Das Humboldt-Forum unternimmt einen Versuch, den vor 16 Jahren abgerissenen Palast der Republik als Teil der Geschichte des Ortes sichtbar zu machen. Am 17. Mai öffnet die Ausstellung „Hin und weg. Der Palast ist Gegenwart“. Bisher waren eher die vielen Märchen gegenwärtig, die seit dem politisch gewollten Abriss des DDR-Repräsentationsbaus immer wieder neu erzählt wurden. So behauptete zum Beispiel der Architekturkritiker Nikolaus Bernau 2022 in der Berliner Zeitung, die DDR habe „wenig Erfahrung mit dem Bau öffentlicher Gebäude aus Stahl“ gehabt.

Er schrieb auch, der beim Bau des Palastes verwendete Spritzasbest sei in der DDR „ausdrücklich verboten“ gewesen, die DDR habe das „Gesetz für ihren Repräsentationsbau außer Kraft“ gesetzt und so die „Gefahr für Bauarbeiter, Mitarbeiter im Haus und Gäste“ ignoriert.

Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut war als leitender Architekt im Entwurfskollektiv und am Bau des Palastes beteiligt und zuständig für den Mittelteil. In solchen Äußerungen erkennt er Arroganz gegenüber dem Bauwerk und seinen Erbauern. Immer wieder werde „Blödes und Unsinniges“ über das Gebäude und seine Geschichte weitergetragen. Für ihn ist klar: Der Abriss war falsch, es hätte durchaus Alternativen gegeben. Einige Sachinformationen aus berufenem Mund:

Herr Eisentraut, musste der Palast wegen des Asbests dem Abriss anheimfallen? War das der entscheidende Grund?

Keinesfalls. Mit der sogenannten Asbestsanierung, die diesen eben nicht saniert, sondern sorgsam und gründlich entfernt, wurde vor dem Palast-Abriss bewiesen, dass es durchaus möglich war, die gesamte Baukonstruktion asbestfrei zu machen. Keinesfalls blieben, wie behauptet, nur „Zahnstocher“ übrig. Und die Zwischennutzung hat gezeigt, wie neues Leben das Haus erfüllen konnte. Asbest war kein Abrissgrund, bot aber ein willkommenes Argument. Vielmehr führten das gestörte Verhältnis der neuen Bundesrepublik zum übernommenen Erbe der DDR und politische Prämissen zur Abrissentscheidung.

Wie war in der DDR der Umgang mit dem im Palast der Republik verwendeten Spritzasbest geregelt?

Selbstverständlich galten strenge Arbeitsschutzbestimmungen für die Verwendung asbesthaltiger Materialien, insbesondere für Platten, Tafeln und Rohre aus asbestgebundenem Beton, Asbestbeton genannt. Nichts anderes ist Spritzasbest, nur dass der eben erst am Bau als dünne Brandschutzschicht, die mit einem schützenden Überzug versehen wurde, auf die Stahlkonstruktion aufgebracht worden ist. Insofern ist die mitunter verbreitete Darstellung, der Palast hätte aus Asbest bestanden, schlechthin Unfug. Er war auch in keiner Weise verseucht.

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gestern

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Aber das Material ist doch gefährlich und verboten?

Zu Recht, die Gefahr tritt ein, sobald durch Beschädigungen Fasern in die Luft gelangen. Fortschrittsglaube und Unkenntnis führten weltweit zur massenhaften Anwendung, gleichermaßen und gleicher Zeit in West und Ost. Das war technischer Standard – in der DDR jedoch nur eingeschränkt, weil das Material in der Regel nicht verfügbar war. Für den Palast wurde es für teure Devisen aus England importiert. Was das Haus schützen sollte, hat sich als entscheidende Belastung herausgestellt. In der Bundesrepublik fand es zu jener Zeit regelmäßig Anwendung, man denke an die sogenannten Asbestschulen – ein irreführender Begriff – oder an den berühmt-berüchtigten Steglitzer Kreisel in Berlin. Erst 1979 wurde ein Verwendungsverbot erlassen.

Gelegentlich heißt es, in der DDR habe es wenig Erfahrung mit dem Bau öffentlicher Gebäude aus Stahl gegeben.

