„Boxerloot!“ hieß die Tagung, die – aus deutscher Sicht – ungezählte Peinlichkeiten zur Sprache brachte: Plünderung, Raub, Gier, Hehlerei verübt in China um 1900 nicht nur von Militärs, sondern auch von Diplomaten und deren Gattinnen, Missionarinnen und Missionaren, Geschäftsleuten, Museumsmitarbeitern. Sie verschacherten riesige Mengen an Porzellan, rituellen Objekten, Waffen, Gemälden, Büchern, Alltagsgegenständen. Die wertvollen Dinge waren kaiserlichen Palästen, Gräbern, Tempeln, Geschäften und Privathaushalten entnommen worden.

Von 1898 bis 1914 nannte das deutsche Kaiserreich die Kolonie Kiautschou mit der Hauptstadt Tsingtao sein eigen. 1900 war ein Aufstand der chinesischen Bewegung der „Fäuste für Gerechtigkeit und Harmonie“ gegen die ausländische Expansion ausgebrochen. Truppen von acht Kolonialmächten – neben Deutschland Japan, Großbritannien, Russland, Italien, Frankreich, Italien und Österreich – schlugen ihn nieder.

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Aus deutscher Kolonie in deutsche Museen: Beute, Tausch, Geschenk?

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Augenzeugen berichteten, dass die deutschen, russischen und japanischen Truppen besonders rücksichtslos vorgingen, bereit waren, Chinesen jeden Alters und jeder Herkunft willkürlich hinzurichten und zum Teil ganze Dörfer niederzubrennen. Kaiser Wilhelm II. war als Anstifter aufgetreten: „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht“, hatte er seinen Truppen in der „Hunnenrede“ mit auf den Weg gegeben.

Die in traditioneller Kampfkunst geübten Aufständischen bekamen von den christlichen Missionaren den Namen „Boxer“ angehängt. Seither ist von Boxeraufstand die Rede und von Boxerloots, den Plünderungen im Zusammenhang mit der Niederschlagung des Aufstandes. 100.000 Menschen kamen dabei ums Leben; in deutschen Schulbüchern spielt das kaum eine Rolle. In China gilt die Zeit der Fremdherrschaft als eine Epoche der Demütigungen, die zwar jedes Schulkind kennt, aber viel Propagandagewese wird darum nicht gemacht. Großbritannien räumte seine Kolonie Hongkong erst 1957 nach 156 Jahren Kolonialherrschaft.

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23.02.2024

In Kiautschou beflügelten die Plünderungen einen florierender Handel mit Raubgut, der die Beteiligten glücklich machte; daheim erlangte manche Familie ein Stück echtes China-Porzellan als Souvenir für die Wohnzimmervitrine. Vor aber allem aber kamen Museen in der Folge an wahre Preziosen.

Der Workshop zum Thema „Boxerloot“ fand statt auf Initiative der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK). SPK-Präsident Hermann Parzinger formulierte zur Eröffnung als Aufgabe, man wolle „die Mechanismen der Plünderungen“ verstehen und klären, wie viel aus solchen Exzessen „in unsere Museen kam“. Sieben deutsche Museen sind an dem 2021 gestarteten Projekt „Spuren des ,Boxerkrieges‘ in deutschen Museumssammlungen – eine gemeinsame Annäherung“ beteiligt.

Erstmals trat als Kooperationspartner jetzt das Palastmuseum Peking auf, das Objekte aus 5000 Jahren chinesischer Geschichte aufbewahrt und an dessen Expertise niemand zweifelt. Man sprach auf höchstem wissenschaftlichen Niveau – und mit maximaler Unaufgeregtheit. Aktionen von dekolonialen Aktivistengruppen waren während des zweitätigen Workshops am Donnerstag und Freitag nicht zu erwarten. Gastgeber war das Münchner Museum Fünf Kontinente.

Vertreter Chinas trugen in Vorträgen Wissen aus langjährigen Forschungen vor und korrigierten, was ihnen unkorrekt erschien. Zum Beispiel: Den Begriff „Boxerkrieg“ verwende man in China nicht. In aller Freundlichkeit machte die stellvertretende Direktorin für internationalen Austausch vom Pekinger Palastmuseums auf die kolonial gefärbte Begriffswahl hin. Man spreche lieber von der „Invasion der acht Alliierten“. Boxerloot, also Boxerplünderung, insinuiere obendrein, die „Boxer“ seien die Plünderer gewesen.

