Die Frau, die an diesem Dienstag am Berliner Landgericht auf dem Platz der Zeugen sitzt, redet mit ruhiger Stimme. Miriam Bliese spricht vom Tod ihres Vaters, dem Schauspieler Joachim Bliese. Sie erzählt, wie er schwer an Krebs erkrankte, wie er entschied, keine weiteren Eingriffe zuzulassen, wie er schon Anfang 2021 beschloss, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen – wenn für ihn, den lebensfrohen Mann, das Leben nicht mehr lebenswert sein sollte.

Die 45-jährige Regisseurin schildert, wie ihr Vater durch die Krankheit immer schwächer geworden sei, wie er nicht mehr habe die Wohnung und dann das Bett verlassen können. Wie sich die Familie seinem Willen folgend an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), in welcher der Vater seit den 1980er-Jahren Mitglied gewesen sei, gewandt, alle notwendigen Unterlagen eingereicht und um einen Sterbehelfer gebeten habe.

Im September 2021 lernte Miriam Bliese Christoph Turowski kennen, einen Arzt im Ruhestand und Sterbebegleiter. Sie beschreibt ihn als einen ruhigen, ernsten Mann, dem das Schicksal ihres Vaters sehr nahe gegangen sei.

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Turowski habe mit ihrem Vater ein sehr langes Gespräch geführt, sich seine Leidensgeschichte angehört, sich ein Bild von den Werten und Überzeugungen des Schwerkranken gemacht und sich davon überzeugt, dass der Sterbewunsch der freie Wille des Vaters sei.

Auch eine zweite Gutachterin kam zu dem Schluss, dass der Kranke den Willen zu sterben freiverantwortlich gebildet hatte. Der 86-Jährige nahm die todbringenden Tabletten selbst. Er starb am 9. September 2021 im Kreis seiner Familie. Es sei ein würdiger und friedlicher Tod gewesen, sagt seine Tochter. „Ich bin froh, dass es solche Ärzte wie Dr. Turowski gibt.“

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17.03.2024

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Miriam Bliese ist Zeugin der Verteidigung, der Tod ihres Vaters hat mit dem Fall, der vor der Schwurgerichtskammer verhandelt wird, nichts zu tun. Vielmehr geht es um den Tod der 37-jährigen Studentin Isabell R. Der 74-jährige Turowski muss sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verantworten.

Die Staatsanwältin wirft dem Mediziner vor, der Frau im Sommer 2021 beim Suizid geholfen zu haben, obwohl er gewusst habe, dass sie unter einer schweren depressiven Episode gelitten habe und es ihr daher nicht möglich gewesen sei, ihren Willen freiverantwortlich zu bilden. Vielmehr sei der Sterbewunsch Teil der Erkrankung gewesen. Ein erster assistierter Suizidversuch war zunächst gescheitert.

Turowski, der bereits 100 schwerstkranke Menschen beim Freitod begleitete, hat die Tat eingeräumt und erklärt, es sei der feste Wille der Studentin gewesen, nach einer Leidensgeschichte von 16 Jahren schwerster Depressionen Suizid zu begehen. Sie sei verzweifelt gewesen und habe gedroht, gewaltsam aus dem Leben zu scheiden, sollte er ihr nicht helfen. Die Frau war nicht von der DGHS vermittelt worden, die die Unterlagen von Sterbewilligen normalerweise viele Wochen lang prüft.

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In einem Podcast hatte der Mediziner erklärt, die Studentin habe mehrere Psychiater getäuscht. Ein Psychiater kenne einen Menschen lediglich aus einem einstündigen Gespräch. Er wisse nicht, was vorher und was nachher in diesem Menschen vorgehe. „Sie haben Frau R. auch nur 90 Minuten lang gesprochen, hatten also solch einen tiefen Einblick auch nicht“, stellt der beisitzende Richter fest.

In dem Prozess geht es um die Frage, ob psychisch kranke Menschen freiverantwortlich entscheiden können und dürfen, ob sie freiwillig aus dem Leben scheiden dürfen. Am kommenden Freitag soll der psychiatrische Sachverständige zu der Frage gehört werden, ob Isabell R. trotz ihrer psychischen Erkrankung zu einer freien Willensbildung fähig war.

Am Dienstag der nächsten Woche sind die Plädoyers geplant. Wann ein Urteil gesprochen wird, ist noch unklar.

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Zeugin über angeklagten Sterbehelfer: „Bin froh, dass es solche Ärzte gibt“

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19.03.2024

Die Frau, die an diesem Dienstag am Berliner Landgericht auf dem Platz der Zeugen sitzt, redet mit ruhiger Stimme. Miriam Bliese spricht vom Tod ihres Vaters, dem Schauspieler Joachim Bliese. Sie erzählt, wie er schwer an Krebs erkrankte, wie er entschied, keine weiteren Eingriffe zuzulassen, wie er schon Anfang 2021 beschloss, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen – wenn für ihn, den lebensfrohen Mann, das Leben nicht mehr lebenswert sein sollte.

Die 45-jährige Regisseurin schildert, wie ihr Vater durch die Krankheit immer schwächer geworden sei, wie er nicht mehr habe die Wohnung und dann das Bett verlassen können. Wie sich die Familie seinem Willen folgend an die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), in welcher der Vater seit den 1980er-Jahren Mitglied gewesen sei, gewandt, alle notwendigen Unterlagen eingereicht und um einen Sterbehelfer gebeten habe.

Im September 2021 lernte Miriam Bliese Christoph Turowski kennen, einen Arzt im Ruhestand und Sterbebegleiter. Sie beschreibt ihn als einen........

© Berliner Zeitung


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