Stahl war kostbar, weil die Rohstoffe für die Eisenhüttenbetriebe aus dem Ausland beschafft werden mussten. Sehr wohl wurde deshalb Stahlbeton bevorzugt. Aber Stahlkonstruktionen fanden breite Anwendung im Industrie- und Hallenbau, bei Kulturbauten und überhaupt dort, wo es zweckmäßig war. Dazu gab es ein spezielles Metallbaukombinat (MLK), das über Bauaufgaben im Land hinaus Exportleistungen als komplette Baukonstruktionen erbrachte. Dort waren hoch qualifizierte Ingenieure tätig, und gerade beim Palast erfuhr ich eine erbauliche Zusammenarbeit mit solchen.

Aber das Stahlskelett für den Palast war schon überdimensioniert, oder?

Ja, weil die Ingenieure mit Weitsicht kluge Entscheidungen getroffen haben. Der Palast ist in drei Jahren entstanden. Von 1973 bis 1976, Planung und Bau nahezu gleichzeitig. Davon kann man heute nur träumen. Dabei erfolgte die Konzipierung der Einzelheiten und mancher Räume parallel zur Bauausführung, und so haben wir die Träger etwas stärker bemessen, um im weiteren Baufortschritt flexibel zu bleiben. Nur so war es möglich, das anfangs nicht vorgegebene Theater im Palast noch während der Bauphase zu integrieren.

Seinerzeit fand man es im Westen schick, blanke Stahlkonstruktionen als architektonischen Knüller zu zeigen, statt sie zu verbergen. Waren Sie zu feige für das Centre Pompidou?

Keineswegs. Wir hatten diese internationale Architekturströmung, die Konstruktionen und Installationen unverkleidet zum Gestaltungsmittel erhob, durchaus zur Kenntnis genommen. Für den Palast und die erstrebte Festlichkeit hielten wir das aber nicht für das geeignete Mittel. Deshalb waren Marmor, Holz und Textil die Materialien der Wahl. Die beabsichtigte Wirkung ist ja auch eingetreten. Darüber hinaus verlangte die Ensemblewirkung mit dem benachbarten Dom und dem historischen Marstall eine erhabene Erscheinung und verbot aufgeregtes dekonstruktivistisches Design.

Wenn die Leute das Haus betraten und in das große Foyer mit der Gläsernen Blume gelangten, war die freudige und vom Alltag abgehobene Stimmung von den Gesichtern abzulesen. Großes Aaah – das Oh kam erst beim Abriss.

Wie haben sich die Genossen der herrschenden Partei, der SED, in die Palastkonzepte eingemischt?

Nur indirekt. Die Pläne wurden vorgelegt, wie üblich. Es gab aber eine Konsultationsgruppe berufener Architekten, die die Planung begleitet und beeinflusst hat.

Noch einmal zum Asbest: Es war zu lesen, dass Spritzasbest als Mörtel zum Verlegen der Treppenstufen verwendet worden war.

Die repräsentativen Haupttreppen gehörten zu meinem Verantwortungsbereich. Deshalb kann ich Ihnen sagen: Das ist Quatsch. Wer den teuer importierten West-Asbest als Mörtel verwendet hätte, wäre wohl schnell zur Rechenschaft gezogen worden. Vielmehr ist es die Regel, so auch hier, Naturstein mit einem speziellen Trass-Mörtel zu verlegen. Möglich, dass beim Demolieren die Schutzschicht der darunterliegenden Stahlkonstruktion beschädigt wurde. Oder man hat eben etwas falsch verstanden.

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Sie argumentierten seinerzeit gegen den Abriss des Palastes. Wie hätten Sie sich eine neue Lösung vorgestellt?

Aus dem Rohbau ein neues Haus in neuer stadträumlicher Konstellation machen – keine heile Welt von gestern, sondern neu und modern. Mit vielerlei öffentlichen Nutzungsmöglichkeiten, als Kongress- und Veranstaltungshaus, als kulturelle Begegnungsstätte. Gaststätten gehören unbedingt dazu. Heute hat Berlin kein brauchbares Kongresszentrum, und die Gegend ist gastronomische Wüste. Da hilft auch kein abgehobenes Restaurant auf dem Schlossdach. Zu den ehemaligen Palastgaststätten hält sich immer noch das Gerücht billiger Massenverkostung, doch die Restaurants repräsentierten durchaus hochwertige Gastronomie, wenn es auch in der DDR keine elitären Gastro-Etablissements gab, erst recht nicht im Haus des Volkes.

Auch die Technik des Großen Saales wurde bestaunt.

