Wer die Malereiwerkstätten der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin betritt, wird erst mal von süßen Düften überrascht. Hier dominieren nicht etwa die scharfen Gerüche von Farben und Lacken oder gar von Terpentin. Stattdessen liegen zarte Noten von Lavendel, Nelken und Anis in der Luft.

„Das liegt an den Ölen, mit denen wir die Pigmente aufspachteln, also die Farben herstellen“, sagt Astrid Schulz und dreht sich auf ihrem knarzenden Bürostuhl herum. Die Meistermalerin deutet auf die Ölfläschchen, die auf Regalen stehen; für größere farbige Flächen zum Beispiel biete sich das sehr fettige Lavendelöl an, das die Farbe schön auseinandertreibt, „und Anisöl ist gut für die feine Federzeichnung, da bleibt jeder Strich ganz akkurat genau so stehen, wie man ihn aufgetragen hat.“

Seit gut 40 Jahren arbeitet Schulz in den Malereiwerkstätten der KPM, schon 1983, mit 16 Jahren, hatte die Spandauerin hier ihre Ausbildung angefangen. Das kann man sehen – nicht nur daran, wie sie konzentriert und zügig ein Kreisdekor auf den Deckel einer Porzellandose tupft. Auch ihr Arbeitsplatz deutet auf eine lange Malereikarriere hin: In den Regalen hinter ihrem Schreibtisch stehen Fläschchen, Döschen und Tiegelchen, auch Gläser voller Pinsel und Stifte; im Regal vor ihrem Schreibtisch reihen sich Tassen und Vasen aneinander, viele davon in Designs, die sie selbst entworfen hat.

26.04.2024

gestern

•gestern

Von Anfang an war Astrid Schulz auf die Dekormalerei spezialisiert, auf grafische Muster also. Gar nicht so einfach, muss doch eine Tasse der anderen gleichen, auch wenn sie alle von Hand bemalt werden. „Ich arbeite mit Bändern und Schablonen, vor allem mit Papierstreifen, mit deren Hilfe ich mir Fixpunkte und Abstände auf das Porzellan zeichne“, erklärt Schulz. Je nach Auftrag und Auflage vervielfältigt sie so ihre Dekore, mal auf 20, dann wieder auf 250 Stücke.

Es kann nicht jeder so malen, dass eine Rose nicht wie ein Kohlkopf aussieht.

„Die Dekormalerei war von Anfang an mein Ding“, sagt Schulz, den Dosendeckel in der einen, das Schwämmchen mit der Farbe in der anderen Hand. Größten Respekt aber habe sie für die Kolleginnen und Kollegen in der Blumenmalerei, die als charakteristisch für die Erzeugnisse der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin gilt. „Da muss man die Pflanzen richtig studieren, wie sie aussehen, wie sie wachsen“, so Schulz. „Es kann nicht jeder so malen, dass eine Rose am Ende nicht wie ein Kohlkopf aussieht.“

Sabine Czerkas kann das. Sehr gut sogar – seit 47 Jahren arbeitet sie im Blumenbereich der Malereiwerkstätten. Dementsprechend bietet sich an ihrem Arbeitsplatz ein ähnliches Bild wie bei Astrid Schulz: Flaschen und Tiegel, Pinsel und Stifte, außerdem zahlreiche Bilder von Pflanzen und ein paar tote Insekten, von denen Sabine Czerkas abmalen kann. Und dazwischen: persönliche Erinnerungsstücke, Fotos von ihren Enkeln. „Mit zweieinhalb Jahren hat er neulich sehr filigran acht Ostereier bemalt“, sagt Czerkas stolz und deutet auf eines der Passbilder. „Der hat das Malerei-Gen in sich!“

Czerkas, die ebenfalls aus Spandau kommt, hat seit ihrem Ausbildungsbeginn im Jahr 1977 nie den Bereich gewechselt, ist ihren Blumen immer treu geblieben. Als wir sie an ihrem üppig dekorierten Schreibtisch besuchen, bringt sie gerade Miniatur-Vergissmeinnicht auf eine Berliner Bärenfigur auf. „Der geht später in den Verkauf, unsere Läden ordern immer nach, wenn ein Artikel ausverkauft ist“, sagt sie; hinzu kämen teils beeindruckende Bestellungen von Privatpersonen, auch von Politikern und Prominenten.

Der Sultan von Brunei zum Beispiel habe vor vielen Jahren eine ganze Tafel voll Geschirr bestellt, darunter drei fünfarmige Kerzenleuchter, von denen einer allein damals 25.000 D-Mark gekostet habe. Bill Clinton unterdessen bekam zu seiner Präsidentenzeit einen Porzellanbären im Muster der amerikanischen Flagge geschenkt, auch die Stars und Stripes waren in der Malereiwerkstatt von Hand auf die Porzellanfigur gebracht worden.

