Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) haben sich Amerikaner und Chinesen zu einer Begegnung hinter verschlossenen Türen getroffen. Das Treffen wurde der Berliner Zeitung von amerikanischer und chinesischer Seite bestätigt. Ein solches Treffen ist von Bedeutung, weil es zeigt, dass beide Großmächte bemüht sind, Spannungen abzubauen.

Der amerikanische Außenminister Antony J. Blinken hatte sich am 16. Februar in München mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi getroffen. Die beiden Seiten führten „eine offene und konstruktive Diskussion über eine Reihe bilateraler, regionaler und globaler Themen im Rahmen der laufenden Bemühungen, offene Kommunikationswege aufrechtzuerhalten und den Wettbewerb in den Beziehungen verantwortungsvoll zu steuern“, wie es aus dem amerikanischen Außenministerium heißt. Die Darstellung zeigt, dass der Fokus zunächst darauf liegt, dass man wenigstens wieder miteinander spricht – auch wenn die Rivalität zunächst noch im Vordergrund steht. Noch vor einem Jahr war die Lage allerdings noch kritischer gewesen: Nach dem Zwischenfall mit einem chinesischen Ballon über amerikanischem Territorium waren die Beziehungen auf einem Tiefpunkt angelangt.

Ein Wendepunkt war, so bestätigen auch die Teilnehmer der chinesischen Delegation, das Treffen der beiden Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping im vergangenen November in San Francisco. Außenminister Blinken sagte, es gehe nun darum, die „auf dem Woodside-Gipfel erzielten Fortschritte, einschließlich der Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung und der Kommunikation auf militärischer Ebene, weiter umzusetzen“.

Über die Inhalte des vertraulichen Münchner Treffens mit den Chinesen verlautete von amerikanischer Seite nichts Offizielles. Allerdings sagte der Sprecher des Außenministeriums, Matt Miller, bei einem Briefing in Washington, die Amerikaner hätten „das Streben Russlands nach einer Antisatelliten-Technologie“ zur Sprache gebracht – und zwar ausdrücklich nicht nur in Gesprächen mit Verbündeten, sondern mit „anderen Ländern“, womit China und Indien gemeint sind. Das Thema sei eines, „das nicht nur den Vereinigten Staaten, sondern auch anderen Ländern der Welt Sorgen bereiten sollte“, so Miller. Die Amerikaner haben demnach China und Indien aufgefordert, „dass sie ihre diplomatischen Verpflichtungen nutzen würden, um, wie wir es getan haben, darauf zu drängen, dass die Verfolgung einer solchen Technologie aufgegeben wird“.

Auf chinesischer Seite wurde das Treffen mit den Amerikanern als positiver Schritt gesehen. Wu Shicun, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Nationalinstituts für Studien zum Südchinesischen Meer, nahm bereits zum fünften Mal an der Münchner Sicherheitskonferenz teil. Er sagte der Berliner Zeitung, in diesem Jahr sei die Atmosphäre im amerikanisch-chinesischen Verhältnis „ein bisschen besser“ gewesen als im Vorjahr, wenngleich „noch nicht völlig verbessert“. Die Rede von der Entkoppelung gehe weiter, die Sanktionen gegen China seien immer noch in Kraft, „Konfrontation und Wettbewerb“ stünden immer noch im Vordergrund. Allerdings habe er endlich wieder seine amerikanischen Kollegen getroffen – persönliche Kontakte waren wegen der Pandemie seit Jahren nicht mehr möglich gewesen, alle direkten Treffen wurden abgesagt. Das habe sich nun geändert. Wu: „Ich selbst war in den USA, habe mein Gegenüber nach China eingeladen.“ Somit sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Deeskalation gemacht: „Auf der Ebene der militärischen Führung sind die Kommunikationskanäle wieder hergestellt.“

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21.02.2024

20.02.2024

21.02.2024

Laut Wu ist China über die militärische Entwicklung im Indischen Ozean, im Südpazifik und im Südchinesisches Meer besorgt – und hier vor allem über den Kurs der amerikanischen Regierung: „Die USA waren früher neutral, aber jetzt haben sie ihre Neutralitätspolitik im Südchinesischen Meer völlig aufgegeben.“ Hier geht es um territoriale Streitigkeiten mit den Philippinen. Die USA seien „nun enge Verbündete der Philippinen und unterstützen die Philippinen, wenn sie Ärger machen“, sagt Wu. Es sei „nicht wahr, dass China plötzlich aggressiv geworden ist“. Die Philippinen hofften, „dass sie mit Unterstützung der USA ihre Position in der Region konsolidieren können“.

