Es gab offenbar zwei Leben der Carolin G. Eines, bevor sie Björn R. kennengelernt hatte, und eines danach. Früher war die Lehrerin eine Frau, die die ganze Welt gesehen hatte, die allein durch Indien und Südamerika reiste. Dann wurde aus ihr ein völlig verängstigter und verunsicherter Mensch. So berichtet es ihre Cousine Simone G. am Dienstag als Zeugin im Mordprozess des Potsdamer Landgerichts.

Carolin G. lebt nicht mehr. Die Lehrerin aus Niemegk (Potsdam-Mittelmark) wurde am 10. Mai vorigen Jahres nach einem fingierten Unfall auf dem Standstreifen der Autobahn 9 zwischen den Anschlussstellen Beelitz und Brück in ihrem Auto erschossen. Die Mutter eines zweijährigen Sohnes wurde 40 Jahre alt.

Seit Anfang Januar sitzt Björn R., der Ex-Partner von Carolin G., auf der Anklagebank. Der Unternehmer und Dackelfreund aus Zehlendorf soll den Auftrag für den Mord erteilt haben. Mit ihm muss sich der mutmaßliche Auftragskiller verantworten: Benjamin K., ein Schulfreund. Ihnen wird gemeinschaftlicher Mord vorgeworfen. Motiv der Tat soll ein erbitterter Sorgerechtsstreit um den im Februar 2021 geborenen gemeinsamen Sohn des Opfers und Björn R. sein. Die 42 Jahre alten Angeklagten bestreiten die Tat.

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Während Björn R., Inhaber einer Baufirma, die Zeugin nicht anschaut, berichtet die 42-jährige Cousine des Mordopfers an diesem zwölften Verhandlungstag Verstörendes. Sie hatte ein enges Verhältnis zu der fast gleichaltrigen Carolin G. Als ihre Cousine ihr Kind bekommen habe, sei sie sie besuchen gefahren. Ihre Kinder hätten Störche gebastelt, seien voller Vorfreude über das Baby gewesen. Doch Björn R. habe schnell klargemacht, dass sie unerwünscht seien.

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„Carolin war anfangs so stolz als Mutter, dann hatte ich den Eindruck, dass sie für alles um Erlaubnis fragen musste, richtig ängstlich wurde“, berichtet die Zeugin. Auch habe in der Zehlendorfer Wohnung nichts an Carolin erinnert, kein Foto von ihren Reisen, kein Andenken.

Schon wenn etwas Zucker auf dem Tisch verstreut worden sei, habe Carolin „robotermäßig“ alles sauber gemacht. Sie sei in Sorge gewesen, dass etwas kaputtgehen könne. Björn R. habe ihr zahlreiche Regeln auferlegt. Seine Mutter, die im selben Haus wie ihr Sohn wohnte, nennt Simone G. ähnlich übergriffig. Wenn sie ihr Enkelkind genommen habe, durfte Carolin nicht mit in die Wohnung. „Die haben über Carolin und das Kind bestimmt.“

Die Zeugin berichtet auch von zwei kleinen Unfällen des kleinen Sohnes von Carolin G. Als der Junge bei einem Urlaub aus dem Bett des Wohnmobils gefallen sei, habe Björn R. die Kindesmutter dafür verantwortlich gemacht. „Carolin hat mir später erzählt, dass sie deswegen von ihm bedroht und an eine Wand geknallt wurde“, erzählt Simone G.

Später habe der kleine Junge in der Wohnung ein Glas Tee umgestoßen und sich den Fuß verbrüht. Wenn er dabei gewesen wäre, hätte er sie umgebracht, soll Björn R. ihrer Cousine gedroht haben. Simone G. sagt, Carolin habe sich nicht mal mehr getraut, ihrem Sohn die Zähne zu putzen oder ihm die Jacke anzuziehen. „Die Angst hing wie ein schwerer Kettenmantel an ihr.“

Simone G. berichtet unter Tränen auch von einem Gespräch mit ihrer Cousine. Zu dieser Zeit muss Carolin G. den Kindesvater verlassen und bereits wieder im Haus ihres Vaters gelebt haben. In dem Gespräch habe ihr die Cousine berichtet, dass Björn R. ihr ins Gesicht gesagt habe: „Ich wünsche Dir einen tödlichen Verkehrsunfall.“

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Am Tag, an dem Carolin G. sterben musste, meldete sie sich bei Simone G. Die Lehrerin teilte ihr mit, was sie zu ihrem 41. Geburtstag eine Woche später vorhatte. Sie wollte ganz im Kreise der Familie in Niemegk feiern, mit Lagerfeuer und Zelten. „Es war das letzte Mal, dass ich von ihr hörte.“

Jens-Uwe T. ist ein Bekannter der Familie des Mordopfers. Der Chirurg erinnert sich vor Gericht, wie sich Carolin G. wegen des verbrühten Fußes ihres Kindes an ihn gewandt hatte. Sie schickte Fotos, wollte eine zweite Meinung, war besorgt. „Es war keine schwere Verbrühung“, sagt der Mediziner, der auch den Therapiebrief des behandelnden Arztes kennt.

Der 63-jährige Mediziner sagt, dass auch Björn R. sich an ihn gewandt habe. Der Kindesvater habe mitgeteilt, dass Carolin den Jungen nicht versorgen könne. Er habe wissen wollen, ob sie dem Kind die Verletzung mutwillig zugefügt habe. „Dafür gab es überhaupt keine Anhaltspunkte“, sagt der Zeuge.

Der Chirurg berichtet auch, dass er nach dem Tod von Carolin G. noch Kontakt zu deren Mutter hatte. Für ihn sei klar, dass Carolin nicht in Drogen- oder Mafiageschäfte verwickelt gewesen sei. Der einzige schlüssige Grund für ihren gewaltsamen Tod sei der Sorgerechtsstreit gewesen.

Doch Carolins Mutter, die ein sehr schlechtes Verhältnis zu ihrer Tochter hatte, erklärte: Vielleicht habe Carolin selbst einen Mörder gedungen, um den Kindesvater töten zu lassen. Und das habe sich dann gegen sie gewandt. „Ich war völlig schockiert, wie eine Mutter ihr Kind beschuldigen konnte“, erklärt der Arzt.

Am Endes des Verhandlungstages berichtet ein Freund des Mordopfers von Allianzen, die sich im Sorgerechtsstreit gegen die Lehrerin gebildet hätten. Man habe wohl vorgehabt, Carolin G. als psychisch labil darzustellen.

Der Prozess soll am kommenden Freitag fortgesetzt werden. Er hat sich mittlerweile zu einem Mammutverfahren entwickelt. Waren zunächst 25 Verhandlungstage und ein Urteil im Mai geplant, so gibt es mittlerweile – bis Ende November – 60 Termine.

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© Berliner Zeitung


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