Wie aus dem Nichts kommt Bewegung in den Stellungskrieg in der Ostukraine. In den vergangenen Tagen nahmen russische Streitkräfte das Dorf Otscheretyne im Donezk-Gebiet fast ohne ukrainische Gegenwehr ein. Da sich die ukrainischen Soldaten der 115. Mechanisierten Brigade ohne großen Widerstand zurückzogen, sorgt der Vorfall für reichlich Diskussionen innerhalb der Ukraine. Das politische Kiew sucht derweil nach Verantwortlichen.

Nun hat sich der Kompaniechef der Brigade, Mykola Melnyk, auf Facebook geäußert: „Der drastische Vormarsch der Russen wurde dadurch möglich, dass bestimmte Einheiten einfach aus ihren Stellungen flohen“. Möglich wurde der russische Vorstoß, weil ukrainische Verbände „Mist gebaut“ hätten. Für den proukrainischen X-Account „DeepState“, der sich im Laufe des russischen Angriffskriegs mit Militäranalysen einen Namen machte, sei mit dem Rückzug der 115. Brigade „die Büchse der Pandora“ geöffnet.

Während sich die Militärführung in Kiew nicht zu dem Vorfall äußert, rumort es in der ukrainischen Presse und den sozialen Medien. Es deutet alles darauf hin, dass die ukrainischen Soldaten, die für die Verteidigung des Frontabschnitts verantwortlich waren, zu früh ihre Posten geräumt haben. Die Ablösung kam demnach nicht rechtzeitig – ein fatales Missverständnis.

In russischen Telegram-Kanälen wird spekuliert, dass es gar reiner Zufall war und die vorrückenden Russen „leere Schützengräben“ vorfanden. Ein Hin und Her, das die russische Armee taktisch nutzen und so das Dorf Otscheretyne einnehmen konnte. Später wurde im Ortszentrum die russische Flagge gehisst. Auch für viele Russen war die rasche Eroberung ein Paukenschlag; üblicherweise dauern die Gefechte um Städte und Siedlungen im Ukrainekrieg mehrere Wochen, teilweise Monate an.

gestern

26.04.2024

gestern

Hoffnung für die Ukraine unter Präsident Wolodymyr Selenskyj schürt seit Mitte dieser Woche das milliardenschwere amerikanische Hilfspaket, insbesondere die weitreichenden Raketen vom Typ Atacms, mit denen die Ukraine russische Waffen- und Munitionslager auch weit hinter der Frontlinie treffen kann. Dabei haben die USA laut der Nachrichtenagentur Reuters schon in den Wochen zuvor wohl „in aller Stille“ mehrere Atacms an die Ukrainer geliefert. Währenddessen sorgt allerdings ein anderer wichtiger Waffentypus aus den USA für negative Schlagzeilen.

Laut Associated Press soll die Ukraine nämlich mehrere ihrer 31 amerikanischen Abrams-Panzer, die Kiew im Januar 2023 aus Washington bekommen hat, nach und nach von der Front abgezogen haben. Das liege unter anderem daran, dass russische Drohnen es den Kampfpanzern schwer machten, sich unentdeckt in dem flachen Donbass-Gelände fortzubewegen, so zwei amerikanische Militärvertreter. „Der Drohnenkrieg in der Ukraine bedeutet, dass es kein offenes Gelände gibt, durch das man einfach fahren kann, ohne befürchten zu müssen, entdeckt zu werden“, heißt es. Die Ukraine werde nun – gemeinsam mit Militärs aus den USA – ihre Strategie „neu ausrichten“.

Die Ukraine kopiert Lukaschenko: Auslands-Ukrainer sollen zurück in die Heimat und kämpfen

•gestern

Der „Todesfluss“ zwischen der Ukraine und Rumänien: Hier flüchten Hunderte vor Krieg und Mobilisierung

25.04.2024

In einer monatelangen Kampagne hatte die politische Führung in Kiew die modernen Kampfpanzer, die etwa zehn Millionen Dollar pro Stück kosten, vehement gefordert und behauptet, dass sie für den Durchbruch russischer Stellungen unverzichtbar seien. Allerdings hat sich die Situation auf dem Schlachtfeld seitdem stark verändert – eine Art militärische Pattsituation verfestigte sich. Bisher zerstörte die russische Armee fünf der 31 gelieferten Abrams-Panzer.

Ein anderer westlicher Verbündeter der Ukraine, Großbritannien, macht aus der schwierigen Lage entlang der Donbass-Front ebenfalls keinen Hehl. „Der Vormarsch der russischen Streitkräfte westlich von Awdijiwka hat sich in der letzten Woche beschleunigt“, heißt es in einer Mitteilung des britischen Verteidigungsministeriums auf X. Russland sei ein schmaler Vorstoß weit in das ukrainische Gebiet hinein gelungen.

Latest Defence Intelligence update on the situation in Ukraine – 26 April 2024.

Find out more about Defence Intelligence's use of language: https://t.co/XgtHFFjfYk #StandWithUkraine 🇺🇦 pic.twitter.com/i3xLYMHIil

Am Frontverlauf im Osten und Süden der Ukraine hat sich monatelang kaum etwas geändert. Experten sprechen nach mehr als zwei Jahren von einem Stellungs- und Zermürbungskrieg; im Mittelpunkt stehen derzeit die Kämpfe um die Ortschaft Tschassiw Jar, die auf einer Anhöhe liegt und strategisch für Kiew enorm wichtig ist.

QOSHE - „Einheiten haben Mist gebaut“: Neue Details zum Truppenrückzug der Ukraine - Nicolas Butylin
menu_open
Columnists Actual . Favourites . Archive
We use cookies to provide some features and experiences in QOSHE

More information  .  Close
Aa Aa Aa
- A +

„Einheiten haben Mist gebaut“: Neue Details zum Truppenrückzug der Ukraine

38 25
28.04.2024

Wie aus dem Nichts kommt Bewegung in den Stellungskrieg in der Ostukraine. In den vergangenen Tagen nahmen russische Streitkräfte das Dorf Otscheretyne im Donezk-Gebiet fast ohne ukrainische Gegenwehr ein. Da sich die ukrainischen Soldaten der 115. Mechanisierten Brigade ohne großen Widerstand zurückzogen, sorgt der Vorfall für reichlich Diskussionen innerhalb der Ukraine. Das politische Kiew sucht derweil nach Verantwortlichen.

Nun hat sich der Kompaniechef der Brigade, Mykola Melnyk, auf Facebook geäußert: „Der drastische Vormarsch der Russen wurde dadurch möglich, dass bestimmte Einheiten einfach aus ihren Stellungen flohen“. Möglich wurde der russische Vorstoß, weil ukrainische Verbände „Mist gebaut“ hätten. Für den proukrainischen X-Account „DeepState“, der sich im Laufe des russischen Angriffskriegs mit Militäranalysen einen Namen machte, sei mit dem Rückzug der 115. Brigade „die Büchse der Pandora“ geöffnet.

Während sich die Militärführung in Kiew nicht zu dem Vorfall äußert, rumort es in der ukrainischen Presse und den sozialen Medien. Es deutet alles darauf hin, dass die ukrainischen Soldaten, die für die Verteidigung des........

© Berliner Zeitung


Get it on Google Play