Die Amerikaner haben heute neun Militärstützpunkte auf den Philippinen – vier mehr als noch vor einem Jahr. Auch Japan und Australien hätten begonnen, sich einzumischen. Wu sagt: „Die USA sind eine Bedrohung aus chinesischer Sicht, die anderen Nachbarländer sehen wir nicht als Bedrohung, aber als troublemakers.“ Wu sagte, er glaube nicht, dass die Europäer eine Rolle als Vermittler zwischen China und den USA im Konflikt um das Südchinesische Meer spielen können: „Die Europäer haben keine unabhängige Außenpolitik in Richtung China. Ich glaube, wenn die USA den Europäern sagen, sie müssen sich von China abkoppeln, dann werden sich die Europäer dieser Forderung nicht widersetzen.“ Bei seinem Treffen mit Außenminister Wang hatte Antony Blinken keinen Zweifel gelassen, dass die Amerikaner in der Region weiter Präsenz zeigen werden. Er sagte, dass die Vereinigten Staaten „für unsere Interessen und Werte sowie die unserer Verbündeten und Partner eintreten werden“ und betonte „die Bedeutung der Wahrung von Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße und im Südchinesischen Meer“.

Die Mitglieder der chinesischen Delegation zeigten sich erstaunt, welche große Rolle die militärische Komponente auf einmal bei allen Fragen spielt. Jiang Feng, der Generaldirektor der Shanghai Akademie für Global Governance und Regionalstudien, hat einige Jahre als Diplomat in Berlin verbracht und spricht exzellent Deutsch. Er sagte der Berliner Zeitung: „Was mir Sorge macht, ist, dass vor allem über Sicherheit, Krieg und Konflikte gesprochen wird. Natürlich hat die Münchner Konferenz das Ziel, vor allem über Sicherheit zu reden. Aber bisher war Sicherheit vor allem eine Frage des militärischen Bereichs. Nun hat man das Thema auf viele andere Bereiche ausgeweitet. Man spricht heute sogar über Literatur und Sicherheit. Ich bin Germanist, wir haben Schiller und Goethe gelesen. Es ist schwer für mich, Literatur und Sicherheit in einen Zusammenhang zu bringen. Normalerweise werden Geistes- und Naturwissenschaften nicht als Sicherheitsfaktoren klassifiziert.“ Wenn man alles unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheitsinteressen sähe, nehme „man automatisch eine defensive Position ein, muss sich gegen irgendwas verteidigen“. Für zwischenmenschliche Beziehungen sei jedoch „eine gewisse Aufgeschlossenheit notwendig“.

Die Vertreter Asiens und Afrikas hätten „ein Problem mit der zu weiten Ausdehnung des Sicherheitsbegriffs auf das Feld der Technologie“. Jiang: „Die meisten Probleme sind heute von zunehmender globaler Dimension, wie etwa der Klimawandel oder Energie. Dafür braucht es auch globale Lösungen, die auf Technologien basieren. Um diese zu entwickeln, brauchen wir internationale Forschungskooperationen, auch mit China. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, nicht weniger.“

