Zehn Tage Planvorsprung! Das meldete die Berliner Zeitung am 24. März 1974 von der prominentesten Baustelle der DDR. Für den Palast der Republik hatten die Bauarbeiter die letzten der acht mächtigen, 30 Meter hohen Gleitkerne für den Großbau errichtet; am 10. Mai überspannte das erste Deckensegment den Großen Saal, am 18. November feierten Volk und Führung Richtfest.

Das alles ist genau 50 Jahre her, und am kommenden 7. Oktober wäre die DDR 75 Jahre alt geworden. Beide Daten bieten Anlass für die neue Ausstellung des Freundeskreises Palast der Republik. Die 2007 gegründete Bürgerinitiative präsentiert ihre 33. Wanderausstellung, zu sehen ab Anfang Mai im Computerclub, Fischerinsel 10. Die Eröffnung liegt wenige Tage vor der viel größeren, ganz gewiss mehr Aufsehen erregenden Ausstellung, die das Humboldt-Forum (HuF) vom 17. Mai an genau dort zeigt, wo einst der Palast der Republik stand, bis er nach mehr als tausend Tagen Abriss – von Februar 2006 bis Anfang Dezember 2008 – endgültig getilgt war.

Die Stiftung Humboldt-Forum widmet dem verschwundenen Bau in ihrem Programm einen Jahresschwerpunkt. „Hin und weg. Der Palast ist Gegenwart“ wird die von etlichen Veranstaltungen umrahmte Sonderausstellung heißen. Das klingt wie eine kühne Behauptung, weil die Gegenwärtigkeitsbeschwörung aus dem äußerlich wiederhergestellten Barockschloss der Hohenzollern mit Kuppelkreuz und Unterwerfungsschrift kommt.

Um diesen Bau wieder hinzustellen, musste der Volkspalast ja abgerissen werden – und das geschah dem Willen der gesamtdeutschen Volksvertretung folgend. Der Bundestag hatte am 4. Juli 2002 den Wiederaufbau des Schlosses mit 384 zu 133 Stimmen beschlossen. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (beide SPD) gehörten zu den feurigsten Freunden des Barock.

05.04.2024

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Am 13. November 2003 folgte – in die begeistert aufgenommene kulturelle Zwischennutzung des asbestbefreiten Palastgerippes hinein – der Beschluss zum endgültigen Abriss. Das gegenwärtig im Schloss beheimatete Humboldt-Forum mit seinen Ausstellungen der Schätze außereuropäischer Kulturen sowie dem Hauptstadtsegment Berlin Global kämpft seit der Eröffnung Ende 2020 (mit bislang mäßigem Erfolg) um mehr Popularität. Ob der Palast der Republik, also dessen Vergegenwärtigung, dabei helfen kann?

„Wir müssen Schloss und Palast erklären“

31.01.2020

Der heuchlerische Umgang mit der Gläsernen Blume

15.05.2019

Gut möglich, dass ein Ausstellungsstück zu einer Attraktion gerät – ein großes, bedeutendes Erinnerungsstück für wahrscheinlich die meisten der 70 Millionen Besucher, die in den nur 14 Jahren Palast-Betrieb dort Konzerte hörten, tanzten, aßen, die Bowlingkugel schoben, das Theater besuchten oder sich einfach nur im großen Foyer mit seinen gemütlichen roten Ledersofas verabredeten.

Die Gläserne Blume! Es gibt ein Wiedersehen mit der Vermissten. Nicht mit dem vollständigen, wieder hergestellten Kunstwerk, tatsächlich werden nur Fragmente der fünf Tonnen schweren Glas-Stahl-Konstruktion aus dem Depot des Deutschen Historischen Museums hervorgeholt und präsentiert. Kurz vor Beginn des Palastabrisses war das spektakuläre Zentralobjekt des Foyers unsachgemäß abgeräumt worden.

Bei einem Besuch im Depot im Jahr 2022 stand man traurig vor den Einzelteilen; sie sahen nicht gut aus. Der Metallschaft trug beim Abräumen Schäden davon, die transparenten, auf die Blätter aus Industrieglas aufgeklebten zierlichen Ornamente lösten sich ab. Die schichtenweise auf Paletten gestapelten ringförmigen Glassegmente der grünen Mittelkugel schienen intakt.