Nicht ohne Grund. Der Große Saal war der innovativste Teil des Hauses. Raumgeometrie und Saaltechnik in ihrer gegenseitigen Bedingtheit waren einmalig. Zu behaupten, die Technik sei unflexibel gewesen, zeugt von Unkenntnis – der Witz bestand ja gerade in der Flexibilität. Innerhalb von 20 Minuten, quasi in einer Pause, konnte der Saal per Knopfdruck von der Arenaversion mit Sesselreihen in einen Tanzsaal mit ebenem Parkett verwandelt werden. Gleichsam zwei Säle in einem. Diese Technik wäre bei sorgsamem Umgang zu erhalten gewesen.

Was hätten Sie für die Fläche des Riesenparkplatzes vor dem Palast vorgesehen?

Ich durfte in der Schlossplatzkommission 2002 vortragen, die über das Schicksal des Areals entscheiden sollte, gewissermaßen als Alibi-Ossi. Dort habe ich für den toten Platz einen Neubau vorgeschlagen, in Koexistenz vor dem Palast, diesen damit stadträumlich relativierend. Vor dem Palast hätte es eine Piazzetta neuen Maßstabs gegeben, die sich zum Lustgarten öffnet, und an der Stelle, wo Schlossarchitekt Andreas Schlüter 1702 einen Münzturm errichten wollte, wollte ich ein turmartiges Museum für Schloss und Schlüter unter Einbeziehung erhaltener Originale. Aber ich merkte schon während meines Vortrags, dass man vorher wusste, was man wollte – und was nicht.

Schlüters Turm war eingestürzt, mein Vorschlag wurde nicht beachtet. Aber ich habe ihn ausführlich in meinem Buch „Zweifach war des Bauens Lust“ dokumentiert. Dort gibt es auch sehr persönliche Ausführungen zur Entwurfsarbeit für den Palast und zu dessen Errichtung.

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Warum kam dann der Abriss des Rohbaus?

Für Traditionalisten war der moderne Bau ein Graus. Und die Abrissgegner waren trotz permanenter öffentlicher Argumentation schwach – drei kleine Initiativen. Kann sein, dass manche den Bau als Machtdemonstration der Partei- und Staatsführung verstanden. Im Prinzip waren die Palastbefürworter in der Defensive. Die Schlossfreunde hatten 15 Jahre lang für ihre Idee gestritten, aber man wusste nicht, wofür das Gebäude dienen sollte. Und dann kam die rettende Idee, die Sammlung außereuropäischer Kulturen in die Stadtmitte zu holen.

Für die Sanierung der Dahlemer Museen war kein Geld da – aber fürs Schloss! Plötzlich schien dort eine „seriöse Nutzung“ möglich. Keine schlechte Idee, aber auch nicht gut. Das war aber nur ein vordergründiger Zusammenhang. Es ging um mehr, um einen exemplarischen Kampf der Kulturen, um Geschichtskorrektur und auch um reaktionäre Kunstauffassungen sowie Misstrauen gegenüber zeitgemäßer Architektur. Nicht zuletzt auch um Machtdemonstration, ähnlich wie einst die Oberen der DDR die Ruine des Stadtschlosses abreißen ließen.

Wie werten Sie den Rohbau-Abriss unter finanziellen und Umweltaspekten?

Wenn bei einem Bauvorhaben der Rohbau steht, feiert man Richtfest, dann sind 50 Prozent der Arbeit geleistet. Danach kommt nur noch der Ausbau. In diesem Fall aber wurde nach der Asbestsanierung ein funktionstüchtiger Rohbau ohne Not weggeworfen, brauchbare Substanz mit einem Wiederbeschaffungswert von etwa 500 Millionen Euro vernichtet. Schon aus Umweltschutzgründen war der Abriss ein Frevel – wie viel Energie für Gewinnung von Erz, Kalkstein und Kies, die Herstellung von Stahl, Zement und Beton sowie für Transporte und Montage für den Bau aufgewendet worden ist.

Und nicht nur das. Hinzu kommen die mit dem Abriss verbundenen Belastungen und schließlich noch einmal mindestens die gleiche Menge für den Schlossbau, diesmal überwiegend im massiven Beton. Alles Prozesse mit höchstem Emissionsausstoß. Vielleicht hätte man allein deshalb, mit Blick auf die klimatischen Auswirkungen, anders entscheiden müssen.

Neuerdings wird der Abriss bedauert.