Ein bisschen kulturelles Feingefühl gehört zu diesem Beruf schon dazu.

Sabine Czerkas selbst wiederum war vor einigen Jahren für das Bemalen zweier Teller zuständig, die das Land Berlin dem japanischen Kaiserpaar zur Hochzeit schenken wollte. „Ich habe dann herausgefunden, dass weiße Blumen in Japan ein Trauersymbol, also zur Hochzeit völlig unpassend sind. Also habe ich Orchideen in Rosé gemalt“, sagt Czerkas und dreht den Porzellanbären behände hin und her. „Ein bisschen kulturelles Feingefühl gehört zu diesem Beruf dazu“, meint sie.

Apropos Kultur, apropos Feingefühl: Dass die kleinstteilige Arbeit der Meistermalerinnen und Meistermaler der KPM – derzeit sind es rund 40, ausgebildet wird in den Malereiwerkstätten seit einigen Jahren nicht mehr – im Dezember 2016 durch die Unesco-Kommission in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde, macht die Damen und Herren an ihren Malereischreibtischen mächtig stolz. Überhaupt scheint das – der Stolz auf ihr einzigartiges Handwerk – ein dominierendes Gefühl zu sein in der Porzellanmalerei, in der neben den Dekoren und Blumen auch Watteau-Szenen, Landschaften, Figuren und Veduten entstehen.

Wie könnte es auch anders sein: Wer hier arbeitet, in der 1763 gegründeten Manufaktur, in der das Porzellan von Anfang an nicht nur von Hand gefertigt, sondern auch von Hand bemalt wurde, steht in einer ellenlangen Tradition handwerklicher Perfektion. „Es benötigt 29 Arbeitsschritte, die in 14 Arbeitstagen von 25 Manufakturisten ausgeführt werden, um eine weiße Porzellantasse mit dem Anspruch der KPM Berlin zu fertigen“, so heißt es in einem offiziellen Statement des Unternehmens – die stundenintensive Arbeit der Meistermalerinnen und Meistermaler hat da noch gar nicht angefangen.

Doch sich ausruhen auf der imposanten Historie der Firma will man sich bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin nicht. Viel eher sucht das Unternehmen immer neue Wege, seine Traditionen fit für die Zukunft zu machen. Im vergangenen Herbst etwa hatte ausgerechnet die KPM vermeldet, sich künftig auch der digitalen Kunst zu widmen: Zum 260. Geburtstag der Manufaktur wurden zum einen für fünf prächtig bemalte Porzellanobjekte – vier Vasen und ein Kerzenhalter – digitale Zertifikate als NFT erstellt. Zum anderen wurden 260 rein digitale Kunstwerke erschaffen.

Natürlich wäre es ein Traum, wenn einer der Entwürfe in Serie gehen würde.

NFT steht für Non-Fungible Token; die via Blockchain verifizierten und vor Kopie geschützten KPM-Unikate sind je zu einem symbolischen Preis von 260 Euro auf der Plattform objkt.com zu erwerben. „Die Nutzung der NFT-Technologie bei KPM markiert einen Schritt in die Zukunft der Kunst und der Handwerkskunst“, so heißt es von Seiten des Unternehmens. „Bei ihrem Streben nach Qualität hat KPM noch niemals Grenzen gekannt.“

Allerdings führt der Weg in die Zukunft für die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin nicht nur über das Digitale – auch in der überaus physischen Porzellanmalerei, dem Reich von Astrid Schulz und Sabine Czerkas, entstehen längst nicht nur die traditionsreichen Blumendessins und historischen Dekore. Immer wieder arbeitet die KPM auch mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern zusammen. 2017 hatte etwa der Berliner Stefan Marx seine humoristischen Zeichnungen auf das KPM-Porzellan gebracht. Außerdem sollen künftig regelmäßig Artist Residencies stattfinden, Projektwochen sozusagen, in denen sich junge Talente an der Porzellanmalerei versuchen können.

Einen spielerischen Anfang machte die Berlinerin Charlotte Adam. Auch sie sitzt an einem der Schreibtische, als wir die Porzellanmalerei besuchen, zieht hoch konzentriert schmale schwarze Linien auf glatte weiße Flächen. Am Ende wird ein großer Sektkühler im klassischen „Kurland“-Design von ihr gezeichnete, mit zugewandten Gesichtern ausgestattete Eiswürfel tragen. Der Sektkühler ist das letzte Teil von Adams „Ich liebe Dish“-Serie – ein Wortspiel mit dem englischen Begriff „Dish“ für Geschirrstück –, die sie pünktlich zum Gallery Weekend Berlin am Samstag in einer Suite des Hotels Zoo Berlin am Kurfürstendamm ausstellen wird.