Seinerzeit hatte es einiger Hartnäckigkeit bedurft, um das in Bundeseigentum befindliche historische Objekt vor Augen zu bekommen. Jetzt gilt das auch für die Öffentlichkeit, wenigstens einige Teile – in welchem beklagenswerten Zustand auch immer – werden im Humboldt-Forum zu sehen sein. Das ist doch ein Anfang: eine Begegnung mit dem Original.

300 Objekte aus dem Palast sollen auf 1300 Quadratmetern Ausstellungsfläche zu sehen sein. Das ist schon eine andere Dimension als die im weitläufigen Schloss verstreuten „Spuren“ zur „Geschichte des Ortes“, mit denen HuF-Besucher bislang abgespeist werden. Dazu gehören das Gemälde „Guten Tag“ von Wolfgang Mattheuer, ein Überwachungsmonitor, Goldrandteller, Metalleisbecher, eine transparente Wahlurne aus der letzten DDR-Volkskammer. Letztere nahm etwa ein Drittel des Palastquaders ein; das Normalpublikum kannte diesen Bereich im Wesentlichen aus dem Fernsehen.

Rudolf Denner, Sprecher des Freundeskreises Palast der Republik, ist mit der jüngeren Entwicklung recht zufrieden: „Wir sind in die Vorbereitung der Ausstellung einbezogen worden, waren an den fünf oder sechs Workshops beteiligt, wurden gehört.“ Hartmut Dorgerloh, den Intendanten des Humboldt-Forums, hat er als zugewandten Partner empfunden. Da an den Workshops überwiegend jüngere Leute ohne eigene Erinnerung an den Palast teilgenommen hätten, seien Vertreter des Freundeskreises in die Rolle der Zeitzeugen geraten.

„Gebaute Qualität wurde ohne Not weggeworfen“

13.09.2020

Auf der Suche nach der Seele Berlins: Vorabdruck aus Maritta Tkalecs neuem Buch „Geschichte Berlins in 60 Objekten“

25.11.2023

2022 hatte Dorgerloh mit einer kleinen Arbeitsgruppe die vom Freundeskreis ausgerichtete 32. Wanderausstellung zum Palast besucht, im Nachbarschaftszentrum RuDi in der Lichtenberger Modersohnstraße. Im Gästebuch hinterließ er einen Eintrag, der von Anerkennung und Respekt zeugt. „Er versteht die Bedeutung der Erinnerung an den Palast“, sagt Rudolf Denner.

Die Ursache der Schwierigkeiten, der DDR-Erinnerung angemessene Präsenz zuzugestehen, sieht er in Spannungen zwischen Hartmut Dorgerloh und Wilhelm von Boddien, dem einflussreichen, konservativen Hohenzollern-Verehrer und Begründer des Fördervereins Berliner Schloss. Boddien beschreibt die Konflikte in seinem Buch „Abenteuer Berliner Schloss“.

Denner spürt durchaus Veränderungen gegenüber der Zeit vor 20 Jahren, als der Palast die offizielle Politik lauthals gegen sich hatte. Tatsächlich hört man bereits seit Jahren von Historikern, Städteplanern oder Politikern: Aus heutiger Sicht würde man den Palast nicht mehr abreißen.

Das vor zehn Jahren formulierte Hauptziel des Freundeskreises sieht Denner mit der kommenden Ausstellung erfüllt: „Eine dem Palast der Republik entsprechende Erinnerungskultur im Humboldt-Forum auf dem Berliner Schlossplatz darstellen und begründen.“ Aber ein Ziel bleibt noch unerreicht: die Aufstellung der Gläsernen Blume.

Vollständig und in ganzer Schönheit. Wenn nicht als saniertes Original, dann als originalgetreue Kopie. Dass eine Rekonstruktion mit modernen Methoden, Materialien und Sicherheitsstandards möglich ist, haben sowohl der Glaskünstler Richard Wilhelm, einer der beiden Schöpfer, wie der Sohn von Reginald Richter, des anderen Urhebers, schon vor Jahren bestätigt.

