Nach westlicher Interpretation herrschte in der DDR nicht nur staatlich verordneter Antifaschismus, sondern auch „staatlich verordnete Völkerfreundschaft“.

Wenigstens das, könnte man sagen. Nachdem Deutschland den größten völkermörderischen Krieg über die Welt gebracht hatte, gehörte hartnäckige Erziehung zur Völkerfreundschaft sicherlich zu den noblen Anliegen. Sie gelang nicht vollständig, wie sich in ausländerfeindlichen Gewaltexzessen nach 1990 zeigte. Und sie begnügte sich viel zu oft mit Floskeln und Oberflächlichkeiten.

Völkerfreundschaft zum Staatsziel erhoben zu haben, wird der DDR zum Vorwurf gemacht, seit sie am Ende war, und zwar nach dem von Heiner Müller in seinem Text „Das Liebesleben der Hyänen“ 1993 beschriebenen Verfahren: „Auf den toten Gegner kann man jedes Feindbild projizieren, das vom Blick in den Spiegel abhält. Das Niveau der Debatten um DDR-Vergangenheit ist so niedrig, dass man sie als in die DDR-,Verstrickter‘ nur auf allen Vieren führen kann.“ Ein Kadaver könne seinem Obduktionsbefund nicht widersprechen.

Der Historiker und Afrika-Spezialist Prof. Dr. Ulrich van der Heyden zitiert diese Sätze in seiner 700 Seiten umfassenden Studie „Das gescheiterte Experiment. Vertragsarbeiter aus Mosambik in der DDR-Volkswirtschaft (1979–1990)“: Sie treffen auf die Wertung des DDR-Kapitels „ausländische Arbeitskräfte“ zu wie auf andere Bereiche. Aber der „Kadaver“ widerspricht dem Obduktionsbefund.

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Ulrich van der Heyden hat für diese Zeitung Mitte März einen Text geschrieben, der die fortgesetzten Lügen, Verzerrungen, Manipulationen et cetera über das Leben der Zehntausenden Mosambikaner, Vietnamesen und anderer thematisierte. Es sind Lügengeschichten wie die vom angeblichen Mord an dem mosambikanischen Vertragsarbeiter Manuel Diogo. Er sei von Nazis aus einem Zug gestoßen worden, wird auch in der Ausstellung „Echos der Bruderländer“ im Haus der Kulturen der Welt wiederholt. Doch das ist, wie Recherchen der Berliner Zeitung aufdeckten und Gerichte bestätigten, frei erfunden: Diogo starb durch einen tragischen Unfall.

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Eine der Fake-News-Storys geht so: Die DDR habe mosambikanische (und vietnamesischen) Frauen, die in DDR-Betrieben arbeiteten, im Falle einer Schwangerschaft zur Heimkehr gezwungen – oder zur Abtreibung. Weitere Pauschalunterstellungen lauten: Die ausländischen Arbeiter hätten isoliert in Gettos gewohnt, in winzigen, schlecht ausgestatteten, überbelegten Zimmern, streng getrennt von Deutschen. Sie durften nicht reisen. Sie wurden schlecht bezahlt, ausgebeutet. Waren Opfer von Menschenhandel und DDR-Apartheid.

Die Autorin war Anfang der 1980er-Jahre als Portugiesisch-Dolmetscherin in der DDR und in Mosambik unterwegs. Sie sah anderes. Auch ein Faktencheck ergibt ein anderes Bild.

Bis zur Beendigung des Abkommens waren insgesamt 20.141 junge Leute aus Mosambik in 245 Betrieben der DDR beschäftigt. Sie bildeten nach den Vietnamesen (ca. 60.000) die zweitgrößte Gruppe ausländischer Arbeitskräfte in der DDR. Die 18- bis 25-Jährigen wurden nicht „angeworben“, wie oft behauptet wird.

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Sie drängten darauf, die Chance zu ergreifen. Der mosambikanische Staat wählte sie aus. Voraussetzung laut Regierungsabkommen: Abschluss der vierten Klasse und Gesundheit. Beabsichtigt war zunächst Rotation: Wer seinen Vierjahresvertrag absolviert und eine Berufsausbildung erlangt hatte, machte Platz für die Nächsten. Ein Einwanderungsland wollte die DDR nicht sein.

Die wichtigsten Regelungen aus dem am 24. Februar 1979 zwischen der DDR und Mosambik geschlossenen „Abkommen über die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben“ lauteten:

Zuständig waren stets die Einsatzbetriebe. Die hatten ein unmittelbares Interesse, alle Beschäftigten konfliktarm bei Laune zu halten. Stasiberichte sagen, die Mosambikaner seien (anders als ihre vietnamesischen Kollegen) überwiegend „nicht materiell interessiert“ gewesen, sondern hätten das Leben genießen wollen. Mosambikaner, Männer wie Frauen, berichten von vielen Besuchen in Diskos, Restaurants, anderen Städten, von Festivals, von ihrer Freude an schöner Kleidung. Geldmangel litten sie nicht; Arbeiter, auch die mosambikanischen, verdienten in der DDR in der Regel mehr als junge Akademiker.