„Ich bin mit dem ,Kurland‘-Porzellan aufgewachsen“, sagt Charlotte Adam, ohne vom Sektkühler aufzuschauen. „Meine Mutter sammelt das schon seit vielen Jahren, wohl auch, weil mein Großvater aus Riga stammt und auf dem Gebiet des heutigen Lettlands früher eben das Herzogtum Kurland und Semgallen lag.“ 1769 wurde hier Peter von Biron zum Herzog, in dessen Auftrag die KPM 1790 das legendäre „Kurland“-Service entworfen hatte, das noch heute produziert und verkauft wird.

Mit Frustration war mein Projekt hier eigentlich gar nicht verbunden.

Durch die Malerei Charlotte Adams erfährt der KPM-Klassiker einen charmanten Dreh: Die Berlinerin – ohnehin bekannt für witzreiche Stillleben – hat Würstchen, Gürkchen und Eiswürfelchen auf Schalen, Tassen und Teller gemalt. „Natürlich wäre es ein Traum, wenn einer der Entwürfe in Serie gehen würde“, sagt die Künstlerin; bisher handelt es sich lediglich um kunstreiche Einzelstücke. Das Malen auf dem glatten Porzellan sei natürlich ganz anders gewesen als die Arbeit mit der rauen Leinwand, so Adam. „Aber mit Frustration war mein Projekt eigentlich gar nicht verbunden“, sagt sie. „Vor allem, weil alle hier in der Werkstatt wahnsinnig nett und geduldig sind.“

Eine Sympathie, die offenbar auf Gegenseitigkeit beruht. Astrid Schulz, die zwei Schreibtische weiter sitzt, lächelt jedenfalls milde, als sie Charlotte Adam von der Arbeit in der Porzellanmalerei schwärmen hört. Doch die Meistermalerin kennt auch ganz andere, schwierigere Charaktere. Die italienische Designikone Enzo Mari zum Beispiel, die Anfang der Neunzigerjahre in Zusammenarbeit mit den Werkstätten und dem heutigen KPM-Chefdesigner Thomas Wenzel mehrere Objekte erarbeitet hatte, sei nicht gerade einfach gewesen. „Er war ungefähr einmal im Monat hier und hatte immer seine Dolmetscherin dabei, die zwischendurch die Augen verdreht hat“, sagt Schulz. „Ich glaube, sie hat auch nicht immer alles eins zu eins übersetzt, sondern mancherlei Dinge diplomatischer ausgedrückt.“

Doch Mari hätte großes Interesse gezeigt an der Arbeit der Meistermalerinnen und Meistermaler, hätte ihnen aufmerksam zugesehen, immer ein Stückchen Süßholz im Mundwinkel. Astrid Schulz jedenfalls fühlte sich durch seine Neugierde mit dem „anstrengenden Mann“ Enzo Mari versöhnt; noch heute vervielfältigt sie gern seine Designs – auch das Muster, das sie gerade auf die Porzellandose tupft, stammt von ihm.

Karl Friedrich Schinkel, Gerhard Marcks und Marguerite Friedlaender-Wildenhain, Trude Petri oder eben Enzo Mari – die Liste der Künstlerinnen und Designer, die schon im Auftrag der KPM Objekte, Service oder Dekormuster entwickelt haben, ist lang und hochkarätig. Und doch wissen gerade die distinguiertesten Kundinnen und Kunden der Manufaktur, dass die wahre Kunst auch in den Werkstätten geschieht.

Sabine Czerkas aus der Blumenmalerei führt uns zu einem Regal, auf dem sich üppig bemaltes Geschirr türmt. „Wenn einem Kunden etwas kaputtgegangen ist, dann kann er anrufen und durchgeben, welche Stempel das Porzellanstück untendrunter hat“, erklärt sie; neben dem ikonischen KPM-Logo – dem Zepter aus dem kurfürstlich-brandenburgischen Wappen, hier in royales Blau getüncht – finden sich mehrere andere Embleme auf dem von Hand bemalten Porzellan.

