Seit mehr als 60 Jahren prägt das Kino International nicht nur Berlins Stadtlandschaft, sondern auch die Filmwelt – als Spielstätte für Premieren und viele Berlinale-Vorführungen, aber auch als Drehort: Der ikonische Bau mit den Panoramafenstern ist etwa in der Netflix-Erfolgsserie „The Queen’s Gambit“ zu sehen. An diesem Montag geht im Kino International der imposante Vorhang vorerst zum letzten Mal auf. Auf dem Programm dieses letzten Spieltages stehen das kürzlich mit der Goldenen Lola ausgezeichnete Drama „Sterben“ sowie der Boomer-Kultfilm „Dirty Dancing“ von 1987. Dazu kommt um 22 Uhr ein wahres Juwel der Filmgeschichte: George Cukors „Die Frauen“ von 1939, mit Joan Crawford in Bestform und Dialogen, an denen Anita Loos und Scott F. Fitzgerald mitschrieben.

Nach dem 13. Mai muss der von Josef Kaiser entworfene DDR-Prachtbau mindestens zwei Jahre für Generalsanierungsarbeiten geschlossen bleiben – „80 Prozent der technischen Anlagen werden erneuert; jedes Kabel und jeder Heizkörper im Gebäude werden ausgetauscht“. Um das Erscheinungsbild des International muss sich niemand sorgen – alle baulichen und dekorativen Besonderheiten (die Glasperlenlüster!) bleiben bei der denkmalschutzgerechten Sanierung erhalten.

In seinem über 60-jährigen Bestehen wurde das Kino Zeuge vieler (kulturhistorischer) Ereignisse. Einige verbinden auch die Autorinnen und Autoren der Berliner Zeitung mit diesem Ort. Zeit für einen individuellen Rückblick auf das Kino International als Erlebniswelt.

Schon das Betreten des International ist großes Kino. Eine Decke aus strahlenden Sternen funkelt den Kinofreunden entgegen, wenn sie durch die großen gläsernen Eingangstüren gehen. In schöner Erwartung auf das Filmerlebnis schreiten Filmfreunde sodann eine großzügige Treppe hinauf, die ein Gefühl von rotem Teppich vermittelt, um im repräsentativen, weiträumigen Kinofoyer zu landen. Und so eines gibt es nicht noch einmal.

Was für ein Blick durch das 35 Meter lange Panoramafenster auf das Café Moskau, den Fernsehturm und andere Bauten der Ostmoderne in der Karl-Marx-Allee. Die Wände mit Holzstabverkleidung (Kirschbaumfurnier!), das Parkett und das Mobiliar (die roten Polstersessel!) waren schon bald nach der Eröffnung des Hauses berühmt. Wie oft wohl das Foyer selber zum Schauplatz von Film- und Fotoaufnahmen wurde? Die schon von den Erbauern vorgesehene Fläche aus bunten Glasquadraten, vor die die Panoramabar platziert wurde, haben die Betreiber über die Zeiten gerettet.

Und dann der große Saal mit Wellendach. Der optische Höhepunkt schon vor Beginn der Vorstellung: der Silberglitzervorhang. Was für eine Szenerie!

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Die DDR-Kinogestalter liefen bei der Errichtung und Ausstattung des leicht-luftig-funktional gestalteten International zu Bestform auf. Ungezählte Besucher haben es ihnen gedankt. Jetzt müssen wir lange, lange darauf verzichten. Doch die Kinobetreiber haben versprochen: Alles wird so schön, wie es war. Einschließlich Patina. Maritta Adam-Tkalec

Es gibt Kinofilme, die habe ich am nächsten Morgen glatt wieder vergessen, ich muss dann eine Weile überlegen, was wir geschaut haben. Es ist wie bei allem: In Erinnerung bleiben nur jene Dinge, bei denen die Gefühle so richtig involviert sind: die Freude, die Wut, das Erstaunen, die Trauer, die Angst. Bei sechs meiner zehn liebsten Filme weiß ich hingegen noch, in welchem Kino ich sie gesehen habe. Das will was heißen, denn ich gehe nicht immer ins selbe Lichtspielhaus.