Der Westen gehe in der Beurteilung der Welt zu schematisch vor. Das habe sich auch in München gezeigt: „Es gibt die amerikanisch-europäische, also westliche Ländergruppe. Dann gibt es eine sogenannte revisionistische Ländergruppe und dann gibt es noch den globalen Süden.“ In vielen Gesprächen hätten ihm Teilnehmer aus Asien und Afrika gesagt: „Diese Dreiteilung der Welt und die Idee vom Systemwettbewerb ist Unsinn. Sie sagen: Globaler Süden, das ist ein Etikett, das uns von außerhalb angeheftet wird.“ Vertreter aus Afrika empfänden die Kategorisierung als „Diskriminierung“. Afrikaner und Asiaten wollten „nicht als Gegenstand des Systemwettbewerbs, des geopolitischen Kampfs behandelt werden“: „Sie wollen ihre Würde als selbständige Länder haben.“ Bei der Suche nach Hilfe für elementare Fragen – sauberes Wasser, Getreide, medizinische Hilfe, Schulen – sei es nebensächlich, ob die Partner aus dem globalen Norden kämen oder von anderswoher. Jiang: „Ein afrikanischer Kollege sagte mir: Was wir überhaupt nicht brauchen, ist die geopolitische Spaltung, dieser Kampf der Großmächte.“

Cui Hongjian, Professor am Institut für Regionen und Global Governance der Beijing Foreign Studies University, geht noch weiter und glaubt, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen China und Europa geben solle, um die globalen Probleme zu lösen: China sei „grundsätzlich offen für den Austausch und die Kooperation mit anderen Mächten“. China könne sich vorstellen, dass es eine Kooperation zwischen den großen Projekten Belt and Road Initiative (BRI) und dem Gateway Projekt der EU geben könnte. Cui sagte der Berliner Zeitung: „China ist interessiert an konstruktiver Zusammenarbeit. Diese kann komplementär sein. Wir können uns gut vorstellen, dass es eine gemeinsame globale Infrastruktur-Partnerschaft gibt.“ Dies werde zwar kompliziert werden, „weil die Amerikaner Einwände dagegen haben“. Cui: „Ein Vorschlag zur Zusammenarbeit müsste hier von der europäischen Seite kommen.“

Cui glaubt, dass die Europäer hier einen Weg gehen müssten, dessen Richtung nicht gänzlich von Washington vorgegeben wird: „Die indo-pazifischen Strategien der USA und Europas unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt: Die Amerikaner gehen davon aus, dass es einen grundsätzlichen Wettbewerb mit China, vielleicht sogar eine Konfrontation gibt. Die Europäer sagen, lass uns mal sehen, ob wir nicht auch an der einen oder anderen Stelle langfristig zusammenarbeiten können.“

Dazu müsste aber Europa mit einer Stimme sprechen, sagt Liu Zuokui, der stellvertretender Direktor des Instituts für Europäische Studien an der Chinesischen Akademie für Sozialstudien. Er sagte zu seinem Eindruck von München, er habe es „sehr beeindruckend“ gefunden, „wie flexibel die Organisation die Konferenz auf die aktuelle Nachricht reagiert hat, dass in Russland der Regierungsgegner Nawalny gestorben ist“. Die Konferenz habe es möglich gemacht, „dass eine Vielzahl von Kommentaren zu diesem speziellen Ereignis aus aller Welt geäußert werden konnten“.

Die europäische Vielfalt ist Liu besonders aufgefallen: „Ich habe viele sehr unterschiedliche Stimmen aus Europa gehört. Jede dieser Stimmen hatte ihre eigenen Argumente und Überlegungen. Wenn man die europäische Kultur mit einem Wort umschreiben müsste, so ist es Diversität.“ Der Deutschlandkenner Jiang sieht hierin auch ein Dilemma: „Ich höre Deutschland, Frankreich, viele andere Länder – aber nicht eine starke Stimme, die für alle spricht.“ Die Europäer müssten Einheit zeigen, wenn sie eine globale Rolle spielen wollen: „Sie müssen gemeinsam auf die Bühne treten und sagen, ok, dies oder jenes unterstützen wir, das wollen wir haben.“ Professor Liu ergänzt: „Speziell Premierminister Orbán!“