Friedrichshain bis Charlottenburg: Wo traditionelle Maßschneiderei noch lebendig ist

30.03.2024

Friedrichshain putzt sich raus: Wie ein neuer Laden die Frankfurter Allee umkrempelt

21.04.2024

„Kunden können also Einzelteile des Services nachordern und es im gleichen Dekor von derselben Meistermalerin bemalen lassen, sofern sie noch lebt“, sagt Sabine Czerkas und dreht ein filigranes Tässchen um, an dessen Rändern sich kleine Rosen und Veilchen ranken. „Die hier würde zum Beispiel noch leben“, sagt Sabine Czerkas, deutet auf einen Stempel und lacht.

Charlotte Adams Ausstellung zum Gallery Weekend findet am Samstag, 27. April, zwischen 13 und 18 Uhr statt. Zimmer 410, Hotel Zoo Berlin. Kurfürstendamm 25, 10719 Berlin. www.charlotteadam.com

QOSHE - Sterne für Präsidenten, Orchideen für Kaiser: Ein Besuch in der KPM-Porzellanmalerei - Manuel Almeida Vergara
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

Sterne für Präsidenten, Orchideen für Kaiser: Ein Besuch in der KPM-Porzellanmalerei

18 1
28.04.2024

Wer die Malereiwerkstätten der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin betritt, wird erst mal von süßen Düften überrascht. Hier dominieren nicht etwa die scharfen Gerüche von Farben und Lacken oder gar von Terpentin. Stattdessen liegen zarte Noten von Lavendel, Nelken und Anis in der Luft.

„Das liegt an den Ölen, mit denen wir die Pigmente aufspachteln, also die Farben herstellen“, sagt Astrid Schulz und dreht sich auf ihrem knarzenden Bürostuhl herum. Die Meistermalerin deutet auf die Ölfläschchen, die auf Regalen stehen; für größere farbige Flächen zum Beispiel biete sich das sehr fettige Lavendelöl an, das die Farbe schön auseinandertreibt, „und Anisöl ist gut für die feine Federzeichnung, da bleibt jeder Strich ganz akkurat genau so stehen, wie man ihn aufgetragen hat.“

Seit gut 40 Jahren arbeitet Schulz in den Malereiwerkstätten der KPM, schon 1983, mit 16 Jahren, hatte die Spandauerin hier ihre Ausbildung angefangen. Das kann man sehen – nicht nur daran, wie sie konzentriert und zügig ein Kreisdekor auf den Deckel einer Porzellandose tupft. Auch ihr Arbeitsplatz deutet auf eine lange Malereikarriere hin: In den Regalen hinter ihrem Schreibtisch stehen Fläschchen, Döschen und Tiegelchen, auch Gläser voller Pinsel und Stifte; im Regal vor ihrem Schreibtisch reihen sich Tassen und Vasen aneinander, viele davon in Designs, die sie selbst entworfen hat.

26.04.2024

gestern

•gestern

Von Anfang an war Astrid Schulz auf die Dekormalerei spezialisiert, auf grafische Muster also. Gar nicht so einfach, muss doch eine Tasse der anderen gleichen, auch wenn sie alle von Hand bemalt werden. „Ich arbeite mit Bändern und Schablonen, vor allem mit Papierstreifen, mit deren Hilfe ich mir Fixpunkte und Abstände auf das Porzellan zeichne“, erklärt Schulz. Je nach Auftrag und Auflage vervielfältigt sie so ihre Dekore, mal auf 20, dann wieder auf 250 Stücke.

Es kann nicht jeder so malen, dass eine Rose nicht wie ein Kohlkopf aussieht.

„Die Dekormalerei war von Anfang an mein Ding“, sagt Schulz, den Dosendeckel in der einen, das Schwämmchen mit der Farbe in der anderen Hand. Größten Respekt aber habe sie für die Kolleginnen und Kollegen in der Blumenmalerei, die als charakteristisch für die Erzeugnisse der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin gilt. „Da muss man die Pflanzen richtig studieren, wie sie aussehen, wie sie wachsen“, so Schulz. „Es kann nicht jeder so malen, dass eine Rose am Ende nicht wie ein Kohlkopf aussieht.“

Sabine Czerkas kann das. Sehr gut sogar – seit 47 Jahren arbeitet sie im Blumenbereich der Malereiwerkstätten. Dementsprechend bietet sich an ihrem Arbeitsplatz ein ähnliches Bild wie bei Astrid Schulz: Flaschen und Tiegel, Pinsel und Stifte, außerdem zahlreiche Bilder von Pflanzen und ein paar tote Insekten, von denen Sabine Czerkas abmalen kann. Und dazwischen: persönliche Erinnerungsstücke, Fotos von ihren Enkeln. „Mit zweieinhalb Jahren hat er neulich sehr filigran acht Ostereier bemalt“, sagt Czerkas stolz und deutet auf eines der Passbilder. „Der hat das Malerei-Gen in........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play