In dieser Liste spielt das Kino International – dieser ganz besondere Bau – eine spezielle Rolle. Denn ich weiß noch, dass unsere kleine Dienstagskinorunde dort war, als wir bei einem Film zwei völlig gegensätzliche Dinge erlebten: Es war der beste Moment des Filmjahres, der sich dann zum traurigsten entwickelte.

Januar 2007, der erste Dienstag, an dem wir wieder ins Kino gingen. Wir hatten uns einen Film ausgesucht, über den wir extra nicht viel gelesen hatten, in den wir aber ein paar Hoffnungen setzten: „Babel“. Nach dem Ende des Films traten wir vor das Kino, standen im kalten Wind der Karl-Marx-Allee und schwiegen. Wir waren so begeistert, dass wir dieses Mal nicht wie sonst alle durcheinanderplapperten. Dann fiel der entscheidende Satz: „Das ist der Film des Jahres, und das schon Anfang Januar.“ Tatsächlich sahen wir dies auch am Ende des Jahres noch so. Wenn ich an „Babel“ denke, stehe ich frierend vor dem International und bin glücklich.

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Es war reiner Zufall, dass dieses Kino an diesem Tag der perfekte Ort für diesen tollen Film war. Viel wichtiger am International ist aber, dass dieses Kino immer der perfekte Ort ist, auch wenn ein Film mal schlecht ist. Die meisten anderen Kinos sind fensterlose, geschlossene Kästen: Gänge, Treppen, Türen, Kinosäle. Nicht so das International: Zur Straße hin sind diese riesigen Fenster.

Ein Freund lud uns mal zu einem seiner uralten Lieblingsfilme ein, es lief eine ganz besonders lange Fassung dieses Klassikers. Ich verrate hier nicht den Titel, weil es ein Kultfilm ist, aber er langweilte mich, sogar sehr. Also verschwand ich irgendwann zur Toilette. Danach holte ich mir an der Bar ein Bier, setzte mich an das vielleicht größte Schaufenster zur Welt in dieser Stadt und beobachtete das abendliche Berlin. Das war schön, viel schöner als der Rest des Films. Jens Blankennagel

Der elegante Baukörper dieses Betonschachtelkinos sieht aus wie ein Diabetrachter in Groß. Weiß noch jemand, was ein Dia ist? Ein Stück Positivfilm, das man entweder an die Wand projiziert oder eben in ein kleines beleuchtetes Kästchen einspannt, um es auf einem Monitor anzusehen. Beim Kino International ist die Leinwand für die Filme kleiner als die Glaswand, durch die man hinaus in die Realität blickt. Da kann es schon mal passieren, dass man Fiktion und Wirklichkeit verwechselt.

1989, und zwar am 9. November, einem Donnerstagabend, war in diesem Kino die Premiere von Heiner Carows „Coming Out“ angesetzt: ein Film über schwules Leben in der DDR. Der Film zeichnet sich durch eine realistische Erzählweise aus, er zeigt sogar, was es eigentlich nicht geben sollte: Skinheads in der Ost-Berliner S-Bahn, ungeschönte Blicke in Wohnungen, Schwulenbars und in eine Schule, von der gleich die Rede ist. Die Kinogäste traten an jenem Abend hinaus in eine Welt, die sich im Vergleich mit der Filmerzählung deutlich dramatischer und dem nüchternen Betrachter als zutiefst unglaubwürdig zeigte: Es war die Nacht des Mauerfalls.

Ich war leider nicht dabei, ich trieb mich in jenen Tagen ohnehin wenig im Kino herum, weil das Leben selbst viel zu spannend war. Aber „Coming Out“ sah ich kurz danach doch, fühlte ich mich doch ein bisschen an seiner Welt beteiligt. Einige Statisten kannte ich, sie waren meine Mitschüler an der EOS Carl von Ossietzky.