Der Germanist Jiang sagt, er habe beobachtet, „dass Deutschland versucht, eine eigenständige Rolle zu spielen“. Deutschland habe sich große Mühe gegeben, zwischen China und den USA zu vermitteln. Bundeskanzler Olaf Scholz habe „in seiner Rede auf die verschiedenen Krisen hingewiesen, die deutsche Politik dargelegt und die Länder Europas aufgerufen, sich stärker zu engagieren“. Diese Bemühungen werden geschätzt – essenziell notwendig sind sie nicht. Die Großmächte habe ihre direkten Drähte wieder aktiviert. Noch glühen sie nicht. Doch es ist unerlässlich, dass gesprochen wird. Jiang: „In Europa und seiner Nachbarschaft herrschen Krieg – in der Ukraine, im Nahen Osten, das ist eine sehr unruhige Zeit. Die Großmächte können sich nicht nur miteinander beschäftigen. China, USA und Russland tragen eine besondere globale Verantwortung. In dieser Hinsicht waren die Gespräche in München durchaus ermutigend.“

QOSHE - Worüber haben China und die USA in München gesprochen? - Michael Maier
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Worüber haben China und die USA in München gesprochen?

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23.02.2024

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) haben sich Amerikaner und Chinesen zu einer Begegnung hinter verschlossenen Türen getroffen. Das Treffen wurde der Berliner Zeitung von amerikanischer und chinesischer Seite bestätigt. Ein solches Treffen ist von Bedeutung, weil es zeigt, dass beide Großmächte bemüht sind, Spannungen abzubauen.

Der amerikanische Außenminister Antony J. Blinken hatte sich am 16. Februar in München mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi getroffen. Die beiden Seiten führten „eine offene und konstruktive Diskussion über eine Reihe bilateraler, regionaler und globaler Themen im Rahmen der laufenden Bemühungen, offene Kommunikationswege aufrechtzuerhalten und den Wettbewerb in den Beziehungen verantwortungsvoll zu steuern“, wie es aus dem amerikanischen Außenministerium heißt. Die Darstellung zeigt, dass der Fokus zunächst darauf liegt, dass man wenigstens wieder miteinander spricht – auch wenn die Rivalität zunächst noch im Vordergrund steht. Noch vor einem Jahr war die Lage allerdings noch kritischer gewesen: Nach dem Zwischenfall mit einem chinesischen Ballon über amerikanischem Territorium waren die Beziehungen auf einem Tiefpunkt angelangt.

Ein Wendepunkt war, so bestätigen auch die Teilnehmer der chinesischen Delegation, das Treffen der beiden Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping im vergangenen November in San Francisco. Außenminister Blinken sagte, es gehe nun darum, die „auf dem Woodside-Gipfel erzielten Fortschritte, einschließlich der Zusammenarbeit bei der Drogenbekämpfung und der Kommunikation auf militärischer Ebene, weiter umzusetzen“.

Über die Inhalte des vertraulichen Münchner Treffens mit den Chinesen verlautete von amerikanischer Seite nichts Offizielles. Allerdings sagte der Sprecher des Außenministeriums, Matt Miller, bei einem Briefing in Washington, die Amerikaner hätten „das Streben Russlands nach einer Antisatelliten-Technologie“ zur Sprache gebracht – und zwar ausdrücklich nicht nur in Gesprächen mit Verbündeten, sondern mit „anderen Ländern“, womit China und Indien gemeint sind. Das Thema sei eines, „das nicht nur den Vereinigten Staaten, sondern auch anderen Ländern der Welt Sorgen bereiten sollte“, so Miller. Die Amerikaner haben demnach China und Indien aufgefordert, „dass sie ihre diplomatischen Verpflichtungen nutzen würden, um, wie wir es getan haben, darauf zu drängen, dass die Verfolgung einer solchen Technologie aufgegeben wird“.

Auf chinesischer Seite wurde das Treffen mit den Amerikanern als positiver Schritt gesehen. Wu Shicun, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Nationalinstituts für Studien zum Südchinesischen Meer, nahm bereits zum fünften Mal an der Münchner Sicherheitskonferenz teil. Er sagte der Berliner Zeitung, in diesem Jahr sei die Atmosphäre im amerikanisch-chinesischen Verhältnis „ein bisschen besser“ gewesen als im Vorjahr, wenngleich „noch nicht völlig verbessert“. Die Rede von der Entkoppelung gehe........

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