Mosambikaner in der DDR verglichen ihre Lage mit der in den Kohleminen in Apartheid-Südafrika, wo ihre Väter, Onkel oder Cousins arbeiteten. Oder mit dem Leben in Mosambik während des Bürgerkriegs – in Hütten ohne Strom und Wasser, mit prekärer Gesundheitsversorgung. Wie fern vom Paradies die Zustände in der DDR waren, beschreibt Ulrich van der Heyden in seinem Buch unter anderem im Kapitel „Land der Götter – Schein und Sein“.

Was sagen Mosambikaner selbst? Moises Pinto Rendição, der 1986 in die DDR kam, beschrieb es so: „Alle sind zufrieden. Das Leben im Land der Deutschen ist angenehm. (…) Die weißen Frauen schämen sich nicht, mit unseren Landsleuten zu gehen.“ Momed Latifo, glücklich über seine Schweißer-Ausbildung, sagt: „Meine vielen Freunde in Deutschland will ich nicht verlieren.“

Die Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, erarbeitet von Aktivisten, Schülern und Künstlern, zeigt mithilfe von Kunst – Performance, Musik, Poesie, Malerei, Installationen – Facetten des Problems; wissenschaftlichen Anspruch kann sie nicht erheben. Allerdings bietet sie an Hörstationen Berichte mosambikanischer Frauen und Männer, die die Komplexität des Lebens aufscheinen lassen – in mosambikanischem Portugiesisch, daher wahrscheinlich nur wenigen Besuchern zugänglich.

Da sagt Ana Raquel Masoio, die in einer Zittauer Spinnerei arbeitete: „Gostei muito daquele país“, die DDR habe ihr sehr gefallen, eine gute Kultur, viel Respekt. An den Wochenenden sei sie immer in die Disko gegangen: „Da haben sie ‚negra‘ gerufen und schöne afrikanische Musik aufgelegt, um uns eine Freude zu machen.“ Im Betrieb hätten die Kolleginnen erst skeptisch geschaut, „die kannten ja keine ‚negras‘“, aber „dann wurden wir bald Freunde“.

Als sie schwanger wurde, hieß es: „Pack die Sachen, du musst zurück.“ Wer die treibende Kraft dabei war, lässt sich aus dem Bericht von Anna Mamaso schließen, die sich ebenfalls gern an die Zittauer Spinnerei erinnert: der Gruppenchef (jede Gruppe hatte einen für ihre Belange zuständigen mosambikanischen Leiter). Der habe sie alle gewarnt, sich in einen Deutschen zu verlieben. Deswegen habe sie Angst vor solchen Beziehungen gehabt.

Lachend erzählt sie: „Ich hätte so viele Chancen gehabt, die mochten uns.“ Diskriminierung habe sie nicht erlebt. Die deutschen Betreuer hätten sie sehr freundlich behandelt. Sie kehrte im siebten Schwangerschaftsmonat zurück, der Kindsvater stammte aus dem Norden Mosambiks, sie wollten heiraten. Aber das verhinderte dessen Familie: „Die akzeptierten keine Frau aus Maputo.“

Der in Hoyerswerda eingesetzte Zafanias Dlaze erinnert daran, was der spätere Staatspräsident Samora Machel 1971, also vier Jahre vor der Unabhängigkeit, auserwählten Studenten auf den Weg gab: „Ihr seid hier nicht im Urlaub, ihr sollt lernen, heimkommen, das Land aufbauen.“ Ein Aufenthalt in der DDR sei „ein Kampfauftrag, die Leitung dementsprechend prinzipiell gegen Heirat und Gründung von Familien mit DDR-Bürgerinnen“.

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Männer berichten häufiger von rassistischen Erlebnissen, so wie David Macou, der in Hoyerswerda arbeitete und Gruppenchef war. Im Betrieb hätten manche „He, Schwarzer, Neger, komm her“ gerufen. Mit denen habe er erst diskutiert, sie dann ignoriert. Einmal nannte ihn ein Kind in einer Kaufhalle „Affe“ – geradeso, derselbe Rassismus tönt heutzutage von gesamtdeutschen Fußballrängen (und hat Protest zur Folge). Auch David nahm das nicht hin.

Mit Unterstützung von SED-Genossen und FDJlern habe er Veranstaltungen in Schulen organisiert, sei als Mensch vor Schüler getreten, habe vom Leben in Mosambik erzählt. Sein Urteil: „Der Sozialismus hatte ein Rassismusproblem, aber die Politik hat den Rassismus unterdrückt.“ Er räumt ein: „Wir waren auch keine Engel.“ Alkohol, Frauen, Provokationen, Neid – all das habe immer wieder zu Gewalt geführt. Stasiberichte besagen: Die Provokationen gingen fast ausnahmslos von Deutschen aus – ein rassistisch grundiertes Platzhirschgebaren beim Auftauchen von Konkurrenz.