Nach einem Eingabeverfahren hatte ich dort trotz meiner gesellschaftlichen Unreife einen Platz bekommen und ging seit dem Sommer in die elfte Klasse. In den Räumlichkeiten der Schule, wo die Dreharbeiten stattfanden, klebte noch recht frisch die peinliche Geschichte vom Vorjahr: Man hatte Schüler rausgeschmissen, weil sie ihre Meinung gesagt hatten. Ich erkannte die Räume wieder, als ich sie im Film sah, aber da gehörten sie schon zu einer anderen Realität. Ein kleiner Teil in mir wartet noch heute, dass der Abspann kommt und das Licht im Saal angeht – oder dass ich vorher rausgeworfen werde. Ulrich Seidler

Als Mitte-Kind bin ich eigentlich immer ins Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz oder ins Colosseum in der Schönhauser Allee gegangen. Im Babylon hab ich an der Hand meines Vaters alle Teile der „Olsenbande“ gesehen und im Colosseum bestimmt viermal die „BMX-Bandits“, ein australischer Film mit der sehr jungen Nicole Kidman. Manchmal ist meine Mutter mit mir auch ins Kino International gegangen. Dort wurden die guten Defa-Kinderfilme gezeigt. Ich erinnere mich an „Blauvogel“, einen Film aus dem Jahr 1978.

Zum Kino International ist mir besonders die Wiederaufnahme des in der DDR lange verbotenen Spielfilms „Spur der Steine“ in Erinnerung geblieben. Egon Krenz war da und der Hauptdarsteller Manfred Krug, mein Onkel. Richtig großer Bahnhof. Roter Teppich und Blitzlichtgewitter. Es muss in diesem verrückten Herbst 1989 gewesen sein, als die Mauer fiel. Wikipedia sagt: Oktober 1989, also sogar noch vor dem Mauerfall. Da war ich gerade elf Jahre alt geworden. Für mich war es auch deshalb ein besonderer Moment, da ich meinen Onkel Manfred das erste Mal persönlich treffen konnte. Er war ein Jahr vor meiner Geburt in den Westen gegangen. Ich kannte ihn nur aus Erzählungen und natürlich aus dem Fernsehen: „Auf Achse“, „Liebling Kreuzberg“, „Tatort“. Und seine Platten, die mag ich heute noch. Im Blitzlichtgewitter wurden wir einander vorgestellt. Das war sehr aufregend. Ida Krenzlin

Das Kino International soll nach zwei Jahren Renovierung wieder geöffnet werden; seine Firma hingegen wird für immer schließen: Michael Werner ist der letzte Kinoplakatzeichner der Stadt Berlin. Nun muss er – auch wegen der zweijährigen Baupause im Kino International – seine Firma dichtmachen. Das Kino an der Karl-Marx-Allee war nun mal einer der Hauptkunden der Firma. Werners Werke gehören zum ikonischen Äußeren dieses Kinos genauso wie dessen markante Glasfront.

In Werners Atelier in Reinickendorf wurde den Kinoplakaten jahrzehntelang ein bisschen mehr Leben eingehaucht. Die Kinoplakate wurden tatsächlich mit Pinsel und Farbe auf die großen Leinwände gemalt. Dazu wird das Originalbild mit einem Projektor auf die Leinwand geworfen, die groben Umrisse mit Kohlestrichen gezeichnet, und dann kommen die Feinarbeit und die Farben. Die Motive waren dieselben wie auf den üblichen gedruckten Plakaten, aber die handgepinselten Riesenbilder verleihen den Lichtspielhäusern einen ganz anderen Charme, wirken glamouröser.

Die Aufträge seien mit den Jahren immer weiter zurückgegangen, erzählt Werner am Telefon. In Spitzenzeiten gab es für ihn etwa 80 Aufträge pro Monat, damals kostete ein Plakat etwa 2000 Euro. Zuletzt hat er nur noch für eine Handvoll Berliner Kinos Filmplakate gemalt, unter anderem auch für den Delphi Filmpalast in Charlottenburg. Durch die zweijährige Baupause im International habe er nicht mehr genug Aufträge. Es lohne sich einfach nicht mehr, sagt er. Seit 1945 werden in seiner Firma Plakate für Berliner Kinos gestaltet. Sein Vater gründete die Firma. Er selbst fing dort als Schriftenzeichner an, dann studierte er noch Grafikdesign beim renommierten Lette-Verein. Er übernahm die Firma 1996. Zu Bestzeiten arbeiteten bis zu 20 Maler dort. Nun, knapp 80 Jahre nach der Gründung, ist Schluss.

