet das Bild vom Überflieger ins Wanken: Aus einer Wutlaune heraus kaufte er Twitter, aber dann wollte er den digitalen Schmuddel-Stammtisch doch nicht haben und galt auch noch als Trump-Fan. Von all dem profitierten nun die Grünheider Tesla-Kritiker.

Es gibt diesen bösen Spruch von Kurt Tucholsky: „Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten.“ Zwar hat die Realität immer wieder bewiesen – schmerzhaft, schön und auch überraschend –, dass Urnengänge durchaus etwas ändern können. Doch auch die Volksbefragung in Grünheide hat eine schmuddelige Seite: Das Ergebnis ist nicht bindend. So als wollten sich die Verantwortlichen eine Hintertür offen halten, um weiter so Investoren-freundlich zu entscheiden wie bisher im Fall Tesla.

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19.02.2024

18.02.2024

gestern

Doch dieses Mal verbietet es sich, auch nur darüber nachzudenken, ob Volkes Wille ignoriert werden könnte. Denn die Zahlen sprechen eine so klare Sprache, dass sich alle sofort als personifizierte Anti-Demokraten outen, die sich gegen diese Entscheidung stellen: An der Befragung beteiligten sich 70 Prozent der Wahlberechtigten. So viele, wie sonst nur an Bundestagswahlen. Allein die Masse der Stimmzettel gibt dem Ergebnis ein gehöriges Gewicht. Dazu kommt das Ergebnis an sich: 3499 Bürgerinnen und Bürger lehnen die Tesla-Pläne ab, nur 1882 sagen Ja. Das sind fast doppelt so viele Nein-Stimmen. Klarer kann die Ablehnung nicht sein.

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Und die Ablehnung hat nicht etwa geschmäcklerische Gründe, weil Elon Musk nicht mehr als cool gilt. Die Ablehnung ist inhaltlicher Natur: Nachdem andere europäische Standorte abgewinkt haben, ging Musk nach Ostdeutschland. Denn dort zieht das 1990er-Jahre-Versprechen von Tausenden Arbeitsplätzen noch immer, obwohl auch hier Fachkräftemangel herrscht und die Arbeitslosen nicht Schlange stehen. Dazu kommt, dass die Kernzielgruppe gar nicht gut bezahlte deutsche Autobauer sind, sondern ihre schlechter bezahlten Kollegen aus dem nahen Polen. Und jeden Tag brettern auch noch Hunderte Lkw zur Gigafactory, dazu Tausende Pendler.

Das heißt: Die Fabrik bringt der Region mehr Schaden als Nutzen. Sie bringt Lärm und Schmutz und Mieten, die sich teilweise verdoppelt haben. Außerdem wurden Wälder abgeholzt; aber das Hauptproblem bleibt die Wasserfrage: Denn die Fabrik steht auf einem Trinkwasserschutzgebiet und in der Region war schon vor Tesla das Wasser knapp. Warum also sollten die Grünheider gegen ihre Interessen stimmen?

Die Demokratie in der Bundesrepublik ist in seiner bislang schwierigsten Phase. Nicht nur, weil Demokratiefeinde sie bekämpfen, sondern auch, weil Regierungen oft am Volke vorbei regieren und damit die seit Jahrzehnten beklagte Politik- und Parteienverdrossenheit immer mehr an den Rand einer Demokratieverdrossenheit bringen.

Deshalb muss im Falle Grünheide die Demokratie eine feine Sache sein. Auch wenn das Votum offiziell nicht bindend ist, wäre es ein höchst undemokratischer Akt, das Ergebnis zu übergehen. Ein Akt, der das Vertrauen in die Demokratie weiter aushöhlen würde.

Also: Hände weg von diesem Abstimmungsergebnis. Denn das Votum ist keines gegen Elon Musk, sondern nur gegen diesen unpassenden Standort. Der Milliardär kann gern weiter in Brandenburg investieren. Die Erweiterung des Werks würde gut in die Lausitz passen. Dort, keine 100 Kilometer entfernt, erstrecken sich weite Landschaften, die durch Kohlegruben zerstört wurden und die durch eine moderne Fabrik für Elektroautos aufgewertet werden können. Das wäre vorbildlich und nachhaltig und würde Nachahmer in diese Region des Umbruchs locken. Eine Win-win-Situation für alle.

QOSHE - Wer das Votum gegen Tesla nicht ernst nimmt, zerstört das Vertrauen in die Demokratie - Jens Blankennagel
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Wer das Votum gegen Tesla nicht ernst nimmt, zerstört das Vertrauen in die Demokratie

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21.02.2024

Demokratie kann eine feine Sache sein. Das zeigt sich nun in Grünheide bei Berlin: Der kleine Ort direkt östlich des Berliner Rings war bis 2020 nur Eingeweihten bekannt. Doch jetzt wurde dort ein klein wenig Demokratiegeschichte geschrieben. Die Einwohner durften abstimmen, ob die erste europäische Tesla-Gigafactory des Milliardärs Elon Musk erweitert werden darf. Sie sagten: Nein, danke.

Die Klarheit überrascht dann doch, denn lange galt Elon Musk als das Wirtschaftswunderkind des Jahrzehnts. Der reichste Mann der Welt oder der zweitreichste, je nachdem, ob sein Aktienpaket gerade wertvoller war als das des Amazon-Chefs Jeff Bezos. Zwei Amerikaner, die es nicht stört, dass sie als Hyperkapitalisten gelten, als Leute, denen das Soziale nicht annähernd so wichtig ist wie der Gewinn. Macher und Visionäre, die ganze Branchen umkrempeln wollen. Noch 2021 zierte Musk die Titelseite des Time Magazins als „Person of the Year“.

Doch dann geriet das Bild vom Überflieger ins Wanken: Aus einer Wutlaune heraus kaufte er Twitter, aber dann wollte er den digitalen Schmuddel-Stammtisch doch nicht haben und galt auch noch als Trump-Fan. Von........

© Berliner Zeitung


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