Ein Sexualstraftäter, der Kinder missbraucht hatte, kommt in Frankfurt (Oder) mit einer Bewährungsstrafe davon – und wird kurz darauf erneut übergriffig. Ein junger Berliner wird von Schlägern in den Tod gehetzt. Die heranwachsenden Täter müssen nicht ins Gefängnis. Ein 20-Jähriger, der bei einem von ihm verschuldeten Unfall zwei seiner Freunde in den Tod gerissen hat, wird nach dem Jugendstrafrecht verwarnt und mit einem Fahrverbot von drei Monaten belegt.

Es sind Urteile, die von Richterinnen und Richtern im Namen des Volkes gesprochen werden – und die wohl nicht nur meinem Rechtsempfinden widersprechen. Als Gerichtsreporterin habe ich mich oft gefragt: Sind solche Urteile gerecht?

Sicher nicht – vor allem nicht aus Sicht der Angehörigen oder Hinterbliebenen der Opfer. Nicht selten hörte ich von Familienmitgliedern getöteter Menschen noch vor der Urteilsverkündung gegen den mutmaßlichen Täter, dass jedes Strafmaß nichts sei gegen den Verlust, der für sie nur ein Urteil bedeute: lebenslänglich.

Ein Sprichwort besagt: Vor Gericht bekommt man keine Gerechtigkeit, sondern ein Urteil. Da ist etwas dran. Aber heißt das automatisch, dass unsere Rechtsprechung zu lasch ist? Dass vielleicht vor Gericht viel zu viele Deals ausgehandelt werden, bei denen Angeklagte letztlich zu gut wegkommen, nicht selten nach dem Urteil sogar nach Hause gehen dürfen?

Ich fand Deals ungerecht. Bis zu diesem Verfahren am Amtsgericht Tiergarten vor etwa drei Jahren. Verhandelt wurde ein sogenannter Enkeltrick-Betrug. Angeklagt war das Mitglied einer bekannten Betrügerfamilie. Eine alte Dame saß auf der Zeugenbank, sie war verzweifelt, weil sie Gaunern auf den Leim gegangen war und ihnen ihr gesamtes Erspartes überlassen hatte.

Die 85-Jährige handelte im guten Glauben, ihren Sohn damit retten zu können. Ein unbekannter Mann hatte sie angerufen, sich als ihr Junge ausgegeben und erzählt, er liege schwer an Corona erkrankt an einem Beatmungsgerät in der Charité. Nur eine Spritze könne ihn noch vor dem sicheren Tod retten. Die Kosten allerdings übernehme die Krankenkasse nicht, sodass er 100.000 Euro benötige.

28.03.2024

gestern

28.03.2024

gestern

28.03.2024

Opfer eines Enkeltrick-Anrufs sagt vor Gericht aus: „Es hat so wehgetan!“

31.01.2024

„Love-Scamming“: Wie ein Heiratsschwindler eine Berliner Rentnerin ausplünderte

07.01.2024

Die Frau hatte schon einmal ein Kind verloren und war nun von der Angst getrieben, auch ihr Sohn könne sterben. Sie suchte alles Geld zusammen, das sie besaß und wäre beinahe noch zu den Nachbarn betteln gegangen. Sie übergab „einer guten Freundin ihres Sohnes“ 65.000 Euro. Es war Geld, das die alte Dame im Laufe ihres Lebens angespart hatte. Da sie die vier Treppen zu ihrer Wohnung nicht mehr schaffte, wollte sie damit einen Platz in einer Seniorenresidenz bezahlen.

Nach der Geldübergabe rief sie ihre Tochter an, der Enkelsohn ging ans Telefon. Er verstand sehr schnell, dass seine völlig aufgelöste Großmutter Opfer von Betrügern geworden war. Normalerweise ist das Geld für immer weg. Auch wenn, wie in diesem Fall, ein Bandenmitglied, gefasst wird.

Falscher Kommissar betrog Senioren – und erbeutete 1,5 Millionen Euro

19.10.2022

Der Richter hörte sich die Zeugenaussage der alten Dame und ihres Enkels an. Dann unterbreitete er dem bisher nicht vorbestraften Angeklagten einen Deal. Sollte er die Vorwürfe zugeben und die ergaunerten 65.000 Euro sofort zurückgeben, komme er mit einer Bewährungsstrafe davon.

Registriert hatte ich damals nicht, dass der Richter mit sofort auch wirklich jetzt und hier gemeint hatte. Na toll, dachte ich, da lässt die Justiz einen Betrüger laufen, der alte Menschen übers Ohr haut.

Dann aber verließ einer der Verteidiger den Saal, und noch während der Angeklagte alles zugab, kam der Anwalt mit einem weißen Leinenbeutel zurück. Was nun passierte, machte nicht nur die alte Dame sprachlos. Der Verteidiger griff in den Beutel, legte vor der Seniorin Bündel mit Scheinen auf den Tisch. Der Enkelsohn sollte das Geld zählen. Es waren 65.000 Euro. Selten habe ich so viel Glück im Gesicht eines Betrugsopfers gesehen.

Der Richter hatte Recht gesprochen, der Gauner bekam sein – zugegeben mildes – Urteil, die alte Dame Gerechtigkeit und ihren gewünschten Platz in einer Seniorenresidenz.

QOSHE - Die deutsche Justiz: Sind die Urteile für Verbrecher zu lasch? - Katrin Bischoff
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Die deutsche Justiz: Sind die Urteile für Verbrecher zu lasch?

12 1
30.03.2024

Ein Sexualstraftäter, der Kinder missbraucht hatte, kommt in Frankfurt (Oder) mit einer Bewährungsstrafe davon – und wird kurz darauf erneut übergriffig. Ein junger Berliner wird von Schlägern in den Tod gehetzt. Die heranwachsenden Täter müssen nicht ins Gefängnis. Ein 20-Jähriger, der bei einem von ihm verschuldeten Unfall zwei seiner Freunde in den Tod gerissen hat, wird nach dem Jugendstrafrecht verwarnt und mit einem Fahrverbot von drei Monaten belegt.

Es sind Urteile, die von Richterinnen und Richtern im Namen des Volkes gesprochen werden – und die wohl nicht nur meinem Rechtsempfinden widersprechen. Als Gerichtsreporterin habe ich mich oft gefragt: Sind solche Urteile gerecht?

Sicher nicht – vor allem nicht aus Sicht der Angehörigen oder Hinterbliebenen der Opfer. Nicht selten hörte ich von Familienmitgliedern getöteter Menschen noch vor der Urteilsverkündung gegen den mutmaßlichen Täter, dass jedes Strafmaß nichts sei gegen den Verlust, der für sie nur ein Urteil bedeute: lebenslänglich.

Ein Sprichwort besagt: Vor Gericht bekommt man keine........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play