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Eigentlich wollten wir mit ihm noch eine große Geschichte über seine Firma und diese ganz spezielle Tradition machen. Doch als wir ihn am Telefon erreichen, ist es bereits zu spät. Er sagt, dass er sein Atelier in Reinickendorf bereits ausgeräumt habe. Die Plakate, die Farben, alles ist schon weg. Nicht mal ein Tisch steht mehr dort. Michael Werner ist über 70 Jahre alt. Für ihn geht es nun in den wohlverdienten Ruhestand. Und für Berlin ein Stück Kinokultur zu Ende. Kevin Gensheimer

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Architektur als Erlebnis: Warum uns das Kino International so fehlen wird

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13.05.2024

Seit mehr als 60 Jahren prägt das Kino International nicht nur Berlins Stadtlandschaft, sondern auch die Filmwelt – als Spielstätte für Premieren und viele Berlinale-Vorführungen, aber auch als Drehort: Der ikonische Bau mit den Panoramafenstern ist etwa in der Netflix-Erfolgsserie „The Queen’s Gambit“ zu sehen. An diesem Montag geht im Kino International der imposante Vorhang vorerst zum letzten Mal auf. Auf dem Programm dieses letzten Spieltages stehen das kürzlich mit der Goldenen Lola ausgezeichnete Drama „Sterben“ sowie der Boomer-Kultfilm „Dirty Dancing“ von 1987. Dazu kommt um 22 Uhr ein wahres Juwel der Filmgeschichte: George Cukors „Die Frauen“ von 1939, mit Joan Crawford in Bestform und Dialogen, an denen Anita Loos und Scott F. Fitzgerald mitschrieben.

Nach dem 13. Mai muss der von Josef Kaiser entworfene DDR-Prachtbau mindestens zwei Jahre für Generalsanierungsarbeiten geschlossen bleiben – „80 Prozent der technischen Anlagen werden erneuert; jedes Kabel und jeder Heizkörper im Gebäude werden ausgetauscht“. Um das Erscheinungsbild des International muss sich niemand sorgen – alle baulichen und dekorativen Besonderheiten (die Glasperlenlüster!) bleiben bei der denkmalschutzgerechten Sanierung erhalten.

In seinem über 60-jährigen Bestehen wurde das Kino Zeuge vieler (kulturhistorischer) Ereignisse. Einige verbinden auch die Autorinnen und Autoren der Berliner Zeitung mit diesem Ort. Zeit für einen individuellen Rückblick auf das Kino International als Erlebniswelt.

Schon das Betreten des International ist großes Kino. Eine Decke aus strahlenden Sternen funkelt den Kinofreunden entgegen, wenn sie durch die großen gläsernen Eingangstüren gehen. In schöner Erwartung auf das Filmerlebnis schreiten Filmfreunde sodann eine großzügige Treppe hinauf, die ein Gefühl von rotem Teppich vermittelt, um im repräsentativen, weiträumigen Kinofoyer zu landen. Und so eines gibt es nicht noch einmal.

Was für ein Blick durch das 35 Meter lange Panoramafenster auf das Café Moskau, den Fernsehturm und andere Bauten der Ostmoderne in der Karl-Marx-Allee. Die Wände mit Holzstabverkleidung (Kirschbaumfurnier!), das Parkett und das Mobiliar (die roten Polstersessel!) waren schon bald nach der Eröffnung des Hauses berühmt. Wie oft wohl das Foyer selber zum Schauplatz von Film- und Fotoaufnahmen wurde? Die schon von den Erbauern vorgesehene Fläche aus bunten Glasquadraten, vor die die Panoramabar platziert wurde, haben die Betreiber über die Zeiten gerettet.

Und dann der große Saal mit Wellendach. Der optische Höhepunkt schon vor Beginn der Vorstellung: der Silberglitzervorhang. Was für eine Szenerie!

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Die DDR-Kinogestalter liefen bei der Errichtung und Ausstattung des leicht-luftig-funktional gestalteten International zu Bestform........

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