Den Kolonialbegriffen begegnet man auch in den Texten im China-Saal im Berliner Humboldt-Forum. Der Höhepunkt dieses wunderbar gestalteten Raums ist sicherlich das fünf mal zehn Meter große, hinreißende Seidengemälde „Die Predigt des Buddha“ aus der Zeit der Qing-Dynastie, entstanden 1770. Der Begleittext weist auf die Herkunft hin: „Vermutlich aus Plünderungen bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes 1900/1901, nach Deutschland gebracht durch Kaiser Wilhelm II.“

Daneben steht eine weitere Preziose: ein dreiteiliger Thron mit Armlehnen, das schwarzlackierte Holz feinstens bemalt mit goldenen Drachen, Qing-Dynastie: „Wahrscheinlich aus den West-Gräbern geplündert, während des sogenannten Boxerkrieges illegal nach Deutschland gebracht.“

In einer anderen Ecke fallen „geraubte Offiziersporträts“ ins Auge . Sie gelten als besonders wertvoll, ihre Herkunft ist bekannt: Sie hingen bis 1900 in einem kaiserlichen Palast in der Verbotenen Stadt. So wie zum Beispiel das getuschte Bildnis des Fürsten Corgiyamz’an von 1776, eine seidene Hängerolle aus der Halle des Purpurglanzes, wo das Porträt zur Heldengalerie des Qialong-Kaisers gehörte. Da heißt es: „unrechtmäßig entfernt und von Peking nach Berlin gebracht“, „erworben 1903 durch Oberstleutnant v. Busse“. Dieses Gemälde gibt es in Berlin nur noch als Reproduktion von einem Glasplattennegativ – seit 1945 gilt das Original als vermisst, man nimmt an, dass es sich in einer Sammlung in Russland befindet.

China und die USA nähern sich an: Wo bleibt Deutschland?

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Das Plündergut in deutschen Museen

14.05.2021

Aber wie genau sind die edlen Stücke sie nach Berlin gekommen? Hier informiert das Museum: „Im Zuge der Niederschlagung des Boxeraufstandes gelangten Tausende geplünderte Objekte in den internationalen Kunsthandel und in westliche Museumssammlungen. Wie viele und woher sie stammen, ist ungewiss.“ Was in der Sammlung gehört noch zum Plündergut?

Diese Fragen gilt es nun zu klären. Um Rückgaben geht es im „Boxerprojekt“ nicht. Aber die Frage steht: Wie unangenehm ist es, so etwas auszustellen? Es wären auch nicht die ersten Rückgaben. Schon in den 1920er-Jahren gab Deutschland die „mitgenommenen“ astronomischen Instrumente eines chinesischen Sternenbeobachtungsturms zurück - aus diplomatischen Erwägungen, wie während des Workshops erinnert wurde. Andererseits machte die 1949 gegründete Volksrepublik China der gleichaltrigen DDR ein großzügiges Geschenk zum zehnjährigen Bestehen: 250 Porzellanobjekte – vom Neolithikum bis zur Kaiserzeit – gingen 1959 als Geste der Freundschaft Mao Zedongs in DDR-Volkseigentum über.

Die Vertreterin des Pekinger Palastmuseums wünschte sich zum Abschluss des Workshops die Einrichtung einer international frei zugänglichen Datenbank, mit deren Hilfe Informationen über die vielen Tausend über die Kontinente verstreuten Objekte ausgetauscht werden könnte. Das sei ein guter Weg, um die ganze akademische Welt zusammenzuschließen, vielleicht entstehe eine ganz neue wissenschaftliche Disziplin. Zudem hätten womöglich auch Privatleute Wissen, das sie teilen wollten. Und zweitens wünschte sie sich mehr Kooperation hinsichtlich der Offiziersporträts, die seien „für die Kultur und die Gefühle der chinesischen Menschen“ von besonderer Bedeutung.

QOSHE - Raubgut aus China in deutschen Museen: Peinliches kommt zur Sprache - Maritta Adam-Tkalec
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Raubgut aus China in deutschen Museen: Peinliches kommt zur Sprache

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25.02.2024

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© Berliner Zeitung


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