In dieser Woche der Frauenrechte feierte die französische Nationalversammlung eine Sternstunde: Mit 780 Ja- gegen 72 Nein-Stimmen nahmen die Abgeordneten die „Freiheit zur Abtreibung“ in die Verfassung auf und sicherten damit das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen ewig drohende Zugriffe.

Mehr als 80 Prozent der Franzosen wollten das. Der Jubel war riesig. Vom Eiffelturm leuchteten die Worte: „Mein Körper, meine Entscheidung“. Frankreich geht diesen Schritt als erstes Land der Welt. Ein historisches Ereignis.

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Die französische Regel lautet: Schwangere können bis zur 14. Woche abtreiben, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. In Deutschland ist laut Paragraf 218 Strafgesetzbuch ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar. Ausnahmen erlaubt die Beratungsregel (§ 218a Abs. 1) oder der Nachweis einer medizinischen oder kriminologischen Indikation. Das heißt, wenn die Frau nach Vergewaltigung schwanger ist oder eine Gefahr für Leben und Gesundheit droht.

06.03.2024

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Hier also die unmündige Frau, der nicht zugetraut wird, über ihren Körper und ihr Leben zu bestimmen. Dort die umfassende Anerkennung der Frau als vernunftbegabtes, zu selbstständigen Entscheidungen befähigtes Wesen. Unfassbar.

Frauen, die bis 1990 in der DDR lebten, erinnern sich an das Gefühl der Freiheit und Sicherheit, das ihnen ein am 9. März 1972 von der Volkskammer beschlossenes Gesetz gab. Ausgehend von der Gleichberechtigung in Ausbildung und Beruf, Ehe und Familie soll die Frau über Schwangerschaft und deren Austragung selbst entscheiden, hieß es da. Abtreibung war erlaubt innerhalb der ersten zwölf Wochen „durch einen ärztlichen Eingriff in einer geburtshilflich-gynäkologischen Einrichtung“. Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger sagte in seiner Gesetzesbegründung: „Die Frauen der DDR werden von dem ihnen übertragenen Recht verantwortungsbewusst Gebrauch machen.“

Nebenbei: Die Pille gab es in der DDR seit 1965 – kostenfrei und ohne Auflagen. Meine Eltern schickten mich zum Gynäkologen, als sie bemerkten, dass die Jugendliebe ernster wurde. Das Verhütungsmittel hieß „Wunschkindpille“. Im Westen machte schon der Name „Antibabypille“ ein schlechtes Gewissen. Es gab sie seit 1961, aber nur für verheiratete Frauen mit mehreren Kindern. Erst die 1970er brachten erleichterten Zugang.

Als der Beitritt zur BRD das DDR-Recht kassierte, kam die überwundene Gängelei zurück. Die Hoffnungen von West-Frauen, mit der Vereinigung könnten auch sie mehr Freiheit gewinnen, zerschlugen sich. Leider gehört das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper nicht zu den Prioritäten des Feminismus westdeutscher Prägung oder der Genderbewegten. Mit Sprachakrobatik weichen sie der harten Arbeit an den realen Missständen aus.

Kein Wunder, dass die hartnäckige Sächsin Susanne Dumas 2023 den schönsten Erfolg für Frauenrechte erstritt: Sie klagte auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit; das Bundesarbeitsgericht gab ihr recht. Ihre Botschaft an die Frauen: Lasst Euch nicht die Butter vom Brot nehmen! Zur Massenbewegung wurde das nicht, die Gewerkschaften mauern wie eh und je, die Frauentagsparolen zum Gender Pay Gap klingen hohl.

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Immerhin: Man sieht Regierungschefinnen in Italien, Dänemark, Island, Finnland, Estland, Litauen. Es gibt die EU-Kommissionsvorsitzende, Ministerpräsidentinnen, Parteivorsitzende, Ministerinnen. Nicht alle überzeugen durch Leistung; der Aufwand für schönen Schein steht nicht immer im Verhältnis zum Arbeitsergebnis. Rechte Frauen wie Alice Weidel, Birgit Bessin oder Kristin Brinker passen zwar nicht in feministische Fabelbilder, aber Frauenpower kann man ihnen schwer absprechen, auch wenn die AfD die deutsche Frau am liebsten als Produzentin von arischem Nachwuchs sieht. Die Partei will das Abtreibungsrecht einschränken – so wie es in den USA 2022 geschah und 2021 im PiS-Polen.

In Deutschland arbeiten die Regierungsparteien daran, per Grundgesetzänderung die Kontrollinstanz Verfassungsgericht vor dem Einfluss extremer Parteien zu schützen. Das Selbstbestimmungsrecht für Frauen ebenso absichern? In diesem Punkt bleibt Deutschland illiberal. Deshalb: Die Freiheit zu Abtreibung gehört in die EU-Grundrechtecharta.

QOSHE - Frauen ohne Grundrecht: Straffreie Abtreibung in Deutschland noch fern - Maritta Adam-Tkalec
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Frauen ohne Grundrecht: Straffreie Abtreibung in Deutschland noch fern

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08.03.2024

In dieser Woche der Frauenrechte feierte die französische Nationalversammlung eine Sternstunde: Mit 780 Ja- gegen 72 Nein-Stimmen nahmen die Abgeordneten die „Freiheit zur Abtreibung“ in die Verfassung auf und sicherten damit das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen ewig drohende Zugriffe.

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© Berliner Zeitung


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