Der Freundeskreis bleibt dran, realistisch, aber hartnäckig. Ausreden, das Projekt Blume sei zu teuer, akzeptiert er nicht: „Wenn so viel Geld für das Schloss aufgewendet wurde, wird ja wohl ein Nachbau möglich sein – falls das Original nicht restaurierbar sein sollte.“

Und Rudolf Denner hat einen zweiten Wunsch an die Ausstellungsmacher: ein Modell im Maßstab 1:50 vom ganzen Palast. Ohne ein solches, anschauliches Objekt würde – bei allen digitalen Möglichkeiten – Entscheidendes fehlen, sagt Denner. Die eigene neue Ausstellung will man nicht als Gegenprojekt verstanden wissen.

Am 13. April startet im Humboldt-Forum der Programmschwerpunkt Palast mit einer Performance, die die Konturen des abgerissenen Volkshauses nachzeichnen soll. 35 Jahre nach der Wende ist offenbar die Einsicht gereift, dass man Geschichte nicht durch Tilgung ihrer materiellen Zeichen beseitigen kann, vor allem, wenn man sich ihrer gern erinnert.

Die Ausstellung kann ein erster Schritt zur Wiedergutmachung sein – vielleicht zunächst eine Art weiße Salbe auf im Nachwendestress wundgescheuerte Ostseelen. Manch heißes ideologisches Gefecht der ersten Jahre voller DDR-Beseitigungsfurore ist abgekühlt. Vernünftige Beschäftigung scheint möglich. Man ist gespannt, was das Humboldt-Forum zu bieten hat.

QOSHE - „Der Palast der Republik ist Gegenwart“ – wirklich? Hoffen auf die Gläserne Blume - Maritta Adam-Tkalec
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„Der Palast der Republik ist Gegenwart“ – wirklich? Hoffen auf die Gläserne Blume

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07.04.2024

Zehn Tage Planvorsprung! Das meldete die Berliner Zeitung am 24. März 1974 von der prominentesten Baustelle der DDR. Für den Palast der Republik hatten die Bauarbeiter die letzten der acht mächtigen, 30 Meter hohen Gleitkerne für den Großbau errichtet; am 10. Mai überspannte das erste Deckensegment den Großen Saal, am 18. November feierten Volk und Führung Richtfest.

Das alles ist genau 50 Jahre her, und am kommenden 7. Oktober wäre die DDR 75 Jahre alt geworden. Beide Daten bieten Anlass für die neue Ausstellung des Freundeskreises Palast der Republik. Die 2007 gegründete Bürgerinitiative präsentiert ihre 33. Wanderausstellung, zu sehen ab Anfang Mai im Computerclub, Fischerinsel 10. Die Eröffnung liegt wenige Tage vor der viel größeren, ganz gewiss mehr Aufsehen erregenden Ausstellung, die das Humboldt-Forum (HuF) vom 17. Mai an genau dort zeigt, wo einst der Palast der Republik stand, bis er nach mehr als tausend Tagen Abriss – von Februar 2006 bis Anfang Dezember 2008 – endgültig getilgt war.

Die Stiftung Humboldt-Forum widmet dem verschwundenen Bau in ihrem Programm einen Jahresschwerpunkt. „Hin und weg. Der Palast ist Gegenwart“ wird die von etlichen Veranstaltungen umrahmte Sonderausstellung heißen. Das klingt wie eine kühne Behauptung, weil die Gegenwärtigkeitsbeschwörung aus dem äußerlich wiederhergestellten Barockschloss der Hohenzollern mit Kuppelkreuz und Unterwerfungsschrift kommt.

Um diesen Bau wieder hinzustellen, musste der Volkspalast ja abgerissen werden – und das geschah dem Willen der gesamtdeutschen Volksvertretung folgend. Der Bundestag hatte am 4. Juli 2002 den Wiederaufbau des Schlosses mit 384 zu 133 Stimmen beschlossen. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (beide SPD) gehörten zu den feurigsten Freunden des Barock.

05.04.2024

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Am 13. November 2003 folgte – in die begeistert aufgenommene kulturelle Zwischennutzung des asbestbefreiten Palastgerippes hinein – der Beschluss zum........

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