Da kommen mir die Tränen ob solcher verspäteter Einsicht. Es war tatsächlich eine kulturgeschichtliche und umweltpolitische Fehlentscheidung, auch in städtebaulichem und stadtfunktionellem Zusammenhang. Heute muss man aus historischer Sicht sagen: Die obsiegende Gesellschaft hat ein Kulturgut der Verlierer vernichtet. Der Abriss war von Anfang an politisch gewollt, der Wille schon weit vor dem Bundestagsbeschluss zum Wiederaufbau des Schlosses manifestiert. Aber das ist alles nun Geschichte. Zum Asbest ist wohl genug gesagt, und ich befasse mich lieber mit der Gegenwart.

Interview: Maritta Tkalec

QOSHE - Architekt Eisentraut: Viel „Blödes und Unsinniges“ über den Palast der Republik - Maritta Adam-Tkalec
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Architekt Eisentraut: Viel „Blödes und Unsinniges“ über den Palast der Republik

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07.05.2024

Das Humboldt-Forum unternimmt einen Versuch, den vor 16 Jahren abgerissenen Palast der Republik als Teil der Geschichte des Ortes sichtbar zu machen. Am 17. Mai öffnet die Ausstellung „Hin und weg. Der Palast ist Gegenwart“. Bisher waren eher die vielen Märchen gegenwärtig, die seit dem politisch gewollten Abriss des DDR-Repräsentationsbaus immer wieder neu erzählt wurden. So behauptete zum Beispiel der Architekturkritiker Nikolaus Bernau 2022 in der Berliner Zeitung, die DDR habe „wenig Erfahrung mit dem Bau öffentlicher Gebäude aus Stahl“ gehabt.

Er schrieb auch, der beim Bau des Palastes verwendete Spritzasbest sei in der DDR „ausdrücklich verboten“ gewesen, die DDR habe das „Gesetz für ihren Repräsentationsbau außer Kraft“ gesetzt und so die „Gefahr für Bauarbeiter, Mitarbeiter im Haus und Gäste“ ignoriert.

Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut war als leitender Architekt im Entwurfskollektiv und am Bau des Palastes beteiligt und zuständig für den Mittelteil. In solchen Äußerungen erkennt er Arroganz gegenüber dem Bauwerk und seinen Erbauern. Immer wieder werde „Blödes und Unsinniges“ über das Gebäude und seine Geschichte weitergetragen. Für ihn ist klar: Der Abriss war falsch, es hätte durchaus Alternativen gegeben. Einige Sachinformationen aus berufenem Mund:

Herr Eisentraut, musste der Palast wegen des Asbests dem Abriss anheimfallen? War das der entscheidende Grund?

Keinesfalls. Mit der sogenannten Asbestsanierung, die diesen eben nicht saniert, sondern sorgsam und gründlich entfernt, wurde vor dem Palast-Abriss bewiesen, dass es durchaus möglich war, die gesamte Baukonstruktion asbestfrei zu machen. Keinesfalls blieben, wie behauptet, nur „Zahnstocher“ übrig. Und die Zwischennutzung hat gezeigt, wie neues Leben das Haus erfüllen konnte. Asbest war kein Abrissgrund, bot aber ein willkommenes Argument. Vielmehr führten das gestörte Verhältnis der neuen Bundesrepublik zum übernommenen Erbe der DDR und politische Prämissen zur Abrissentscheidung.

Wie war in der DDR der Umgang mit dem im Palast der Republik verwendeten Spritzasbest geregelt?

Selbstverständlich galten strenge Arbeitsschutzbestimmungen für die Verwendung asbesthaltiger Materialien, insbesondere für Platten, Tafeln und Rohre aus asbestgebundenem Beton, Asbestbeton genannt. Nichts anderes ist Spritzasbest, nur dass der eben erst am Bau als dünne Brandschutzschicht, die mit einem schützenden Überzug versehen wurde, auf die Stahlkonstruktion aufgebracht worden ist. Insofern ist die mitunter verbreitete Darstellung, der Palast hätte aus Asbest bestanden, schlechthin Unfug. Er war auch in keiner Weise verseucht.

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Aber das Material ist doch gefährlich und verboten?

Zu Recht, die Gefahr tritt ein, sobald durch Beschädigungen Fasern in die Luft gelangen. Fortschrittsglaube und Unkenntnis führten weltweit zur massenhaften Anwendung, gleichermaßen und gleicher Zeit in West und Ost. Das war technischer Standard – in der DDR jedoch........

© Berliner Zeitung


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