Zwölf Namen stehen auf dem Befehl von Stasichef Mielke, mit dem er die Verleihung von Orden anordnete. Es sind Namen von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die 1974 offenbar für den gewaltsamen Tod von Czeslaw Kukuczka ausgezeichnet wurden. Manfred N. ist einer von ihnen. Er muss sich derzeit wegen Mordes an dem polnischen Feuerwehrmann vor dem Berliner Landgericht verantworten. Er soll Kukuczka durch einen Schuss in den Rücken tödlich verletzt haben.

Doch auch Erhard T. steht auf dieser Liste. Der 89-Jährige ist an diesem Donnerstag, dem zweiten Verhandlungstag gegen Manfred N., Zeuge. Gegen den betagten Mann läuft ein Ermittlungsverfahren, weil er im Fall Kukuczka auch tatbeteiligt sein könnte. T. hat daher ein Aussageverweigerungsrecht. Doch er will reden.

Beim MfS sei er Kraftfahrer gewesen, erklärt der Rentner. Am 29. März 1974 habe er den Auftrag erhalten, mit einem Krankenwagen zum Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße zu fahren. Dort habe man einen Mann in den Barkas geladen, der angeschossen worden sei. Den Verletzten fuhr T. wie befohlen zum Gefängnis in Hohenschönhausen. „Ich sah, dass er Schmerzen hatte. Er stöhnte während der Fahrt.“

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Am Zielort sei der Mann ausgeladen worden und er zur Dienststelle zurückgefahren. Er habe sich gewundert, dass er dafür wenig später einen Orden erhalten habe, sagt der Zeuge. Kukuczka war am selben Abend im Haftkrankenhaus der Stasi an seiner Schussverletzung gestorben. Er hinterließ eine Frau und drei Kinder.

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Auch zwei Zeuginnen werden vernommen, die am Tattag mit ihrer hessischen Schulklasse Ost-Berlin besucht hatten und auf der Rückreise am Bahnhof Friedrichstraße gesehen hatten, wie auf Kukuczka geschossen worden war.

Es sei damals wie Science-Fiction gewesen, und man habe ihren Erzählungen nicht geglaubt, sagt Petra F., die damals 15 Jahre alt war. Direkt vor ihr und zwei Schulfreundinnen stand dieser Mann an der letzten Ausreise-Kontrollstelle, der schnell abgefertigt worden sei. Der Mann war Kukuczka, der zuvor in der polnischen Botschaft mit einer angeblichen Bombe gedroht hatte, um seine Ausreise gen Westen zu erzwingen. Die Stasi hatte übernommen.

Was Petra F. dann erzählt, hört sich wahrlich unglaublich an: Als der groß gewachsene Fremde vor ihnen die Kontrollstelle verlassen hatte und dem U-Bahn-Tunnel entgegenlief, trat ein Mann in dunklem Mantel, mit Sonnenbrille und einer Pistole in der Hand hinter ihn. „Es war ein Schuss“, sagt die inzwischen pensionierte Lehrerin. Der getroffene Mann habe sich an den Rücken gefasst. Dann sei blitzschnell das Tor vor ihnen geschlossen worden. „Das war alles gut organisiert“, sagt Petra F.

Zweimal stellte die Staatsanwaltschaft nach der Wende ein Verfahren wegen des tödlichen Schusses auf Kukuczka ein. 2016 stieß man in der Stasiunterlagenbehörde auf neue Akten zu dem Fall. Auch Mielkes Befehl zur Ordensverleihung tauchte auf.

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So kamen die Ermittler der Mordkommission auf Manfred N., der damals den Kampforden „Für Verdienste um Volk und Vaterland“ in Bronze erhalten hatte. Er habe, so heißt es in seiner Kaderakte, am 29. März 1974 den Auftrag erhalten, einen terroristischen Angriff auf die Staatsgrenze der DDR zu vereiteln. „Genosse Oberleutnant N. löste umsichtig, mutig und entschlossen diese Aufgabe und konnte den Terroristen durch Anwendung der Schußwaffe unschädlich machen.“

Bisher wurden wohl nur drei Namen auf Mielkes Ordensliste von der Staatsanwaltschaft überprüft. Das Gericht will nun auch wissen, wie die anderen neun MfSler in den Fall involviert waren. Die Stasiunterlagenbehörde wurde beauftragt, zu den Namen zu recherchieren.

Manfred N. bestreitet die Tatvorwürfe. Der Prozess wird fortgesetzt.

QOSHE - Stasi-Mord vor 50 Jahren in Berlin? Zeugin erinnert sich vor Gericht an Schuss - Katrin Bischoff
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Stasi-Mord vor 50 Jahren in Berlin? Zeugin erinnert sich vor Gericht an Schuss

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04.04.2024

Zwölf Namen stehen auf dem Befehl von Stasichef Mielke, mit dem er die Verleihung von Orden anordnete. Es sind Namen von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), die 1974 offenbar für den gewaltsamen Tod von Czeslaw Kukuczka ausgezeichnet wurden. Manfred N. ist einer von ihnen. Er muss sich derzeit wegen Mordes an dem polnischen Feuerwehrmann vor dem Berliner Landgericht verantworten. Er soll Kukuczka durch einen Schuss in den Rücken tödlich verletzt haben.

Doch auch Erhard T. steht auf dieser Liste. Der 89-Jährige ist an diesem Donnerstag, dem zweiten Verhandlungstag gegen Manfred N., Zeuge. Gegen den betagten Mann läuft ein Ermittlungsverfahren, weil er im Fall Kukuczka auch tatbeteiligt sein könnte. T. hat daher ein Aussageverweigerungsrecht. Doch er will reden.

Beim MfS sei er Kraftfahrer gewesen, erklärt der Rentner. Am 29. März 1974 habe er den Auftrag erhalten, mit einem Krankenwagen zum Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße zu fahren. Dort habe man einen Mann in den Barkas geladen, der angeschossen........

© Berliner Zeitung


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