In der „Rahmenrichtlinie zur Durchführung von Regierungsabkommen zwischen der DDR und anderen Staaten über die zeitweilige Beschäftigung ausländischer Werktätiger in Betrieben der DDR“ vom 1. Juli 1980 heißt es: „Tritt bei ausländischen weiblichen Arbeitskräften eine Schwangerschaft während des Aufenthaltes in der DDR ein, ist das Staatssekretariat (für Arbeit und Löhne der DDR, SAL; Anmerkung der Autorin) über das zuständige Ministerium (Arbeitsministerium Mosambiks; Anmerkung der Autorin) darüber zu informieren und dessen Entscheidung über den Termin der Rückkehr der Werktätigen in das Heimatland abzuwarten.“ Das heißt: Die Handlungs- und Entscheidungshoheit lag bei der ständigen Vertretung des mosambikanischen Ministeriums in der DDR.

Schwangerschaft gehörte, wie schon Präsident Machel klarmachte, nicht in den mosambikanischen Plan. Schwangere konnten den Ausweg über das liberalste Abtreibungsrecht der Welt wählen: den kostenfreien, legalen Abbruch unter medizinisch sicheren Umständen. (In Mosambik galt das aus portugiesischen Kolonialzeiten stammende Abtreibungsverbot.)

Die DDR-Betriebe akzeptierten die Rückführung Schwangerer – sicherlich auch aus wirtschaftlichen Erwägungen. Die werdende Mutter fiel ja als Arbeitskraft aus. Gleichwohl war eine Aufweichung der Regeln immer wieder Thema in den Verhandlungen mit der ständigen Vertretung des mosambikanischen Arbeitsministeriums.

Ralf Straßburg, der von DDR-Seite Beauftrage, erinnert sich im Gespräch mit der Berliner Zeitung: „Es gab Beschwerden mosambikanischer Frauen, das haben wir mit der mosambikanischen Seite immer wieder besprochen – bis einer Neuregelung zugestimmt wurde“, sagt er. So hätten dann in den späten 80er-Jahren Frauen ihre Kinder in der DDR zur Welt bringen und in der Krippe unterbringen können. So sei das in den Jahresprotokollen niedergelegt – wie genau, das bleibt eine Forschungsaufgabe.

Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler zieht ein 1987 erarbeitetes SAL-Papier heran, das auch die inzwischen möglich gewordene Vertragsverlängerung über vier Jahre hinaus erwähnt: Man sei zu der Erkenntnis gekommen, dass bei achtjährigem Aufenthalt die geltenden Unterbringungsbedingungen „nicht unbegrenzt erhalten werden können, weil sie Familiengründung und persönliche Lebensführung für lange Zeit außerordentlich einengen“. Weitere Erleichterungen sollten während eines anstehenden Staatsbesuchs von Samora Machel besprochen werden, doch der Präsident starb im Oktober 1986 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz.

Fazit: Von einem Idyll der Völkerfreundschaft kann keine Rede sein, allerdings gehören die bösartigen Verleumdungen, die DDR-Gesellschaft sei durch und durch rassistisch gewesen, ins Reich der Erfindungen. Doch war es offenkundig ein Leichtes, selbst die dreistesten Lügen fest in der Nachwende-Erzählung zu etablieren.

QOSHE - Zwang die DDR schwangere Mosambikanerinnen zur Heimkehr? Ein Faktencheck - Maritta Adam-Tkalec
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Zwang die DDR schwangere Mosambikanerinnen zur Heimkehr? Ein Faktencheck

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01.04.2024

Nach westlicher Interpretation herrschte in der DDR nicht nur staatlich verordneter Antifaschismus, sondern auch „staatlich verordnete Völkerfreundschaft“.

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Völkerfreundschaft zum Staatsziel erhoben zu haben, wird der DDR zum Vorwurf gemacht, seit sie am Ende war, und zwar nach dem von Heiner Müller in seinem Text „Das Liebesleben der Hyänen“ 1993 beschriebenen Verfahren: „Auf den toten Gegner kann man jedes Feindbild projizieren, das vom Blick in den Spiegel abhält. Das Niveau der Debatten um DDR-Vergangenheit ist so niedrig, dass man sie als in die DDR-,Verstrickter‘ nur auf allen Vieren führen kann.“ Ein Kadaver könne seinem Obduktionsbefund nicht widersprechen.

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Eine der Fake-News-Storys geht so: Die DDR habe mosambikanische (und vietnamesischen) Frauen, die in DDR-Betrieben arbeiteten, im Falle einer Schwangerschaft zur Heimkehr gezwungen – oder zur Abtreibung. Weitere Pauschalunterstellungen lauten: Die ausländischen Arbeiter hätten isoliert in Gettos gewohnt, in winzigen, schlecht ausgestatteten, überbelegten Zimmern, streng getrennt von Deutschen. Sie durften nicht reisen. Sie wurden schlecht bezahlt, ausgebeutet. Waren Opfer von Menschenhandel und DDR-Apartheid.

Die Autorin war Anfang........

© Berliner Zeitung


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